Im Winter wirkt das Tempelhofer Feld nicht sonderlich attraktiv. Es dominieren die grauen Start- und Landebahnen, Büsche und Laubbäume stehen trostlos in der Gegend, ansonsten viel verdorrtes Kraut. Manchmal ist die Bodenflora überfroren, oft weht ein eiskalter Wind. Und doch lohnt sich ein Besuch, denn fast immer lassen sich Greifvögel blicken, Vogelschwärme überfliegen die unverbaute Fläche, Krähen oder Großmöwen fahnden nach Nahrung.
In der warmen Jahreszeit wird das Tempelhofer Feld von vielen Berlintouristen und städtischen Ausflüglern angesteuert. Im Winter fallen auf dem ehemalige Flughafengelände jedoch ganz andere Ausflügler auf.
Als ich kürzlich noch dabei war, den Blick auf das von der Morgensonne angestrahlte Hauptstadtzentrum zu genießen, entdeckte ich plötzlich einen wunderschön gezeichneten Mäusebussard. Er saß zunächst verborgen im Geäst und schwang sich – als ein Taubenpärchen das Weite suchte – auf eine zapfenreiche Zypresse. Dort blieb er nicht lange, sondern zog schon bald über die Autobahn davon. Schade.
Keine Freundschaft
Natürlich kreuzten schon bald Turmfalken auf, die hier jagen. Sie hatten wieder mal mit den Nebelkrähen Stress, die sich fast immer auf dem Flugfeld herumtreiben und die oft versuchen, den Greifvögeln ihre Beute abzujagen. Dieses Mal fiel mir etwas Besonderes auf: Einer der Falken hat sich offenbar mit der Gegenwart einer Nebelkrähe – oder sogar mehrerer – arrangiert. Sie saßen oft nebeneinander. Aber Freunde sind die sicher nicht.
Ich vermute, dieser schwarz-graue Nachbar ist eine Art Parasit: Er wartet auf den Jagderfolg des kleinen Greifs und versucht dann, an dessen Beute zukommen. Dass der Turmfalke das Nebeneinander akzeptiert, erkläre ich mir so: Wahrscheinlich steckt es nicht in seinem ererbten Verhaltensprogramm, eine ruhig ausharrende Krähe zu vertreiben – und gelernt hat er es offenbar auch nicht. Zumindest bisher nicht.
Zugeflogen
Überrascht wurde ich dann von den Großmöwen, die ganz plötzlich herbeiflogen, aber nach einer Auseinandersetzung mit den Krähen auch genauso schnell wieder davonsegelten.
Ich war von der Szenerie unglaublich fasziniert, muss aber zugeben, dass ich mir bei der Artzuordnung nicht absolut sicher war. Zunächst dachte ich an Steppenmöwen. Nicht etwa, weil das Tempelhofer Feld im Winter durchaus etwas Steppenartiges hat, sondern weil die Steppenmöwen aus dem asiatischen Lebensraum den Weg nach Westeuropa angetreten haben und nun bereits in Berlin brüten. Sie zählen also zu den Neozoen.
Steppenmöwen sind Nahverwandte der Silbermöwe und der Mittelmeermöwe, und lange Zeit hielt man diese drei Vögel nicht für getrennte Arten, sondern verstand sie als eine Art. Und rein äußerlich sind die 50 – 55 Zentimeter großen Vögel mit dem silbergrauen Rücken in der Tat schwer zu unterscheiden. Silbermöwen, wie auch die kleineren Lachmöwen, sind in Berlin und Brandenburg häufiger zu sehen. Die Mittelmeermöwe lebt jedoch hauptsächlich in Südeuropa.
Nomenklatur
Silbermöwe = Larus argentatus
Steppenmöwe = Larus cachinnans
Mittelmeermöwe = Larus michahellis
Neue Mitbewohner sind also die Steppenmöwen, die sich als Standort die kiesbedeckten Flachdächer der Hauptstadt auserkoren haben. Und dort brüten sie auch. Das habe ich kürzlich bei den Riffreportern in einem ausführlichen Bericht über die geflügelten Zuwanderer gelesen.
Ich habe allerdings schließlich in Erfahrung gebracht, dass ich beim Besuch des Tempelhofer Feldes nicht Steppenmöwen sah – sondern die häufigeren Sturmmöwen (Larus canus). Die Gründe dafür stehen im ersten Kommentar unter diesem Blogpost.
Altbekannte Wintergäste
Übrigens hatte ich auf dem Rückweg noch meinen Spaß mit den Saatkrähen, die seit Jahrzenten aus der Gegend um Moskau anreisen und in Berlin traditionell den Winter verbringen. Die riesigen Schwärme mit zigtausend Vögeln bleiben aber seit langem aus, denn früher konnten sie sich auf den offenen Müllhalden sattfressen. Heute existieren diese nicht mehr am Berliner Stadtrand.
Umso schöner, dass man diese imposanten Rabenvögel noch auf dem Tempelhofer Feld beobachten kann.
Schöne Fotos!! Heute habe ich dort auch einen kleinen Turmfalken gesehen, der wenig Scheu vor uns Spaziergängern zeigte. Auch im Sommer, bei vielen Besuchern mit Decken und Drachen im Gepäck, tauchen die mitten unter den Menschen oder per Rüttelflug zwischen Einleinern auf. Die Krähen wissen, wer eine echte Gefahr darstellt und wer nicht. Bei einem Wanderfalken wären sie im Beuteschema und sicherlich distanzierter. Ich erlebe Krähen von meiner Dachterrasse aus auch im „Zoff“ mit Elstern und Ringeltauben, wobei es dabei nur um die Verteidigung eines Sitzplatzes auf der Antenne oder dem Schornstein geht, also mehr um eine Hackordnung.
Wir können froh sein, dass mitten in der Stadt eine gewisse Artenvielfalt ist und Tiere sich so gut anpassen können. So freue ich mich über diverse Besucher auf meiner kleinen Dachterrasse, von kleinem Sperbermännchen über Eichelhäher bis hin zum Eichhörnchen, das sich für nicht abgeerntete, halb eingetrocknete Tomaten erbarmt. Elstern nutzen die Pflanzkästen als Versteck, während Sperlinge die Vogeltränke auch mal als Badestelle nutzen: Ohne diese Besuche wär`s nicht halb so interessant.
Danke @Michael Strauß. Da stimme ich völlig zu!
das Pärchen aus Turmfalke und Nebelkrähe hab ich heute wieder gesehen. scheint nun schon eine jahrelange Beziehung zu sein. Kann das jemand erklären?
@ Micha Meine Vermutung ist, dass die sich wirklich kennen, weil die Turmfalken in der Nähe aus dem Ei schlüpfen und die Nebelkrähen sicher auch. Dann ist das Tempelhofer Feld für beide „ihr“ Revier. Man kennt sich also. Die Turmfalken werden dort oft von Krähen gejagt. Heute, bei Sonne und Kälte, ist sicher ein guter Tag, das zu beobachten.
Schönes BLOG! Gut geschrieben und gute Ausrichtung, nicht Artenjägerei und nicht pseudowissenschaftlches Geblubber sondern auf das eigene Erleben bezogen!
Zum Thema: Ich sehe auch eine adulte Sturmmöwe auf den Fotos! Dünner Schnabel, viel Schwarz im Handflügel, aber das hast du selbst schon geschrieben. Die dürfte in Berlin seltener sein, als die allgegenwärtigen Steppis.
Wie ich kürzlich von einem NABU-Kollegen erfuhr, kann es sich bei „meiner“ Steppenmöwe durchaus auch um eine Sturmmöwe handeln. Der Grund: Der Schnabel wirkt eher zierlich. Iris ist dunkel, dunkle Zeichnung am Hals, leichter Schnabelring, Schnabel und Beine gelblichgrünlich, großes schwarzes Handschwingenfeld mit einem sehr großen weißen Spiegelfleck auf der äußersten Handschwinge und ein etwas kleinerer auf der zweitäußersten – sieht für mich wie eine ganz normale Sturmmöwe aus. Die ist eben etwas größer als die normalen Lachmöwen.
Das ist spannend, und die Frage nach der Möwenart wird mich sicher bald wieder auf das Tempelhofer Feld locken.