Vor wenigen Tagen war ich in Berlin an der Havel unterwegs, und zwar dort, wo sie sich zum Wannsee erweitert. Links und rechts erstreckt sich an dem leicht ansteigenden Ufer der Grunewald. Und immer hält er Überraschungen bereit.
Fast schon routinemäßig besuche ich die Höckerschwäne, Blässhühner, schillernden Stockenten, Grau- und Kanadagänse, die bei Lindwerder von Berliner Vogelbegeisterten durchfüttert werden. Und ich freue mich über die Kormorane, die sich auf den Röhricht-schützenden Abgrenzungen sonnen. Diese schwarzen „Fischer“ müssen ihr Gefieder ja nach den Tauchgängen trocknen.
Doch ich möchte euch einen winterlichen Ausflug dorthin – oder in einen anderen Forst – aus einem anderen Grund empfehlen: Es ist Specht-Zeit.
Nicht dass jetzt bereits kräftig getrommelt wird, um das Revier zu markieren, aber die meisten Spechte bleiben den Winter über bei uns, ziehen also nicht weg, und sind jetzt wunderbar zu beobachten. Der simple Grund: Die Bäume haben kein Laub.
Viele Vögel sind also gut sichtbar. Und selbst wenn Spechte nicht demonstrativ trommeln – und das machen sie nicht immer und nicht alle Arten sind darauf spezialisiert –, so hört man sie doch.
Denn auch bei der Suche nach Insekten klopfen viele Spechte hörbar die Baumstämme ab. Und mit etwas Glück sieht man sie, wenn sie an und unter der Baumrinde „graben“.
Kein Buntspecht
Während ich eigentlich einem Baumläufer auf der Spur war – wie die Spechte verschwinden sie immer rasch im Schatten oder auf der nicht einsehbaren Seite der Stämme –, fiel mir plötzlich dieser Specht auf. Es saß ein bisschen verträumt am Eichenstamm und ließ gleich erahnen, dass er kein Buntspecht ist.
Sein Haupt schimmerte rötlich und sein Steiß – also das rote Bauchende unter dem Schwanz – leuchtete nicht so auffällig wie bei einem Buntspecht. Bei dem lässt sich selbst im rasanten Flug und auf unscharfen Fotos das Ferrari-Rot am Steiß erkennen.
Bei dem kleinen Träumer war diese Region also dezenter gefärbt, eher ein Rosa. Sein Bauchgefieder war außerdem deutlich gestrichelt – daher steckt im englischen Namen dieser Spechtart ein „spotted“ – und die Kopfplatte strahlte in der Sonne leuchtend rot, als er auf einen benachbarten Baum flog. (Zum Vergrößern bitte anklicken.)
All das sprach für einen Mittelspecht.
Der Mittelspecht
Diese Spechtart zählt wie der Weißrücken-, der Bunt- und der Kleinspecht zur Gruppe der Buntspechte. Aber obwohl sich gerade diese vier Arten auf den ersten Blick ähneln und etwa gleich groß sind, auf den zweiten Blick sehen VogelfreundInnen und passonierte Ornis per Fernglas oder Spektiv, dass beim Mittelspecht auf der weißen Wange die schwarze Zeichnung nicht bis zum Hinterkopf reicht.
Bemerkenswert auch: Beim Mittelspecht schimmern die Scheitelfedern bei Jung und Alt, bei Männlein und Weiblein zu jeder Jahreszeit rötlich bis leuchtend rot. Beim Buntspecht ist die Kopfplatte – außer bei jungen Männchen – schwarz.
Außerdem: Der Schnabel ist nicht so mächtig wie beim Buntspecht, denn der Mittelspecht ist kein „Hämmerer”. In der Balzzeit trommelt er nicht, sondern lockt mit eigentümlichen Balzrufen. Aber dazu ein anderes Mal.
Und der Kleinspecht? Er ist deutlich kleiner, der Schnabel noch kürzer als beim Mittelspecht. Und die Grundfarbe des Bauchgefieders ist weiß mit schwarzer Strichzeichnung – wie es auch die Grafik im Naumann zeigt.
Johann F. Naumann weiß natürlich, wann der Mittelspecht besonders beeindruckend aussieht (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. IV S. 219):
Nach der Mauser, im Spätherbst und im Winter, sehen die Mittelspechte am schönsten aus; dann bemerkt man am frischen weissen Gefieder der Kopf- und Halsseiten, selbst zuweilen oben auf den Schultern, einen schwefelgelben Anflug, und die Ockerfarbe auf der Brust fällt auch frischer und schöner in die Augen.
Was schmeckt?
Wie seine Spechtverwandten ernährt sich der Mittelspecht vor allem von Spinnen und Insekten. Aber während der Grünspecht diese gern am Boden sucht, geht der Mittelspecht hoch oben auf Jagd: in den Rissen der Baumrinde und unter der Borke sucht er nach kleinen Käfern, Larven, Raupen und Eiern von diversen Gliedertieren. Mit seinem Schnabel, der wie schon gesagt schmächtiger als beim Buntspecht ist, hämmert er jedoch nicht unermüdlich Löcher in morsches Holz, sondern stochert oberflächlicher herum. In Grzimeks Tierleben finde ich das anschaulich erklärt (Kindler, 1970, Bd. IV, S. 219):
Er ist weniger Hackspecht als vielmehr Stocher- und Suchspecht; in erster Linie benutzt er seinen Schnabel als Pinzette, um kleine Kerbtiere aller Arten aus den Ritzen und Spalten der rauhen Rinde zu greifen und von den Ästen der Baumwipfel abzulesen.
Mittelspechte leben und brüten in Europa zwischen Nordspanien, dem Baltikum und dem Kaukasus. In Skandinavien sind sie selten, und in Großbritannien kommen sie nicht vor. Vor allem in deutschen Mittelgebirgsregionen treiben sie sich in Laub- und Mischwäldern herum. Aber eben auch im Grunewald an der Berliner Havel – und übrigens selbst im Stadtpark Steglitz.
Mittelspecht | Pic mar | Middle spotted Woodpecker | Dendrocopos medius
Mittelspecht. Echt putzig. Und possierlich. Auf dem Scheitelfedern-Foto schaut’s auch ein bisserl punkig aus. PPP