Wenn sein Schnabel im Wasser verborgen ist, lässt sich dieser Vogel durchaus mit einem weißen Reiher verwechseln. Aber der breit auslaufende, löffelförmige Schnabel verrät schon wenig später die Artzugehörigkeit: Es handelt sich um einen Löffler.
Nicht allein dieser Schnabel und wie er eingesetzt wird, ist bewundernswert, sondern auch die Gesamterscheinung des Vogels.
Mal erhaben und langsam, mal geschäftig und zügig schreitet er hochbeinig durch das Flachwasser, oder er steht am Schilfrand. Auf den ersten Blick durchaus einem Reiher gleich.
Aber der Löffler gehört nicht zur Gruppe der Reiher, sondern ist mit Ibissen wie dem Hagedasch näher verwandt. Früher wurde er jedoch tatsächlich den Reihern zugerechnet und – wie zu Zeiten von Alfred E. Brehm – sogar als Löffelreiher bezeichnet. Von den ähnlich großen Silberreihern lässt er sich allerdings bereits mit bloßem Auge gut unterscheiden: Im Stehen halten Löffler den Rumpf nämlich nicht so aufrecht wie es für Reiher typisch ist. Und im Flug ziehen sie den Kopf nicht reihertypisch ein.
Der etwa 80 bis gut 90 cm große Vogel hat ein wunderschönes weißes Federkleid, bei dem ein orangefarbener Fleck – auch Brustlatz genannt – unter dem Schnabelansatz auffällt. Sehr dezent ist sein zartgelber Halsring. Ein Kontrast zum hellen Gefieder bilden die schwarzen Beine und der lange schwarze Schnabel mit gelbem Rand am Ende. Nur im Prachtkleid, also in der Verpaarungs- und Brutsaison, tragen die Herren und die Damen einen kurzen, auffälligen Nackenschopf.
Zwischen Nordsee und Nordafrika
Bevorzugter Lebensraum der Löffler sind die Flachwasserzonen von Lagunen und Seen. Dort brüten sie im Schilf oder auch auf Büschen – meist gemeinsam mit anderen Löfflern in einer Brutkolonie. Früher war die Art in Norddeutschland häufig und zählte an der Nordsee zur heimischen Brutvogelwelt, berichtet der ausgewiesene Vogelkenner Uwe Westphal in seinem unterhaltsamen Buch Schräge Vögel ¹. Denn die Küstenregion Frieslands sah vor tausend Jahren ganz anders aus als heute. Knochenfunde belegen, dass hier Löffler und sogar Krauskopfpelikane lebten und die Friesen sich deren Fleisch schmecken ließen, Seite 28
Bevor die Menschen etwa ab dem Jahr 1000 n. Chr. anfingen, das Land mit Deichen vor den regelmäßigen Überflutungen zu schützen, war die Wattenmeer-Region eine amphibische Wildnis mit seichten Lagunen und Flachwasserbereichen, die weit ins Landesinnere reichten – perfekte Lebensbedingungen nicht nur für Löffler. Die Veränderungen der Landschaft durch den Deichbau sowie die Jagd führten dann zum Verschwinden dieser Art, die einst zu den Charaktervögeln der Nordsee zählte.
Seit den 1960er Jahren sind die Löffler an der Nordseeküste zurück! Die ersten brüteten in den Niederlanden, dann gab es eine Brut auf der niedersächsischen Vogelinsel Memmert und seit 1995 brüten sie auf mehreren ostfriesischen Inseln.
Ich selbst sah die Löffler erstmals auf Wangerooge, aber in großer Entfernung.
Die relativ scheuen Vögel sind klug und siedeln sich aus guten Gründen in den Schutzzonen des Nationalparks-Wattenmeer an. Im Sommerhalbjahr sind sie dann in Dünentälern und auf den Salzwiesen unterwegs.
Mittlerweile begegnen sie uns auch an der Küste von Schleswig-Holstein bis hinauf nach Dänemark; kein Wunder, dass mich – bei norddeutschem Nieselwetter – auf Neuwerk ein Löffler überflog.
Löffler an der Coto de Doñana
Kürzlich hatte ich das Glück, einem Vertreter der Art sehr nahe zu kommen, und zwar an einer Lagune im Süden Spaniens. Er war zunächst zwischen Wasserpflanzen verborgen. Als ich ihn entdeckte, stand ich in El Rocio, am Rande des berühmten Nationalparks Coto de Doñana, auf der Dachterrasse des Ornithologischen Zentrums Francisco Bernis und blickte auf die Lagune. Kurz vor der Schließzeit war ich die einzige Besucherin. Mir stockte ein wenig der Atem, als der Vogel immer näherkam und mich offenbar nicht bemerkte.
Wenn der Löffler fischt, wird der Schnabel tief ins Wasser getaucht , mit ausladenden Pendelbewegungen von links nach rechts geschwungen und je nach Bedarf geöffnet.
Wie das Pendeln aussieht, illustriert das folgende Video. Die Bewegung erinnert an die Technik des Säbelschnäblers, der ja ebenfalls einen auffälligen Schnabel hat und im Flachwasser fischt. Doch: Auch diese beiden Vogelarten sind nicht so nah miteinander verwandt, wie oft vermutet wird. Ihr ähnliches Verhalten beim Fischen, die langen Beine und der lange Schnabel sind Anpassungen an den Lebensraum, keine durch Verwandtschaft verankerte Ähnlichkeit. In der Biologie sprechen wir von Analogie oder Konvergenz.
Die ausladenden Schwünge sind kraftvoll und beeindruckend. Die Windgeräusche auf dem Dach der Naturschutzstation unüberhörbar 😉 .
Nahrungssuche in der Lagune
Die Nahrungssuche, die viele Vogelarten mit den Augen oder – wie die Eulen – mit ihrem Gehör bewerkstelligen, gelingt Löfflern mit ihrem löffelartigen Schnabel und durch seine Empfindlichkeit für taktile Reize. Unter Wasser ist er leicht geöffnet, und da das Innere mit feinen Tastkörperchen ausgestattet ist, reagiert er auf direkte Berührungen und auf die Vibrationen, die von potentieller Beute ausgelöst werden.
Hat der Vogel bei seinen ausholenden Pendelbewegungen ein Beutetier bemerkt, schnappt er blitzartig zu und fängt so einen kleinen Fisch oder Frosch, ein Krebstier, eine Insektenlarve, Schnecken mit und ohne Schale … Mit einer leichten Kopfbewegung nach oben befördert er dann die Beute in seinen Schlund. Auch Wasserpflanzen gehören zu seiner Nahrung, lese ich im Handbook oft he Birds of the World.²
Einen löffelartig verbreiterten Schnabel hat bekanntlich auch die Löffelente, die schwimmend das Wasser durchseiht. Sie nimmt dabei nur Kleinstorganismen auf. Ihr Schnabel ist nicht extrem lang, und ihre Technik ist eine andere als beim Löffler: Sie filtert.*
Ich hätte dem Löffler, der so rasant durch das Wasser pflügte, noch lange zuschauen mögen, aber die Naturschutzstation machte schon „Überstunden” … Da plötzlich verabschiedete er sich und flog dem gegenüberliegenden Ufer der Lagune zu.
Wollte er die dort nistenden Artgenossen aufsuchen? Oder steckt in ihm die Furcht vor dem menschlichen Jagdeifer**, von dem Alfred E. Brehm in seinem „Tierleben”³ in der Sprache des 19. Jahrhunderts berichtet, Seite 541
Er gehört zu den vorsichtigen und klugen Vögeln, die sich in die Verhältnisse zu fügen wissen und jedes Ereignis bald nach seinem Werte abzuschätzen lernen, zeigt sich da verhältnismäßig zutraulich, wo er nichts zu fürchten hat, äußerst Scheu hingegen an Orten, wo dem Sumpfgeflügel nachgestellt wird.
* Pumpbewegungen der Zunge saugen während des Schwimmens immerzu Wasser ein und stoßen es wieder aus. Die Lamellen im Oberschnabel arbeiten dabei wie ein Filter und halten die Nahrungspartikel um Mundraum zurück.
** Es ist durchaus möglich, dass Löffler (speziell) in nordafrikanischen Überwinterungsgebieten noch geschossen werden.
¹ Uwe Westphal, Schräge Vögel, Pala-Verlag, Darmstadt 2015
² J. del Hoyo, A. Elliott, J. Sargatal (Hrsg.), Handbook of the Birds of the World, Bd. 1, Lynx Edicions, Barcelona 1992
³ Alfred E. Brehm, Brehms Tierleben, Leipzig und Wien 1900
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