Für die Verhaltensbeobachtung ist der Kormoran ein spannender Vogel, das gilt auch für sein Balzverhalten. Der Ruderfüßler lässt sich gut beobachten, denn meist sitzen Kormorane frei, sind also nicht hinter Blattwerk verborgen. Sie sind zudem mit einer Flügelspannweite von 120 bis 150 Zentimetern und der Größe einer Gans im Gelände unübersehbar. Besonders schreckhaft sind sie ebenfalls nicht. Das liegt daran, dass sie seit 1979 unter Schutz stehen und im Prinzip nicht mehr geschossen werden dürfen.¹
Mitte Januar überraschte mich ein Kormoran-Paar mit frühem Balzverhalten am Schlachtensee im Südwesten von Berlin. Das fischreiche Gewässer am Rand des Grunewalds suchen die Vögel seit einigen Jahren nicht mehr nur vereinzelt auf, sondern es hat sich eine Gruppe etabliert, die regelmäßig auf totem Geäst im See zu sehen ist. Gebrütet wird hier bisher allerdings nicht.
Einiges spricht dafür, dass es sich vor allem um Jungvögel handelt, die ihre überfüllte Ursprungskolonie – vielleicht am Wannsee auf der Insel Imchen bei Kladow – verlassen haben. Generell sind Kormorane dafür bekannt, dass sie ohne lange zu zögern an einen anderen Ort ziehen, wenn ihnen im Umfeld etwas nicht behagt.
Familienplanung
Drei oder vier Jahre sind die Vögel alt, wenn sie sich erstmals fortpflanzen, obwohl sie schon im ersten Jahr Muster des adulten Sexualverhaltens zeigen. Speziell im Frühjahr „üben“ subadulte Vögel die „Anmache”, also das Balzen, versuchen wohl auch zu kopulieren und ein Nest zu bauen.
Hauptsaison für die Balz sind die Monate Februar und März. Doch in milden Wintern kommen die Vögel schon im Januar oder gar im Dezember in Balzstimmung. Das ist nicht verwunderlich, denn das Gefieder der Kormorane ist dann längst durchgemausert und am schönsten – also ein sogenanntes Prachtkleid. Es wirkt auf Artgenossen, und auch auf uns, höchst attraktiv.
Kennzeichnend für dieses Prachtkleid sind die feinen weißen Federchen am Kopf und an den Seiten, also im Bereich der Flanken oder Weichen. Wenn die Eier gelegt sind und gebrütet wird, ist dieser zarte Federschmuck übrigens oft schon zerschlissen.
Die Balz beim Kormoran
Was ich kürzlich zufällig beobachten konnte, war ein Teil des adulten Balzrepertoires. Genaugenommen spielte sich nur der mittlere Teil des vollständigen Ablaufs vor meinen Augen ab. Dass es nicht mehr war, kann verschiedene Gründe haben.
Möglicherweise übte hier ein in der Balz noch unerfahrenes Paar – vielleicht war auch nur einer der beiden Vögel unerfahren. Möglich ist auch, dass so früh im Jahr das sexuelle Verlangen und das zugehörige Balzverhalten noch nicht voll ausgebildet waren. Die vom Licht und der Jahreszeit abhängigen Hormonlevel sind bei Weibchen und Männchen dafür ausschlaggebend.
Quasi als Vorbereitung auf die später folgenden Videoausschnitte möchte ich zunächst den üblichen Ablauf des Paarungsgeschehens in Anlehnung an das Handbuch der Vögel Mitteleuropas (Urs N. Glutz von Blotzheim, Bd. 1, Seite 238 ff) kurz vorstellen. Ich habe ihn mit zwei Standbildern aus meinen Videos ergänzt.
Es gibt eine einleitende Phase, bei der ein balzender Kormoran mit leicht entfalteten Flügeln schlägt. Der Vogel hebt dabei den gefächerten Schwanz steil nach oben, reckt Kopf und Hals senkrecht zum Himmel und schlägt rhythmisch, aber langsam mit seinen Flügeln. Man spricht vom Flaggen. Dabei demonstriert der Vogel die sonst teils verdeckten Schmuckfederbüschel an den Seiten.
Kommt dann der Partner, meist mit geblähtem Kehlsack und gesträubtem Kopf- und Nackengefieder zum flaggenden Vogel, folgt die zweite Phase der Balz, auch Gurgeln genannt.
Nun werden Kopf und Hals auf den Rücken geworfen, so dass sie horizontal liegen. Meist schüttelt der erregte Kormoran den Kopf schnell hin und her. Zugleich sind zweisilbige sonore Lautäußerungen zu hören, bei denen die zweite Silbe lang gedehnt ist. So entsteht das erwähnte Gurgeln.
Unterdessen kommt es zur Annäherung der Partner, und ein Kormoran springt auf den anderen. Es ist dies die Einleitung zur Kopulation, die von dem beobachteten Paar aber nicht ausgeführt wurde.
Die Stimme als Stimmungsausdruck
Bei meinem Rundgang um den Schlachtensee fielen mir schon aus der Ferne die Vokalisationen auf – also die sonor klingenden Lautäußerungen der Vögel. Sie werden auch als knurrend oder krächzend beschrieben, klingen aber unbedingt reizvoll.
Zwar ist der Kormoran abseits seiner Brutstätten still, doch eine Kormorankolonie mit Jungen ist bekanntlich extrem laut. Und gerade auch zur Balzzeit sind die Vögel vokal aktiv: Da hören wir etwa das angenehm klingende Chrochrochro, das die Tiere ein Chroho-chroho-chroho abwandeln können, oder ein rasches, tremolierendes Chrahohoho. Es handelt sich um Kontaktlaute beziehungsweise Stimmfühlungslaute. Sie werden auch als Zärtlichkeitsausdruck zwischen Partnern oder als Paarungsaufforderung gedeutet.
Im folgenden Videoschnipsel sind diese Laute zu hören. Sie waren von heftigstem Wind überlagert. (Ich danke Christian Jensen, dass er die Störgeräusche so herausgefiltert hat, dass von sonoren Freuquenzbereichen nur wenig verloren gegangen ist.)
Wir sehen, wie sich ein Partner dem anderen annähert, auf ihn springt und versucht zu kopulieren. Typisch für die Balz beim Kormoran ist auch der geblähte Kehlsack.
Anschließend hocken die Vögel nah beieinander und sind sehr ruhig. (Das Klatschen im Hintergrund stammt von einem weiteren Kormoran, der sich flügelschlagend im Wasser das Gefieder putzt.)
Schließlich verlässt ein Partner den gemeinsamen Platz auf einem toten Ast im Wasser und entfernt sich. (Die hellen klick-artigen Töne erzeugt ein vorbeischwimmendes Blässhuhn.)
Allem Anschein nach fand der andere Vogel das gar nicht gut, wollte das „Liebesspiel“ fortsetzen und forderte mit eindeutigen Signalen aus dem Verhaltensbereich Gurgeln dazu auf. Das blieb allerdings erfolglos.
Who is who?
Wenn es darum geht, zu erkunden wer in einem Paar das Männchen und wer das Weibchen ist, machen es Kormorane uns nicht leicht. In der Größe, den Gefiederfarben, der Gesichtszeichnung und anderen äußeren Merkmalen unterscheiden sie sich nicht systematisch. Und im Balzverhalten zeigen sie ebenfalls gleiche Verhaltensweisen. Im Handbuch der Vögel Mitteleuropas lese ich dazu auf Seite 258
Die Geschlechter sind ambivalent und wechseln bei der Balz öfters die Rollen, so daß das Verhalten keinerlei Hinweis auf das Geschlecht bietet …
Interessant sind die Beobachtungen von Jonathan Gentz zur Balz beim Kormoran (Der Falke, 1960, 11, S. 83-90). Der flaggende – also die Balz einleitende – Vogel war gewöhnlich das Weibchen und nur ausnahmsweise das Männchen, so sein Fazit.²
Wer bei der Kopulation welche Rolle spielt, bleibt in der Regel ebenfalls rätselhaft. Die Autoren des Handbuch der Vögel Mitteleuropas sprechen geschlechtsneutral vom „aktiven Vogel“ und formulieren so, Seite 258
Während der Kopula drückt der ,,aktive Vogel“ den Hals des Partners³ mit dem weit geöffneten Schnabel nach unten und streicht mit seinem Schnabel an dessen Hals sachte (wie liebkosend) auf und ab. Die Begattung wird mitunter (auch mit vertauschten Rollen) wiederholt. Als Paarungsnachspiel reiben beide Partner ihre Hälse in abklingender Erregung aneinander.
Nicht nur in äußeren Merkmalen und im Balzverhalten unterscheiden sich männliche und weibliche Kormorane kaum, auch Nestbau, Brut und Versorgung der Jungen regeln sie als Team mit jeweils gleichen Rollen. Das konnte ich in einer großen Kolonie am Kerkini See in Nordgriechenland beobachten. Wie dort die Jungen groß werden, berichte ich ein anderes Mal.
¹ Doch es gibt zur geltenden EU-Vogelschutzrichtlinie immer wieder Ausnahmeregeln. Alljährlich werden bei uns dadurch viele Individuen quasi legal getötet.
² Das konnte er durch den Abschuss von balzenden Kormoranen nachweisen. Dagegen wird das dem Flaggen oftmals folgende Gurgeln vielfach auch vom Männchen ausgeführt.
³ … beziehungsweise der Partnerin – so sollte es hier besser heißen.
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