Als Kind bin ich mit der Vorstellung aufgewachsen: Störche fressen Frösche. Längst hat sich – etwa durch Fernsehsendungen – herumgesprochen, dass sie alles Mögliche fressen, zumal auf manchen Müllhalden der iberischen Halbinsel. Aber dass ein Storch mit einer Handvoll Mäuse seine Jungen füttert und sich sechs! wohlgenährte, leblose Exemplare selbst einverleibt, das ist schon ein Ding.
Von der „Beziehung” Storch und Maus möchte ich heute berichten. Aber der Reihe nach.
Es ist immer ein Vergnügen mit diesen kleinen Fähren von einem Elbufer auf das andere überzusetzen. Das habe ich in Sachsen-Anhalt schon oft genossen. Und kein Motor, sondern die Strömung sorgt bei dieser Gierseilfähre für den Antrieb!
Bei der beschaulichen Überfahrt von Barby nach Walternienburg in Richtung Zerbst war mir am gegenüberliegenden Ufer ein Storch aufgefallen.
Ganz still stand Adebar dort im Grünen. Bewegungslos. Er schien sich auszuruhen.
Die Fähre schaukelte ein wenig, es war mehr als warm, und der Storch war ziemlich weit entfernt. Das Foto ist aus diesen Gründen nicht wirklich scharf. Aber der Storch unverkennbar.
Mein Mann und ich hatten gerade die Fähre verlassen, als ein Storchenhorst mit zwei Jungen unmittelbar neben der Straße auftauchte. Die bereits weit entwickelten Storchenkinder standen auf dem Nest.¹ Wir holten zügig Fernglas und Kameras aus der Tasche.
Vom Anflug bis zur Fütterung
Kurz darauf, erschien ein Altvogel, und zwar aus der Richtung des Elbufers. Wir hatten ihn also bereits gesehen.
Wie schon so oft von mir bestaunt, flog dieser Weißstorch das Nest von unten an und landete dann sehr elegant am Nestrand.² Die Jungen setzen sich in dem Moment hin, und einer klapperte zur Begrüßung – ein Zeremoniell, das wir bei adulten Störchen immer wieder beobachten können. Etwa wenn sie sich bei der Fütterung ablösen.
Was dann geschah: Kurz darauf beginnen die Jungen zu betteln, indem sie mit ihrem Schnabel an den Schnabel des Altvogels klopfen – nicht an die Spitze, sondern im Bereich der Schnabelwurzel. Das habe ich schon einmal beschrieben. Es führt dazu, dass der Altvogel zu würgen beginnt. Nahrung, die er den Jungen mitgebracht hat, rutscht dann aus der Speiseröhre via Schnabel auf den Nestboden.
All das ist im ersten Abschnitt von drei Abschnitten des folgenden Videos zu sehen. Es ist ein Zusammenschnitt, der mit drei Minuten Dauer für den Vogelblog Flügelschlag und Leisetreter ungewöhnlich lang ist. Aber ich denke, Anschauen lohnt sich.
Der zweite Abschnitt enthält eine Szene, in der ein Jungvogel sich bemüht, eine tote Maus in seinem Schnabel gut zu platzieren, und zwar so, dass er sie der Länge nach verschlucken kann. Gestört wird er dabei manchmal von dem Altvogel, der offenbar ebenfalls hungrig ist.
Im dritten Abschnitt ist zu sehen, wie der fütternde Storch würgt und Nahrungsbrocken ausspeit. Jung und Alt fressen mehrere hervorgewürgte leblose Mäuse. Wer genau hinschaut und mitzählt erkennt, dass der Altvogel nach und nach sechs Mäuse verschlingt. Er nimmt sie vom Nestboden auf, wirft sie etwas hoch und: Aus die Maus!
Gegen Ende des Videos ist offenkundig, dass der Hunger allseits gestillt ist. Die Jungvögel werden ruhiger, der Altvogel steht am Nestrand und fliegt ab.
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Störche Mäuse fressen, Mäuse sind im Gegenteil eine wichtige und häufige Nahrung.³ Darum folgen Störche, die als Schreitjäger bezeichnet werden, oft den Erntefahrzeugen, die Feldmäuse aufschrecken oder verletzten. Gerhard Creutz beschreibt in der schönen Monographie Der Weiss-Storch (Neue Brehm-Bücherei, 1985, Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt) die Strategie von Adebar so, Seite 49
Gern folgt er einem Pflug oder Heuwender … Freigelegten Mäusen, die ihm zu entwischen drohen, folgt er rennend oder gar in Flugsprüngen mit Unterstützung der Flügel. Vor ihren Schlupflöchern verweilt er manchmal geraume Zeit in gespannter Lauerstellung mit stoßbereit abwärts gerichtetem Schnabel oder fährt mit hörbarem Schnabelklappern in sie hinein.
Vögel haben keine Zähne
Manche Vögel sind Vegetarier, also auf grüne Pflanzenteile, Früchte oder Sämereien spezialisiert. Andere bevorzugen generell animalische Kost. Und dann gibt es noch die Gemischtköstler oder Allesfresser, die auch vor Aas und Abfällen nicht Halt machen. Dazu gehört der Storch.
Wie die Vogelarten, die Beute machen, ihre Nahrung aufnehmen, ist nochmals eine andere Frage: Unter den größeren Arten, packen manche mit den Füßen – ihren Fängen – zu und zerkleinern die Beute anschließend mit dem Schnabel. So machen es der Habicht, der Fischadler und verwandte Greifvogelarten. Andere Vögel schlucken ihren Fang als Ganzes hinunter. Das lässt sich schön beim fischenden Rothalstaucher beobachten. Oder eben beim Storch oder Weißstorch.
Ein paar Tricks der zahnlosen Vögel beim Umgang mit Beute:
Vögel haben einen Schnabel, aber bekanntlich keine Zähne. Wer große Beute fängt und sie nicht zerlegen kann, der braucht daher einen passenden Schlund und eine Speiseröhre, die sich gut erweitern lässt. Das ermöglichen zum Beispiel Längsfalten in der Speiseröhre, die diesen Kanal besonders dehnungsfähig machen. Vergleichbar einem Faltenrock.
Außerdem ist es von Vorteil, wenn die Nahrung gut gleitet: Schuppige Fische werden darum mit dem Kopf voran verspeist. Eine feuchte Auskleidung der Speiseröhre oder nach der Mahlzeit mit Wasser nachzuspülen, ist ebenfalls nützlich.
Gerhard Creutz schreibt dazu, Seite 51
Wichtig ist die Gleitfähigkeit der Beute. Jedes größere trockene Tier wird zielstrebig zum Wasser getragen, wo solches nahe erreichbar ist, und mit der Schnabelspitze gehalten, mehrfach eingetaucht, hin- und hergeschwenkt oder auch in das Wasser geworfen und wieder herausgefischt und geprüft, ob es schluckbar ist.
Und der Autor ergänzt:
Diese Verhaltensweise wenden auch ohne Vorbild aufgezogenen Jungstörche an. Sie sind also angeboren und werden lediglich durch selbstgemachte Erfahrungen weiterentwickelt.
Immer kommt es beim Beutemachen auf eine gute Technik an: Frosch, Heuschrecke oder Maus werden etwas hochgeworfen und mit dem Schnabel so aufgefangen, dass größere Beute anschließend gut liegt – also nicht quer zum Schnabel.
Wie vielfältig die Nahrung von Störchen ist, geht aus Magenuntersuchungen von verunglückten oder totaufgefundenen Störchen hervor. Oft spielen Käfer und Engerlinge eine große Rolle, manchmal auch Regenwürmer. Tatsächlich haben Storch und Maus eine besondere Beziehung, denn Adebar hat die kleinen Nager zum Fressen gern.
Um 1900 herum ergab die unveröffentlichte Reihenuntersuchung eines Forschers laut Gerhard Creutz folgendes Sammelsurium, Seite 51
Er entnahm 17 Magen mindestens 11 Maulwürfe, 66 Mäuse, einige Schlangen und Blindschleichen, mehr als 20 Eidechsen, 2 Frösche, einige hundert Käfer und Engerlinge, Dutzende von Grillen, Maulwurfsgrillen und Heuschrecken und außerdem eine halbe Ratte, 3 Küken, die mit dem Mist auf das Feld gefahren worden waren, ein Stück totes Huhn, Schuhleder und ein Holzstück von 2 Zoll Länge.
Beim Verschlucken unterstützen die Zunge und Muskulatur in Gaumenbereich die Abwärtspassage. Meist wird zudem der Kopf angehoben und der Hals gestreckt. Auf diese Weise gelangt die Beute zunächst in den Kropf, eine Erweiterung der Speiseröhre, und wird dort eingeweicht beziehungsweise durch Enzyme angedaut.
Will ein hungriger Vogel fressen, wird die Nahrung weiter in den Magen befördert. Will aber ein Vogel wie der Storch seine Jungen füttern, muss er die Happen zunächst im Kropf speichern und von dort wieder hinausbefördern.
Beim Hochwürgen hilft übrigens ein Ringmuskel, der die Nahrung nach oben presst. Ausgelöst wird das Verhalten durch das Betteln der Jungen, die an den Schnabel klopfen und immer wieder ihren Schnabel zwischen die obere und untere Schnabelhälfte des Elternvogels stecken.
Übrigens wird das Würgen auch dann benötigt, wenn Unverdauliches ausgespeit werden muss. Das geschieht beim Weißstorch alle ein bis zwei Tage. Diese Gewölle enthalten Säugetierhaare, Chitinteile von Insekten, Federn, Schalenreste von Schneckenhäusern und vieles mehr.
Zum Fressen gern: Storch und Maus
Ist der Altvogel selbst hungrig und die Jungen sind satt oder nicht schnell genug, dann nimmt er das Hochgewürgte wieder auf. Das konnte ich schon mehrfach beobachten. Bei diesem Storchenhorst am Elbufer waren es eine kleine und fünf größere Mäuse, die wieder in seinem Schnabel verschwanden.
Der Titel dieses Blogbeitrags „Aus die Maus“ könnte missverstanden werden. Denn die Mäuse, die aus dem Kropf hochgewürgt wurden, waren natürlich alle längst tot. Gut zu erkennen ist, dass sie feucht und etwas glibberig waren. Das kann an Sekreten im Verdauungstrakt liegen, aber auch daran, dass Störche – wie oben erwähnt – ihre Beute einweichen. Vielleicht stand dieser Vogel deshalb etwas versonnen wirkend am Elbufer. Oder er hatte mit einem großen Schluck Wasser nachgespült.
¹ Bei Storchenkindern ist der Schnabel noch dunkel; er wird erst mit der Zeit rot.
² Dies ist eine Strategie, die hilft, Geschwindigkeit zu reduzieren und also sanfter zu landen.
³ Ob insbesondere Feldmäuse auch eine gefährliche Kost sind, kann ich nicht beurteilen. Da auf Agrarflächen auch Mäusegift ausgebracht wird, das für Greifvögel tödlich sein kann, lauert da womöglich eine Gefahr.
Storch = Weißstorch | Cigogne blanche | White Stork | Ciconia ciconia
Liebe Elke, ein ganz wunderbares Video vom Mäusestorch!
Herzlich
Irma
Ein großes Merci an Bernd und Irma für eure Kommentare Das freut mich!
Liebe Elke Brüser!
Derartig interessante Videos, die auch noch dermaßen aufschlussreich mit Informationen aufbereitet werden …
Vielen Dank!