An seichten Flussufern, auf überschwemmten Wiesen, in Mangroven, im Watt und am Strand finden sich manchmal gleich mehrere Vogelarten ein, weil sie hier zuverlässig satt werden. Es ist dies meist ein verträgliches Miteinander. Denn die Arten haben es auf unterschiedliche Nahrungsquellen abgesehen und nutzen unterschiedliche Techniken des Nahrungserwerbs.
Eine kleine, seltsame Gemeinschaft aus drei Vogelarten begegnete mir im Okawangogebiet von Namibia. Das Trio bestand aus einem finsteren Glockenreiher, einem rotgesichtigen Afrikanischen Löffler, der heute als Rotgesichtlöffler firmiert, und einem bezaubernden Pharaonenibis – vielen ist dieser noch als Heiliger Ibis bekannt.¹
Morgendliche Szenerie
Bevor ich die drei Arten bei ihrem Tête-à-Tête vorstelle, kommt hier ein Blick auf die morgendliche Szenerie mit einer großflächigen Feuchtzone am Rande des Okawango, mit den Flusspferden, Antilopen und zwei Reihern am gegenüberliegenden Ufer.
Der Glockenreiher
Einer der drei Kumpane des Trios ist der Glockenreiher, auch Schieferreiher oder Dunkler Reiher genannt. „Black Heron” heißt er in der englischsprachigen Welt. Doch ist „Glockenreiher“ sicher die passendste Bezeichnung. Sie hebt auf sein Verhalten beim Fischen ab – ein Verhalten, das einzigartig ist und ihn von dem Küstenreiher und anderen dunkel gefärbten Reiherarten unterscheidet: Er formt beim Fischen eine Art Glocke.
Aufrecht sieht der sehr dunkle, etwa 45 – 65 cm lange Reiher eher unspektakulär aus – zumal, wenn seine orange-roten Füße im Wasser verborgen sind und das hübsche Schopfgefieder anliegt.
Wenn er aber fischt, wird es kurios: Der Reiher bildet mit den ausgebreiteten Flügeln eine Glocke, unter der sein langer Hals und der Schnabel ganz und gar verschwinden, bevor der Vogel urplötzlich in Gänze wieder auftaucht. Auch der für Reiher so typischen Schmuckfedern am Kopf werden dann kurz sichtbar.
Über dieses Verhalten des Vogels ist viel spekuliert worden, und mit Experimenten wurde mehrfach versucht, es zu erklären. Dazu ein paar Stichpunkte:
Vermutlich wirft die Glocke einen Schatten auf die Wasseroberfläche, die den Blick des Reihers auf den Boden flacher Gewässer verbessert. Die kleinen Fische und Krebstiere, die er bevorzugt frisst, kann er so sehr wahrscheinlich zuverlässiger erbeuten.
Es gibt zudem die Überlegung, dass kleine Wasserlebewesen sich in den Schatten des Vogels flüchten. Denn im Schatten von Wasserpflanzen, Gestein oder Buschwerk fühlen sich – und sind – viele Tiere sicherer, wenn ihnen Gefahr droht. Der geflügelte Schattenwerfer könnte das ausnutzen, sie quasi in seinen Schatten locken, wo sie zur leichten Beute des Reihers werden.
Einen weiteren Effekt hat der österreichische Biologe Hans Winkler an der Küste des ostafrikanischen Tanzanias untersucht. Hier lebt eine Schleimfischart (Blenniden), von der sich die dortigen Glockenreiher vornehmlich ernähren. (Das Jagdverhalten des Glockenreihers Egretta ardesica, Journal für Ornithologie, 1983, Bd. 123, S. 307-314)
Winkler prüfte experimentell, wie sich diese bodennah lebenden Fische verhalten, wenn sie beschattet werden. Er fand heraus, dass insbesondere die kleinsten unter ihnen sofort wegflitzen, wenn Schatten auf sie fällt. Die größeren ducken sich hingegen weg, erstarren gewissermaßen und können so leicht erbeutet werden.
Mit anderen Worten: Gerade die größeren Fischexemplare entscheiden nicht, sich auf die Schnelle zu einem wuseligen Schwarm zusammenzuschließen und rasch wegzuschwimmen. Dieses Fluchtverhalten sorgt normalerweise für Verwirrung beim Jäger und ist als „Konfusionseffekt“ bekannt. Die interessante Überlegung von Hans Winkler ist daher, dass Glockenreiher diese unter Fischen verbreitete Abwehrstrategie aushebeln. Außerdem: Unter den zurückgebliebenen Schleimfischen befanden sich im Verhältnis mehr größere Exemplare. Gut für hungrige Reiher!
Während im ersten Videoausschnitt die Kamera auf den Glockenreiher fokussiert war, zeigt sich hier, dass ganz in seiner Nähe der schwarz-weiße Pharaonenibis nach Nahrung suchte. Dass ist übrigens kein Zufall: Die beiden werden oft nebeneinander gesehen – und auch dafür gibt es eine Erklärung.
Der Pharaonenibis
Beim schwarz-weißen Pharaonenibis imponieren besonders die Schmuckfedern über dem Bürzel – sie erinnern an den Federbausch des Kranichs. Der Vogel ist mit einer Körperlänge von 65 bis 90 cm deutlich größer als der schwarze Glockenreiher. Vor allem sind die Beine um einiges länger und ebenso sein kräftiger, gebogener Schnabel. Das lässt bereits erwarten, dass er sich anders ernährt.
Die langen Stelzen erlauben ihm, durch tieferes Wasser zu schreiten, ohne dass sein Gefieder durchnässt wird. Und mit langem Hals und Schnabel kann er ohne weiteres in den Boden vorstoßen, wo er stochernd nach Fressbarem sucht. In seinem bevorzugten Lebensraum, den Feuchtgebieten südlich der Sahara, gehören dazu Insekten und Krebstiere, Würmer, Schnecken, Muscheln und Frösche.²
Wie unsere Brachvögel ist der Pharaonenibis ein unermüdlicher Stocherer – und wenn er dabei Wasserlebewesen aufschreckt, stehen die Chancen gut, dass sie sich in den Schatten des Glockenreihers flüchten. Das ist zumindest eine Erklärung dafür, dass der Reiher sich häufig an den Pharaonenibis „heran macht“.
Als der Pharaonenibis entschied über eine kleine Vertiefung zu springen und dabei seine Flügel ausbreitete, zeigte sich übrigens zweierlei: das mit einem schwarzen Saum geschmückte Gefieder und die Tatsache, dass der Vogel im Federwechsel – also in der Mauser – war. Die Federkiele, aus denen sich die neuen weißen Federchen gerade herausschieben, sind stark mit Blutgefäßen versorgt. Daher die rote Färbung.
Bei seiner Stocherei hatte sich der Ibis zunehmend dem Fluss genähert, war aber mit dem Resultat seiner Nahrungssuche offenbar noch nicht zufrieden. Plötzlich hob er ab, um das andere Ufer zu erreichen. Zurück ließ er außer dem Glockenreiher auch den Rotgesichtlöffler.
Der Rotgesichtlöffler
Der dritte im Bunde der langbeinigen Vögel war der Rotgesichtlöffler oder Afrikanische Löffler, dessen Rumpf mit rund 90 cm deutlich größer ist als bei seinen zwei Kumpanen. In Habitus und Größe ähnelt er dem europäischen Löffler, der als Brutvogel immer häufiger an der Nordseeküste zu sehen ist.
Doch Unterschiede bestehen: Beim hiesigen Löffler sind Beine und Gesicht schwarz, bei der afrikanischen Art hingegen leuchtend rot. Ihre Vertreter sind südlich der Sahara verbreitet, überall dort, wo in Feuchtgebieten kleine Fische und Krebstiere, wasserlebende Insekten und andere Wirbellose leben.
Darum ist er im weitgehend trockenen Namibia nur im feuchten Caprivi-Streifen zu sehen, südlich der Sahara aber vielerorts.
Obwohl Pharaonenibis und Rotgesichtlöffler nah verwandt sind und zum Teil in gemischten Kolonien brüten, unterscheiden sie sich in der Ernährungsweise. Während der Glockenreiher seine Beute visuell ausmacht, reagieren die beiden anderen auf Berührungsreize am Schnabel – orten die Beute also taktil.
Der Rotgesichtlöffler ist jedoch kein Stocherer wie der Pharaonenibis, sondern er sichelt.³ Das heißt er zieht seinen Schnabel von links nach rechts durch das Wasser, fast so wie ich es schon für den Säbelschnäbler beschrieben habe.
Auf dem Foto werden die jeweiligen Techniken der Vögel nicht klar. Aber im Video! Und darum nun abschließend ein Ausschnitt mit dem sichelnden Löffler.
Wie eingangs erwähnt, haben Vögel, die im Wasser watend nach Nahrung suchen, lange Beine und lange Schnäbel. Sie haben noch etwas: große Füße mit enorm spreizbaren Zehen. Dadurch verteilt sich das Gewicht auf eine größere Fläche und begrenzt das Einsinken.
1. In der aktuellen Liste Deutsche Namen der Vögel der Erde gibt es einige, aber nicht viele Neubenennungen. Auf Basis der IOC-Weltliste hat die Deutsche Ornithologen-Gesellschaft 2017 eine Kommission eingesetzt, die als Vogelnamen eindeutige und beschreibende Begriffe gewählt, diskriminierende und kolonialistische Namen ersetzt und die Verwandtschaftsverhältnisse der Arten berücksichtigt hat. Diese Liste ist in der Vogelwarte 2020, Bd. 58. Heft 1 veröffentlicht und online abrufbar.
2. Das tut der Pharaonenibis nicht nur in Feuchtgebieten, sondern auch auf Agrarland und in der Savanne. Denn seine Nahrung ist vielfältig, neben Wasserlebewesen sind es auch Grashüpfer, Vogeleier und Sämereien.
3. Der Rotgesichtlöffler kann im weichen Boden auch das, was der Pharaonenibis fast immer macht: im Boden stochern. Ebenso kann der Pharaonenibis sicheln. Aber beide Techniken kommen eher selten vor.
Glockenreiher |Aigrette ardoisée | Black Heron| Egretta ardesiaca
Pharaonenibis = Heiliger Ibis |Ibis sacré | African Sacred Ibis | Threskiornis aethiopicus
Rotgesichtlöffler = Afrikanischer Löffler| Spatule d’Afrique| African Spoonbill | Platalea alba
Liebe Elke,
sehr interessant, wie unterschiedlich diese drei Vögel für die Nahrungsaufnahme ausgestattet sind. Dein Beitrag und die schönen Videoaufnahmen sind beeindruckend.
Dankeschön.