Manchmal unterscheiden sich Vogelarten rein äußerlich so wenig voneinander, dass man sie auch mit einem guten Fernglas kaum auseinanderhalten kann – vor allem wenn sie nicht ruhig sitzen. So erging es mir mit den verschiedenen Seeschwalben. Ihnen begegnete ich zum Beispiel an der Wattenmeerküste von Ost- und Nordfriesland, später in Frankreich und Weißrussland. Lange wusste ich nicht, ob ich es mit einer Fluss-Seeschwalbe oder Küsten-Seeschwalbe zu tun hatte. Denn einen schwarzen Kopf, rote Beine und einen roten Schnabel haben beide. Und sie sind etwa gleich groß.
Vom kleinen Unterschied
Heute weiß ich, wie man diese beiden Arten – deren Namen schon schwer genug zu lesen sind, wenn man sie nicht wie ich hier mit Bindestrich schreibt – relativ gut auseinander hält. Der Tipp kam von einem Biologen, der ornithologische Reisen begleitet und den ich auf meinem Weißrussland-Trip immer um Rat fragen konnte. Danke Martin!
Vorweg: Es kommt auf die Schnabelspitze an.
Bei der Fluss-Seeschwalbe ist der Schnabel rot, aber die Spitze sehr dunkel bis schwarz. Bei der Küsten-Seeschwalbe ist der Schnabel vollständig rot gefärbt. Bis vor zweihundert Jahren galten sie als eine Art. Der Ornithologe Johann Friedrich Naumann schreibt, dass erst 1819 Forscher die Verschieden-Artigkeit der schwarzköpfigen Vielflieger entdeckt haben (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1900, 3. Aufl., Bd. XI, S. 128).
Natürlich bestehen noch ein paar andere Differenzen:
Bei der Fluss-Seeschwalbe ist zum Beispiel der Schwanz etwas kürzer und ihre Flügelspitzen wirken von unten dunkler.
Aber das sind Feinheiten und teilweise stark vom Licht abhängig.
Im Sturzflug
In Weißrussland nahe Turov konnte ich die Flugkünste der Seeschwalben bei recht günstigem Licht bewundern. In diesem Feuchtgebiet des weitverzweigten Pripjat-Stroms brüten mehrere Arten: neben der Fluss-Seeschwalbe konnten wir die Trauer-, Zwerg- und Weißflügel-Seeschwalbe beobachten.
Ihren Konflikten mit den Lachmöwen und den gezielten Sturzflügen beim Fischfang habe ich lange Zeit mit Begeisterung zugeschaut.
Fluss-Seeschwalben gleiten auf der Suche nach Nahrung meist ruhig, fast gemächlich über die Wasserfläche. Doch plötzlich wird ein solcher Suchflug, so Naumann (S. 132),
… durch eine kühne Schwenkung aufgehalten, weil sie etwas im Wasser erblickte, das ihre Aufmerksamkeit erregte; ist es ihrem Scharfblick entschwunden, so segelt sie weiter, aber immer hat sie dabei den Schnabel gerade herabgerichtet; bald entdeckt sie etwas neues, flattert (rüttelt) über demselben und stürzt sich, nach festgenommenem Ziel, pfeilschnell darauf, dass das Wasser hoch aufspritzt.
Bedrohter Lebensraum
Fluss-Seeschwalben bleiben nur die Sommerwochen bei uns an passenden Küsten, Seen und Flüssen. Kaum haben sie ihre Jungen groß, ziehen sie wieder Richtung Westafrika, wo sie den Winter verbringen. Im Spätsommer kommen auch Artgenossen von Norden, die an der Küste von Skandinavien gebrütet haben, und rasten dann im Wattenmeer.¹
Obwohl die Fluss-Seeschwalbe recht flexibel bei der Wahl des Habitats ist – Hauptsache es gibt Wasser und darin kleine Fische, Krebstiere oder Insekten –, ist sie durch Eingriffe in die Natur vielfältig bedroht. Und darum ist es gut, dass der Verein Jordsand diese Seeschwalbe zum Seevogel des Jahres 2020 gewählt hat.
Vor allem ihre Brut ist durch die Begradigung von Flüssen, durch Entwässerungsmaßnahmen, aber auch durch Bade-, Sport- und Kurbetrieb gefährdet. Denn die hübschen Bodenbrüter, die meist nicht vereinzelt, sondern in Kolonien brüten, brauchen für ihr Gelege Strandwiesen, Kies- und Sandbänke.
Schon im 19. Jahrhundert, als die Vögel im Wattenmeer regelrecht verfolgt wurden, ging ihr Bestand stark zurück.² Wie es damals dazu kam, beschrieb damals Johann F. Naumann mit kritischem Blick (S. 136):
Bei den Fischern stehen sie in dem üblen Rufe des Fischraubes, zwar nicht ganz mit Unrecht, weil sie sich meistens von kleinen Fischchen nähren, und sie werden deshalb von jenen … oft unbarmherzig verfolgt, ihnen die Eier weggenommen oder diese nutzlos zertreten, auch die Jungen oft erschlagen u.s.w. Es werden indessen hierbei Eigendünkel und Selbstsucht des Menschen wohl ein wenig zu weit getrieben.
Weil dann im 20. Jahrhundert der Naturschutzgedanke populär wurde, gab es Anfang der 1950er Jahre wieder 13.000 Brutpaare hierzulande. Doch der Bestand nahm durch die Chemikalien-Belastung der Küstengewässer drastisch ab. Nur noch 4.000 Paare wurden in den 1960er Jahren gezählt.
Seit einigen Jahren brüten wieder 9.000 bis 10.000 Paare an den norddeutschen Küsten und im Binnenland. Neue Gesetze zum Gewässerschutz erleichtern den Fluss-Sesschwalben das Überleben, sowohl an den Flüssen und Flussmündungen von Elbe, Ems und Oder als auch an den Bergbauseen südlich von Bitterfeld. Gefährlich sind und bleiben für Seeschwalben vor allem Füchse, Katzen und andere Säuger, die Eier und Jungtiere auffressen.
Wenn zwischen Ende April und Anfang Mai die Fluss-Seeschwalben aus ihren Winterquartieren zurückkommen, werden sie hoffentlich geeignete Brutplätze und genug Nahrung bei uns finden…
¹ Wer erfahren möchte, wie und was an Fluss-Seeschwalben erforscht wird, dem empfehle ich das 2021 erschienene Buch Seeschwalbensommer.
² Mehr dazu in: Atlas Deutscher Brutvogelarten, Hrsg. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und DDA, 2015, S. 308
Flussseeschwalbe | Sterne pierregarin | Common Tern | Sterna hirundo
Alljährlich wählt der Verein Jordsand eine Vogelart zum „Seevogel des Jahres“. Gerade wurde der Seevogel 2020 gekürt. Es ist die Fluss-Seeschwalbe. Das ist eine gute Entscheidung, da auch diese Art durch Habitatverluste und Prädatoren stark unter Druck steht. Im Blog findet ihr sie im Vogel-ABC und über die Suchfunktion in der rechten Randspalte, oder ihr klickt auf Schwarzköpfige Flugkünstler.
Dein Bericht, liebe Elke, ist mal wieder sehr fundamentiert geschildert mit hervorragenden Fotos, die das Verhalten der Vögel bestens zeigen. Hat Freude gemacht, das zu lesen und zu sehen.