Es ist immer wieder erstaunlich, was Vögel sich einfallen lassen, um ohne viel Aufwand und oft durchaus trickreich an Nahrung zu kommen. Kürzlich konnte ich einen pfiffigen Graureiher beobachten, der sich einen speziellen Standort zum Fischen ausgesucht hatte. Der langbeinige Schreitvogel ergatterte dort reichlich Beute – und bekam keine nassen Füße.
Graureiher wirken auf uns groß und majestätisch, wenn sie aufrecht stehen. Aber, wie schon der angesehene deutsche Ornithologe Johann F. Naumann in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (1887-1905, 3. Aufl., Bd. VI, S. 203 ff) schrieb, ist ihr Rumpf nicht größer als der eines Haushahns. Die Größenwirkung geht vor allem auf das Konto der langen Beine, denn der ebenfalls langer Hals ist oft S-förmig eingezogen. Kein Wunder, dass die langbeinigen Fischjäger wie Störche und Löffler zu den Schreitvögeln zählen.
Auf der Jagd
Wenn Graureiher – früher meist Fischreiher genannt – auf Beute aus sind, „schleichen“ sie sehr ruhig und bedächtig durch das seichte Wasser am Ufer eines Sees oder eines anderen Gewässers.
Das Jagdverhalten der Graureiher hat Johann F. Naumann aus einem Versteck heraus ausgiebig beobachtet. Er beschreibt ungemein treffend und wie auf dem Startfoto dieses Beitrags zu sehen, wie der Reiher fischen (a.a.O. S. 211):
…den Hals niedergebogen, den Schnabel ebenfalls gesenkt, den spähenden Blick aufs Wasser geheftet, schlichen sie in abgemessenen, sehr langsamen Schritten und so behutsam und leisen Trittes, dass man nicht das geringste Plumpsen und Pätschern hörte…
und weiter
So schleichend und suchend schnellten sie alle Augenblicke, ehe man sichs versah, den zusammengelegten Hals wie eine Schnellfeder vor, so dass bald nur der Schnabel allein, bald auch noch der ganze Kopf dazu unter die Wasserfläche und wieder zurück fuhr, wobei immer ein Fisch gefangen war…
Oft schleichen Graureiher nicht durchs Wasser, sondern stehen lange Zeit fast reglos am Ufer – meist im Schatten von Gebüsch oder Schilf, wo sie wenig auffallen.
Am oder im Wasser stehend erbeuten sie Fische, Kaulquappen und andere Amphibien, Wasserinsekten, Schwimmkäfer und Libellen. Sie fressen angeblich auch junge Sumpf- und Wasservögel. Sogar kleine Säugetiere wandern in ihren Magen.
Manchmal sind Graureiher auf einer Wiese oder einem Feld unterwegs. Dort warten sie stocksteif stehend auf Feldmäuse. Gelegentlich verzehren sie auch Eier und Jungvögel.
Erstaunlich pfiffig
Kürzlich war ich in der Nuthe-Nieplitz-Niederung auf der Suche nach Bartmeisen unterwegs. Kurz gesagt: Die Suche war vergeblich. Wie so oft, gab es zum Ausgleich jedoch die eine oder andere Überraschung: Ich entdeckte das schön gemusterte Federkleid der Schnatterenten und geradezu „putzwütige“ Löffelenten bei der Gefiederpflege. Und schließlich, quasi im Vorbeigehen, sah ich diesen pfiffigen Reiher.
Er hatte sich auf der Absperrvorrichtung eines Wehrs platziert, das unter anderem der Fischräucherei am Blankensee dabei hilft, Aale, Forelle & Co. frisch zu halten. Daher die Netze im Hintergrund.
Zunächst habe ich den grauen Fischer dabei beobachtet und fotografiert, wie er kleine Fische blitzschnell aus dem Wasser holte und sich im Schnabel so zurechtlegte, dass sie mit dem Kopf voran in seinen Schlund gelangten. So verhindert er Verletzungen durch die Wehrstacheln von Fischen, die sich nach hinten biegen lassen. (Auch die Fotos der Galerie bitte vergrößern.)
Die Fangmethode
Schließlich habe ich auch videografieren können, wie die Beute erhascht wird. Dazu muss ich vielleicht ergänzen, dass der Reiher nicht alleine war, sondern eine Handvoll Lachmöwen ihm „zur Seite standen“ – und zwar um abzusahnen.
Wenn dem Graureiher etwa beim mundgerechten Wenden eines Fisches die Beute aus dem Schnabel flutsch, sind die wendigen Flieger nämlich schnell zur Stelle. Und das Gekreische um den Brocken oder einem Fetzen davon ist dann gewaltig.
Abwarten, ist jedenfalls die Devise dieser geflügelten Absahner, die im September das Schlichtkleid – und keinen schokoladenbrauenen Kopf – tragen.
Nun zwei Ausschnitte aus dem Video, in dem auch die hungrigen Lachmöwen eine Rolle spielen.
Die beiden Sequenzen zeigen hoffentlich auch, dass sowohl der Reiher als auch wir manchmal Zeit oder Muße braucht, um ans Ziel zu gelangen. Darum mein gern wiederholter Tipp für die Vogelbeobachtung: stehen bleiben, innehalten, schauen.
Lange warten.
Satt werden.
Jung und experimentierfreudig
Vermutlich handelt es sich bei dem pfiffigen Fischer um einen subadulten, also noch jungen Graureiher. Dafür sprechen der graue Scheitel und der vornehmlich graue Schnabel. Auch fehlen ihm die Schmuckfedern am Kopf und an den Schwingen. Außerdem: Generell sind Jungtiere – ob Vögel oder Säugetiere – experimentierfreudiger als ihre adulten Artgenossen.
Und schließlich noch diese Anmerkung: Die Jagd auf den Graureiher ist in Deutschland stark eingeschränkt, obwohl er als jagdbares Wild gilt.¹ Das hat einen insgesamt erfreulichen Anstieg der Brutpaare auf rund 25.000 bewirkt. Und nicht nur das.
Während früher Graureiher extrem vorsichtig und schwer zu beobachten waren, stören sie sich heutzutage oft nicht daran, wenn Spaziergänger stehen bleiben – solange wir ihnen nicht zu nahe kommen und dadurch ihre Fluchtdistanz unterschreiten.
In Nordrhein-Westfalen wachsen derzeit womöglich die beobachtungsfreundlichsten Reiher heran. Denn dort steht der Graureiher seit 2015 durch das „Ökologische Jagdgesetz NRW“ – und anders als im Bundesjagdgesetz – nicht mehr in der Liste der jagdbaren Arten. Das könnte sich auf seine Fluchtdistanz günstig auswirken.
¹ Sonderregelungen, die zum Teil den Abschuss erlauben, sind zum Schutz der Teichwirtschaften nicht nur in Bayern, sondern auch in Schleswig-Holstein, Thüringen und in Sachsen erlassen worden.
Graureiher | Héron cendré | Grey heron | Ardea cinerea |
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