Weitgereister Laubsänger

Typisch Laubsänger: der unauffällige Fitis in seinem Revier

So wie die Störche, Schwarzmilane und Fischadler sind Anfang April auch viele kleine Singvögel aus dem Winterquartier zurück. Zu ihnen gehört der Fitis. Diesen quirlig herumflatternden, farblich unauffälligen Insektenfresser in der Baumkrone von Birken oder im Weidengebüsch zu entdecken, ist eine Freude – und keine Kleinigkeit.

Beobachtungshütte am Polder Glies

Kürzlich hatte ich endlich Erfolg, und zwar am Polder Glies, einem Feuchtgebiet nahe meiner alten Heimat Bremerhaven.*

Das heißt nun keinesfalls, dass es Sinn macht oder nötig ist, speziell in der norddeutschen Geesteniederung, nach einem Fitis zu suchen. Denn der Vogel gilt hierzulande noch immer als eine häufige Art.

Allerdings sind Gebiete, in denen es feucht und moorig ist, wo Birken und Weiden wachsen, für den Vogel mit grünlichgrauem Gefieder und einer gelblichweißen Unterseite ideal.

Hier also finden wir ihn oft. Und er findet hier Nistgelegenheiten, Verstecke und reichlich Insekten. Auf diese Nahrungsquelle ist der Fitis angewiesen.

Bereits sein schmaler, spitz zulaufender Schnabel weist ihn als Insektenfresser aus, und sein unermüdliches Herumflattern zwischen den Zweigen erklärt sich aus der Jagd nach fliegender, hüpfender und krabbelnde Kost.

Sellstedter See: passendes Biotop für Fitisse

Der großartige deutsche Vogelkenner Johann F. Naumann hat den Fitis in seinem Klassiker Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (1887-1905, 3. Aufl., Bd. I) äußerst treffend so charakterisiert, Seite 119

Dies ist ein munteres gewandtes Vögelchen. In steter Unruhe schlüpft es durch die Zweige, doch mehr flatternd als hüpfend; seine Bewegungen und Handlungen verraten immerwährenden Frohsinn …

Über eine solche Interpretation lässt sich zwar streiten, andererseits: Den kleinen Vogel zu beobachten, das sorgt in der Tat für Frohsinn – es macht schlichtweg Spaß, ihm zuzuschauen, solange man ihn nicht filmen möchte… Aber darauf komme ich noch zu sprechen.

Auffälligstes Merkmal: der gelbe Überaugenstreif

Auf Insektenjagd

Der Fitis ernährt sich unter anderem von Käfern und Fliegen, von Blattläusen, Wanzen und Spinnen¹, auch von deren Eiern und Larven. Wenn er nicht gerade singt, hält er ständig nach Fressbarem Ausschau, saust geschickt durchs Geäst, pickt von Zweigen und Blättern seine Nahrung ab.

Er fliegt zum Insektenfang allerdings auch flach über die Oberfläche von Gewässern. Im zeitigen Frühjahr sind Fitisse häufiger in der Krautschicht, also in Bodennähe, oder auf der Erde unterwegs. Das erklärt Naumann so, Seite 120

Gleich nach ihrer Ankunft im Frühjahr giebt es oft noch Nachtfröste, welche die Insekten wieder verscheuchen; dann sehen sie sich nach diesen auch auf der Erde unter dem Gebüsch und dürrem Laube um, stören Spinnen, kleine Käferchen, Maden u. dergl. auf und hüpfen danach oft stundenlang auf der Erde herum.

All das macht es schwierig, einen Fitis mit den Augen zu verfolgen, wenn man ein Fernglas oder eine Kamera vor dem Auge und dadurch einen eingeschränkten Blick auf das Umfeld hat. Wozu das führte, als ich den kleinen Kerl filmen wollte, illustriert der folgende, etwas chaotisch anmutende Videoausschnitt. (Wer ein Schwindelproblem hat, sollte das Video vielleicht überspringen.)

Setzt der Fitis sich mal auf einen Zweig, dann geschieht das so geschickt, dass er uns als Fremdlinge gut unter Kontrolle hat, aber für Menschenaugen nahezu unsichtbar ist.

Das machen die folgenden Fotos deutlich: Ich hatte ihn zunächst auf einem Zweig sitzend mit starkem Zoom erwischt. Die Ausschnittvergrößerung desselben Fotos lässt dann erkennen, wie gut er seine Beobachterin im Auge hatte.

Suchbild mit Fitis im Geäst der Weide
Die Beobachterin im Auge des Fitis

Kleiner Fernzieher

Der Fitis gehört mit seinen acht bis neun Gramm Körpergewicht zu den zarten Singvogelarten, die schon im Sommer ihre weite Reise ins tropische Afrika antreten. Einige von ihnen bleiben an der Mittelmeerküste hängen, viele fliegen traditionell nach Subsahara-Afrika, lese ich in Das große Buch vom Vogelzug von Franz Bairlein.

In Deutschland und Südskandinavien geschlüpfte Fitisse steuern Westafrika über Südwest-Frankreich und die Iberische Halbinsel an. Andere Populationen – etwa aus Mittelschweden – passieren die Alpen und fliegen via Italien über das Mittelmeer. Und Fitisse aus Nordschweden wählen eine südöstliche Route, das heißt sie fliegen über Griechenland und Nahost nach Ostafrika.

Mit anderen Worten: Es hängt weitgehend vom „Geburtsort“ ab, welche Zugroute ein Fitis auf dem Weg ins Winterquartier einschlägt. Vögel, die in verschiedene Richtungen abziehen, trennt eine sogenannte Zugscheide.

Ende März kommen die ersten Fitisse zu uns zurück, und im April und Mai sind sie im Laub- und Mischwald – besonders in der Nähe von stehenden Gewässern – oft zu hören. Auch in naturnahen Gärten lassen sie sich zur Brut nieder.

Die Rückkehrer markieren gesanglich ihr Revier und machen dadurch die etwas später aus der Ferne zurückkehrenden Weibchen auf sich aufmerksam.

Wenn die Bäume bereits Laub tragen, ist es nicht leicht, den kleinen Fitis mehr als nur flüchtig zu sehen und richtig zu identifizieren – zumal er dem Zilpzalp und anderen Laubsängern zum Verwechseln ähnlich ist. Das gilt allerdings nur für die äußere Erscheinung.

Grafik aus dem Werk von Johann F. Naumann mit vier Laubsängerarten, die heute teils andere Namen haben: Der Pfeil weist auf den Fitis hin.

Auffällig ist wieder der helle Überaugenstreif. Wer Glück hat, entdeckt im Geäst auch die meist hellen Beine, die beim – hier nicht abgebildeten – Zilpzalp dunkel sind.

Die Stimme des Fitis

Zilpzalp und Fitis gehören in die Gruppe der Laubsänger. Auch als Zweigsänger werden sie bezeichnet. Wegen ihrer großen äußeren Ähnlichkeit und weil sie in demselben Biotop vorkommen sind sie ein Beispiel für Zwillingsarten.**

Grünlichgraue Oberseite

Aber während der Zilpzalp mit seiner ständigen Wiederholung der zwei namensgebenden Silben Zilp zalp einen monotonen, geradezu nervenden Gesang produziert, klingt das melodiösere Lied des Fitis angenehm. Es erinnert teilweise an den Gesang des Buchfinken.

In Wie die Vögel singen, einem populärwissenschaftlichen Buch von Richard Gerlach aus den 1960er Jahren, das mir übrigens eine Blogabonnentin aus dem Nachlass ihres Vater überließ, stieß ich auf diese sehr passende Beschreibung, Seite 17

Das Lied des Fitislaubsängers hat eine gewisse Ähnlichkeit im Aufbau mit dem Schlag des Buchfinken. Beide beginnen hoch und lassen die Töne dann abwärts sinken. Aber der Buchfink schmettert mit anderer Klangfarbe. Der Fitis flötet weicher, und der Takt schwankt: Dididididüdüdjadlidüdüidjadja … Das Lied endet nicht schwungvoll, sondern verschwebt.

Wer die empfehlenswerte APP Die Stimmen der Vögel Europas³ mit 502 Artenporträts besitzt, kann sich den Gesang und die Rufe von Fitis, Zilpzalp, Buchfink & Co anhören und vergleichen. Auch der Fitis-Eintrag in Wikipedia enthält eine Tonaufnahme. Und schließlich gibt es noch das Portal Xeno-canto, wo naturbegeisterte Menschen viele Aufnahmen von Tierstimmen hochgeladen und kommentiert haben.

Seinen Namen verdankt der Fitis übrigens dem sanften Lockruf, der wie Füid oder Fid klingt. Den hören wir noch, wenn der unscheinbare Laubsäger schon wieder im nächsten Gebüsch verschwunden ist. Dann geht die Suche von vorne los.

Kurz vorm Abflug ins nächste Gebüsch

Fitis | Pouillot fitis | Willow Warbler | Phylloscopus trochilus

 

* Nachdem in den 1950er Jahren das Wilde Moor um den Sellstedter See entwässert worden war, um neue Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen, wurde 2006 damit begonnen, es wieder zu vernässen. Dies war eine ökologische Ausgleichsmaßnahme, weil durch ein Gewerbegebiet bei Bremerhaven viel ursprüngliche Natur zerstört worden war. Als Polder Glies hat sich das wasserreiche Gelände zu einem bedeutsamen Brutgebiet für Vögel entwickelt und gehört seit 2010 zum Naturschutzgebiet Sellstedter See und Ochsentrifftmoor/Wildes Moor.

Schaubild, verändert nach Lehrbuch „Evolution”, Sek II, Schroedel (2003)

** Meine Freundin Irma, Studienkollegin und Biologielehrerin, erinnerte mich kürzlich daran, dass Fitis und Zilpzalp im Biounterricht ein Paradebeispiel für Zwillingsarten sind, bei denen Artgrenzen durch stimmliche Unterschiede erhalten bleiben. Es sorgt hier also nicht das andersartige Aussehen, sondern ein Verhalten, der fremdartige Gesang, für reproduktive Isolation.
Profan ausgedrückt: Die Weibchen des Fitis mögen den Gesang des männlichen Zilpzalps nicht, lassen sich nicht auf ihn ein und paaren sich daher mit Fitis-Männchen. (Gleiches gilt umgekehrt für die Weibchen des Zilpzalps, die auf Zilpzalp-Gesang stehen.)

¹ Spinnen zählen nicht zu den Insekten. Beide Tiergruppen gehören zu den Gliedertieren oder Arthropoda. Als Überschrift klingt aber Gliedertierjagd „oder Jagd auf Gliedertiere sonderbar.
² Längere Zeit ruhig sitzt der Fitis, wenn er seinen Reviergesang zelebriert. Allerdings lässt er sich dazu oft hoch oben im Geäst nieder.
³ Hans-Heiner Bergmann, Wiltraud Engländer u.a., AULA-Verlag, Wiebelsheim 2018



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