Waldlaubsänger lautet der deutsche Name eines kleinen, durchaus kämpferischen Vogels mit grünlich-gelbem Gefieder, der in vielen Laubwäldern von Mitteleuropa zwar im Geäst singt, aber am Boden brütet. Wir können ihn oft auch in städtischen Grünanlagen sehen. Sein Brutgebiet erstreckt sich nordwärts bis Südskandinavien und ostwärts bis ins südwestliche Sibirien. An seinem zwitschernden, sirrenden Gesang ist er recht gut zu erkennen.
Nah verwandt ist er mit anderen Laubsängern, etwa Fitis und Zilpzalp. So wie auch diese beiden Arten verbringt er den Winter in südlichen Regionen und fehlt hierzulande. Leicht zu entdecken ist er im Laubwald übrigens nicht.
Mal kehrt er uns seine wenig markante Hinterseite zu …
Mal hockt er im Gegenlicht hoch oben in der Baumkrone …
Erst im April lässt sich der Waldlaubsänger bei uns blicken und besetzt dann zügig sein Brutrevier.* Lange bleibt er nicht, denn die ersten Vögel ziehen bereits Ende Juli wieder ab. Einige bleiben offenbar in Italien „hängen“. Das zeigen Beringungsfunde. Doch das Gros der Vögel überquert die Sahara und überwintert in West- und Zentralafrika. Sie sind also Fernzieher.
Die Flucht in den warmen Süden hat einen Grund: Laubsänger sind Insektenfresser. Der Waldlaubsänger schnappt nach Spinnentieren, Zuckmücken, Tagfaltern, Blattläusen, Milben … und kleinen Weichtieren. Er nimmt auch die ein oder andere Beere in den Schnabel, beispielsweise die Früchte von Schwarzem Holunder oder von der Brombeere. Aber zum Überwintern ist bei uns der Tisch nicht ausreichend gedeckt.
Vielsagende Namensgebung
Bereits sein deutscher Artname Waldlaubsänger charakterisiert den kleinen Vogel gut, denn er lebt in lichten Laubwäldern – oder auch Mischwaldgebieten – und singt eindringlich, um weibliche Vögel auf sich aufmerksam zu machen oder Rivalen fernzuhalten. Genauso treffend und schön wie der deutschsprachige Name ist der wissenschaftliche Phylloscopus sibilatrix. Übersetzt ist das der zwitschernder Blattwächter.
Dem wertvollen Buch Die Namen der Vögel von Viktor Wember lässt sich entnehmen: Der Gattungsname Phylloscopus, den dieser Laubsänger mit Verwandten wie dem Fitis (Phylloscopus trochilus) oder dem Zilpzalp (Phylloscopus collybita) teilt, setzt sich aus den griechischen Wörtern phyllon für Blatt, Laub und skopos für Späher, Wächter zusammen. Der artspezifische Zusatz sibilatrix ist hingegen lateinischen Ursprungs: sibilare bedeutet pfeifen, zwitschern. Erstmals beschrieben wurde die Vogelart übrigens 1793 in Thüringen von dem Forstkundler und Ornithologen Johann M. Bechstein. Er hat diese Art – auch Spezies genannt – damals gewissermaßen getauft.** Weitere Angaben zur wissenschaftlichen Namensgebung oder Nomenklatur habe ich im Blogbeitrg über die Hemprichmöwe notiert.
Äußerlich unterscheiden sich männliche und weibliche Waldlaubsänger nicht. Während die Oberseite grünlich-grau schimmert, ist der Vogel in der Brustgegend gelblich und weiter unten weiß getönt. Auffällig ist sein Überaugenstreif.
Klein aber oho!
Wie wir es von anderen Zugvögeln kennen, kommen die männlichen Waldlaubsänger vor den weiblichen im Brutgebiet an. Dort wird zunächst ein Revier besetzt. Leopold Aschenbrenner, der die Vogelart jahrelang beobachtet hat, beschreibt das in Der Waldlaubsänger¹ so anschaulich, dass ich ihn zitieren möchte, Seite 15
Sogleich nach der Ankunft der Männchen beginnen diese, sich ein passendes Revier auszusuchen. Dabei verhalten sich einzelne sehr unstet. Einmal singen sie hier, dann fliegen sie eine weitere Strecke und singen dort. Zu diesen Gesangsexkursionen wird immer von einem Lieblingszweig aus gestartet.
Offenbar schrumpft der anfangs große Revierbereich eines Vogels mit der Zeit, weil zunehmend mehr Artgenossen einen Brutplatz beanspruchen. Es kommt zu aufreibenden Gesangsduellen, zu regelrechten Kämpfen und zum Vertreiben eines Eindringlings. Leopold Aschenbrenner schreibt, Seite 16
… manchmal geraten sich zwei besonders hitzige Rivalen in die „Federn“ und fallen ineinander verkrallt zu Boden. Doch schließlich beruhigen sich die Gemüter wieder und beide Individuen kehren in ihre Reviere zurück.
Kämpferisch zeigen sich Waldlaubsänger immer dann, wenn Vögel der eigenen Art in das Brutrevier eindringen wollen. Wenn sich die Paare sich bereits gefunden haben, mischen auch die Damen bei den Auseinandersetzungen mit.
Allerdings richten sich Attacken nicht gegen artfremde Vögel, die in der Nachbarschaft nisten. Und sind die Reviere erstmal etabliert und ist das Nest gebaut, dann werden dessen Grenzen von anderen Waldlaubsängern in der Regel respektiert. Eine Ausnahme sind männliche Vögel, die noch immer keine Partnerin gefunden haben – also im Jargon der Ornithologie die „unverpaarten Männchen“.
Sind die Jungen erstmal geschlüpft, geht es im Habitat der kleinen Sänger deutlich ruhiger zu.
Gefährliche Mitbewohner im Laubwald
Das gilt nun wiederum nicht, wenn Tierarten sich blicken lassen, die dem Nest am Boden und dem Nachwuchs gefährlich werden können. Und von solchen Prädatoren gibt es eine ganze Reihe: zum Beispiel Eichhörnchen, Igel, Wildschwein, Mäuse und schließlich Marderartige wie Dachs und Iltis. Soweit möglich, attackieren die Eltern mit Sturzflügen, drohenden Rufen und dem sogenannten Schnabelknacken den Feind.
Derartige Attacken hat der Biologe Aschenbrenner nicht nur bei Annäherung einer Waldmaus beziehungsweise eines Eichhörnchens erlebt, sondern auch als eine Äskulapnatter in unmittelbarer Nestnähe auftauchte, Seite 26
Eine Äskulapnatter kriecht in das Revier eines fütternden Pärchens. Beide Partner stürzen sich unter Schnabelknacken … auf die Schlange herunter. Diese reagiert jedoch nicht auf die wütenden Attacken. Erst nach 35 Minuten entfernt sie sich wieder aus dem Brutrevier dieses Paares, welches sofort danach die während dieser Zeit unterbrochene Fütterung wieder aufnimmt.
Der Nachwuchs von Bodenbrütern wie dem Waldlaubsänger lebt gefährlich: Das Weibchen baut in der Laubschicht des Waldes ein unscheinbares Bodennest, das aber für gute Nasen leicht zu entdecken ist. Zwar ist das Einschlupfloch winzig, doch das ist für Schlangen kein Problem. Und andere Feinde machen mit den Nestlingen ebenfalls kurzen Prozess.
Rufen und singen
Der singende Laubwaldsänger hockt meistens auf einem exponierten Ast unten in der Baumkrone oder er fliegt eine solche Singwarte gerade an. Charakteristisch für seinen Gesang sind die Schwirrstrophen, die mit einzelnen Elementen beginnen und dann in die Schwirrphase mit einer sehr raschen Tonfolge übergehen. Die Abfolge ist so schnell, dass das menschliche Ohr nur ein Schwirren oder Sirren wahrnimmt. Wir sehen aber auf jeden Fall, wie der Schnabel rasch auf und zu geht.
Zusätzlich lassen die Vögel flötenartige Töne hören, die meist als düh-Rufe beschrieben werden. Sie können vom singenden Vogel mit den Schwirrelementen kombiniert werden.
Vor allem bei Revierkonflikten sind diese Rufe zu hören. Und bei Störungen geben die Vögel sanfte düh-Rufe von sich, lese ich bei Leopold Aschenbrenner und in der App Die Stimmen der Vögel Europas ². In der Literatur wird auch immer wieder das Schnabelknacken erwähnt. Es wird nicht mit dem Stimmapparat, der Syrinx, erzeugt. Wie das Klappern der Störche ist es ein Instrumentallaut.
¹ Leopold Aschenbrenner, Der Waldlaubsänger, Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 368, 1966, A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt
² Hans-Heiner Bergmann u.a.: Die Stimmen der Vögel Europas, die man für wenige € kaufen kann. Ich nutze sie vor allem, um mir Rufe und Gesänge mehrfach anzuhören, wenn ich zu Hause bin.
* Es kann aber nicht schaden, sich schon jetzt den Gesang von Vögeln, die erst in Wochen zurückkehren, einzuprägen.
**Der Artenzusatz wurde seither nicht verändert, wohl aber der Gattungs- bzw. Genus-Name, dem die Verwandtschaftsverhältnisse zugrunde liegen. Und da gab es neue Erkenntnisse.
Waldlaubsänger | Pouillot siffleur | Wood Warbler | Phylloscopus sibilatrix
Sind Waldlaubsänger als Bodenbrüter – wie die bodenbrütenden Nachtigallen – ebenfalls von frei laufenden Katzen bedroht, wenn sie im Umfeld von Siedlungen am Rand der Katzen-Reviere brüten?
Welche anderen Bodenbrüter werden ebenfalls von frei laufenden Katzen vertrieben?
Bisher weiß ich nur sicher durch das „Vorher“ mit Gesang und das „Nachher“ ohne Gesang, dass die bodenbrütenden Nachtigallen umgehend und dauerhaft verschwinden, wenn neu zugezogene Nachbar*innen ihre Katzen frei laufen lassen.