„Weidenblättchen“ ist einer dieser deutschen Namen für den Zilpzalp, die Johann Friedrich Naumann in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas¹ für jede Vogelart minutiös aufgelistet hat. So ist er bei allen erfassten Arten vorgegangen. Beim Zilpzalp findet sich unter anderem noch „Weidensänger“, „braunfüßiger Laubvogel“ und – ganz wunderbar – „Weidenmücke“.²
All diese Begriffe haben ihre Berechtigung, denn der kleine Vogel mit beeindruckender Stimme sitzt fast immer gut verborgen zwischen Blättern, gern in Weiden, und in der Regel hat er dunkle Beine beziehungsweise Füße. Das Weibchen ist vom Männchen mit bloßem Auge nicht zu unterscheiden.
Der unauffällig gefärbte Singvogel ist nur wenig größer als ein Goldhähnchen und gehört also zu den Zwergen unter hiesigen Brutvögeln. Im Herbst zieht der Zilpzalp südwärts und verbringt den Winter im Mittelmeerraum. Er kommt aber schon Mitte März zu uns zurück. Was er dann an Spinnen und Insekten – auch als Ei, Puppe oder Raupe – findet, reicht in der Regel zum Überleben.
Dass die Winzlinge aus ihrem Winterquartier schon früh zurückkehren, fällt vielen Menschen nicht auf. Das erklärt Johann F. Naumann, der Begründer der deutschen Ornithologie, in der blumigen Sprache des 19. Jahrhundert so, Seite 104
Weil es bei seiner Ankunft noch kalte Nächte und häufig trübe, unangenehme Tage giebt, die ihm eben nicht zu behagen scheinen, so macht er sich dann wenig bemerklich; bei warmen Sonnenblicken wird er aber gleich munter und lässt seine Stimme hören…
Das Habitat in Brandenburg
Einen solchen sonnigen Tag hatte ich in der Nuthe-Nieplitz-Niederung erwischt und hörte auf dem baumbestanden Weg am Fließ gleich mehrere Sänger, die lautstark ihr Revier markierten und ein Weibchen interessieren wollten.
Schließlich blieb ich dort stehen, wo bereits im Vorjahr ein Zilpzalp meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Und welch ein Glück: Da sang tatsächlich ein „Weidenblättchen” unablässig, und mehr als Blattknospen hatte der Baum noch nicht.
Den Zilpzalp zu hören und in der Baumkrone oder im Gebüsch zu sehen, ist die eine Sache. Ihn zu fotografieren ist eine andere: Immer sind die possierlichen Vögel hinter Zweigen und Blättern verborgen, ein Lüftchen bringt alles durcheinander und kaum im Fokus der Kamera sind die Winzlinge schon auf den nächsten Zweig geflattert. Außerdem: Meistens sehe ich sie von unten – sobald sie sich beobachtet fühlen, flattern sie nämlich höher und höher.
Das Verbreitungsgebiet des Zilpzalp reicht von Spanien im Westen über Osteuropa bis in den Osten von Russland. In Teilen Skandinaviens siedelt er ebenso wie in der Türkei und im Kaukasus. Es gibt mehrere Unterarten und nicht nur die eine, mitteleuropäische Art – sondern etwa den Kanarenzilpzalp und den Taigazilpzalp als eigenständige Arten. Sie alle gehören zur Gattung der Laubsänger.³
In Deutschland ist der Zilpzalp – wie der nahverwandte und zum Verwechseln ähnliche Fitis – weit verbreitet und ein häufiger Brutvogel. Sein Bestand ist derzeit nicht bedroht. Über die Ansprüche an das Habitat schreibt Uwe Westphal in seinem unterhaltsamen Artenüberblick Schräge Vögel (Pala-Verlag, 2015), Seite 112
Der Zilpzalp bewohnt eine Vielzahl von Lebensräumen, sofern sie ausreichend sonnig sind und genügend Deckung durch dichtes Unterholz bieten. So kommt er in lichten Laubmischwäldern, in alten Hecken und Fichtenschonungen ebenso vor wie auf Waldfriedhöfen, in Parks und größeren Gärten.
Zilpzalp – Zilpzalp
Den ganzen April über lässt der Vogelwinzling seinen schlichten, aber eindrucksvollen Gesang hören. Wer sich für Vögel begeistert und sich darin üben will, eine Vogelart an ihrem „Lied“ zu erkennen, sollte unbedingt mit dem Zilpzalp beginnen. Ich zitiere nochmals Uwe Westphal, der über den Vogel schreibt, Seite 110: Er
lässt mit großer Ausdauer seinen einfachen, aber markanten Gesang hören, eine monoton klingende Abfolge von Silben in rhythmisch wechselnder Tonhöhe, oft abgeschlossen oder unterbrochen von hölzern klingenden Elementen: „zip zalp zip zalp zip zelp zilp zalp zalp zilp zlp … tzr tzr“.
Selbst der Lärm von Privatflugzeugen, die in Schönhagen starten und landen, erschüttert ihn nicht.
Den Vogel im Geäst zu entdecken, fällt vor allem schwer, wenn die Bäume zunehmend belaubt sind. Und darum wurden Zilpzalpe früher in manchen Regionen als „Weidenblättchen” bezeichnet: In den Weiden, in denen sie sich gerne aufhalten und die früh ihr Blattwerk bilden, heben sie sich kaum von ihrer Umgebung ab.
Insbesondere die Sänger positionieren sich bevorzugt oben in der Baumkrone, um dort wirkungsvoll und weittragend zu singen. Dazu abschließend nochmals ein Zitat von Naumann, der diesen Zusammenhang so zutreffend in Worte gefasst hat, Seite 105
Der wunderliche Sänger treibt sich dabei immer in den hohen Baumkronen, im höchsten Buschholze und ganz oben im lichten Stangenholze herum, wodurch sein Singen hörbarer wird, als wenn er unten im Gebüsch sänge, wo viele andere Vögel ihn überschreien würden …
¹ Johann F. Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, Gera-Untermhaus, 3. Aufl., Bd. II, S. 103
² Andere und zum Teil noch heute übliche Namen für den Zilpzalp sind Weidenlaubvogel oder Weidenlaubsänger.
³ Der wissenschafltiche Gattungsname Phylloscopus kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Blattwächter”, von tò phýllon = das Blatt und ho skopós = der Späher, der Wächter.
Zilpzalp | Pouillot véloce | Chiffchaff | Phylloscopus collybita
Jahrelang habe ich ihn zuverlässig am 26. März zum ersten Mal wieder gehört, zwischen Radweg und Seeufer. In diesem Jahr leider noch nicht.
@Hubert Pomplun und http://www.stiftung-kranichland.org Hoffentlich liegt es nicht an dem Spargelanbau unter dichter Folie, der sich ja selbst im Vogelschutzgebiet ausgebreitet hat. Sie haben darüber ja auf Ihrer Webseite von Stiftung-Kranichland berichtet. Aber sagen Sie doch Bescheid, wenn der Zilpzalp doch noch eingetroffen ist. Viele Grüße!