Wer auf diesen so wundervoll ergrünten Baumhühnen schaut, fragt sich vielleicht zunächst: Was ist das für ein ungewöhnliches Exemplar? Die Antwort kann ich geben: eine Metasequoia. Solche Bäume wachsen bei uns in Parks, sie werden auch als Urweltmammutbaum bezeichnet.
Allerdings kann ich noch mehr zu diesem Baum im Berliner Südwesten erzählen. In ihm ist nämlich ein Habichthorst verborgen. Und jetzt, Anfang Juni, werden dort gerade drei Junge flügge. Sie mutieren von Nestlingen mit weißen Dunen zu Ästlingen mit einem braun-gesprenkelten Gefieder. – Wir nähern uns der Sache jetzt mal langsam an.
Wie ein Vorhang verbergen zahlreiche im Mai ergrünte Zweige mit sehr zarten Nadeln den Habichthorst.
Wer ein gutes Fernglas besitzt und die richtige Lücke zwischen den Zweigen findet, entdeckt wahrscheinlich auf halber Höhe eine ungewöhnliche Ansammlung von Ästen und Zweigen. Das ist der Horst, den Habichte gerne in immergrünen Kiefern errichten, aber auch in Laubbäumen wie der Buche. Mit dem Horstbau beginnen Habichte manchmal schon im Herbst, vor allem in den Wintermonaten ab Januar sind sie mit Neuanlagen oder Umbaumaßnahmen beschäftigt.
In Die Habichte lese ich zur Horstanlage (Wolfgang Fischer, Die Neue Brehm-Bücherei, Lutherstadt Wittenberg, 1983, S. 65):
Der Horst des Habichts ist ein selbst gebauter, solider, hoch aufgeschichteter Bau und steht zumeist in der Kronenzone älterer Waldbäume. Seine Höhe über dem Erdboden liegt bei 15 – 20 m, mitunter auch unter 20 und über 25 m … Meist steht der Horst in Stammnähe in einem Astquirl oder direkt am Stamm. … Die Horstunterlage können alte eigene Bauten sein, ebensogut werden aber auch vorjährige und ältere Horste besonders von Mäuse- und Wespenbussard sowie vom Rotmilan aufgeschichtet.
Das Paar in der Metasequoia hatte sich für eine Neuanlage entschieden. Im Vorjahr hatte das Männchen mit seiner damaligen Partnerin das ehemalige Krähenest in einer Douglasie zum zweiten Mal genutzt und ausgebaut. Im Oktober 2017 hatte aber ein heftiger Sturm diesen Horst vom Baum gefegt.
Die Horste in Laubbäumen oder in Nadelbäumen, die wie diese Mammutbäume im Herbst ihre Nadeln abwerfen, finde ich besonders spannend. Denn wenn Habichte in den Wintermonaten damit beginnen, einen neuen Horst zu errichten oder einen fremden umzubauen, dann können sie eigentlich noch gar nicht wissen, wie gut die brütende Habichtdame und ihre Jungen später vor Hagel, Sturm und Sonne geschützt beziehungsweise neugierigen Blicken entzogen sind.
Zudem: Sowohl die Eier als auch die Jungen werden nicht immer von einem Altvogel bedeckt beziehungsweise „gehudert”. Zeitweise ist der Nachwuchs „Mutterseelen allein” und wartet auf die Eltern, die Beute schlagen und anliefern müssen. Schützende Vegetation ist daher wichtig.
Jungvögel im Nest
Wenn man den Horst schon soweit angepeilt hat und etwas Glück mitbringt, dann richtet sich eventuell gerade eines der Jungen auf, die meist unsichtbar in der Nestmulde hocken – jedenfalls solange kein Altvogel mit leckeren Bissen angeflogen kommt und solange ihr Bewegungsdrang noch nicht allzu groß ist. Der wächst aber bei den Habichtjungen, sobald sie drei Wochen alt sind, allerdings von Tag zu Tag beträchtlich.
Bei meinem Horstbesuch am 30. Mai 2018 sah ich zuerst einen Jungvogel, der bereits ziemlich aktiv war. Viel Braun hatte er im Gefieder. Das bedeutet, dass er kein Baby mehr war, sondern vor etwa einem Monat aus dem Ei schlüpfte. Dicht neben ihm entdeckte ich plötzlich ein zweites Junges. Schließlich waren sogar drei Jungvögel zu erkennen – wobei das älteste Habichtkind bei dieser Aufnahme gerade von den wehenden Zweigen etwas verdeckt ist.
Rückblick in den März
Bereits im März hatten die Berliner Greifvogelexperten vom NABU erkannt, dass sich ein Habichtpaar die Astgabel eines mächtigen Mammutbaums als Basis für die Konstruktion eines neuen Horstes ausgesucht hatte. Ich habe trotz widriger Wetterbedingungen nach dem Paar Ausschau gehalten – besser gesagt, meine Ohren offen gehalten. Denn meistens hört man zuerst das Habicht-typische Gickern. Und dann sah ich sie.
Kurz darauf beobachtete ich eine Kopulation und erfuhr dann später von anderen Habichtbegeisterten, dass ich den männlichen Habicht bereits aus dem Vorjahr kannte. Das hatte eine Ringablesung ergeben. Seine Partnerin ist allerdings neu und unberingt. Die Habichtdame aus dem letzten Jahr, mit der er in der erwähnten Douglasie drei Junge großgezogen hatte, ist leider nicht wieder gesichtet worden und gilt derzeit als verschollen.
Jede Kopulation, die in der Regel auf dem Ast eines benachbarten Baumes – also nicht auf dem Horstbaum – stattfindet, ist von viel Aufregung und Getöse begleitet. Typisch sind längere Reihen von „Wäd-wääd-wääd”-Rufen und von „Hia hia”-Reihen des Männchens. Das wird auch Terzel genannt.
Wie kahl und wenig einladend die Mammutbäume zur Zeit der Kopulationen im kalten März aussah, seht ihr hier. Bitte vergleicht das mit dem dritten Foto von oben und mit meinen Fotos von den neugierigen Jungvögeln weiter unten in diesem Blogpost.
Als es im April auch in Berlin milder wurde, hat das Habichtpaar den Horst mit kleinen Ästen höher gezogen und innen mit frischem Grün ausgelegt. Damit ist der Terzel meist auch dann noch beschäftigt, wenn das Weibchen bereits brütet. Dazu bemerkt Wolfgang Fischer in Die Habichte (S. 67):
Der Innenbau und die Mulde werden mit feineren Zweigen, sehr oft mit grünen Reisern, ausgelegt, die Vögel tragen auch lange Koniferennadeln und Spiegelrinde von Kiefern ein.
Neugierige Jungvögel
Als ich am 30. Mai nach längerer Abwesenheit – ich war ja in Armenien auf einer vogelkundlichen Reise – zum ersten Mal wieder nach dem Habichthorst schaute, hockten nicht nur die drei Jungvögel im Nest, sondern ich konnte aus einer anderen Perspektive beobachten, dass sich zwei schon munter im Geäst des Mammutbaums bewegten. Sie kletterten von Ast zu Ast, schlugen mit den Flügeln, hüpften ein wenig herum. Mit anderen Worten: Aus den Nestlingen waren bereits Ästlinge geworden.
Was mich auch dieses Mal fasziniert hat, ist die Aufmerksamkeit und Neugier, mit der die Jungen die so fremde Welt betrachten. Sie ließen mich praktisch nicht aus den Augen.
Habicht | Autour des palombes | Goshawk | Accipiter gentilis
Eine Woche nach dem ersten Besuch der Habichtjungen war ich erneut am Horst. Und da saßen alle drei schon außerhalb des Nestes, zwei flogen bereits zum Nachbarbaum. Als der Vater mit Beute zurückkam, flogen sie aber flugs zum Nest zurück.
Jungvogel mit herzförmiger Musterung der Unterseite