Der Schwarzstorch oder auch Ciconia nigra lebt im Verborgenen. Er ist scheuer als der verwandte Weißstorch Ciconia ciconia und brütet lieber im Laub- oder Mischwald als auf dem Dach eines Bauernhauses, einer Moschee oder einer für ihn errichteten Nisthilfe.
Anders als der Weißstorch geht er den Menschen bekanntlich aus dem Weg und gilt als „Kulturflüchter“.
Bei Johann F. Naumann, der vor rund 150 Jahren den Schwarzstorch in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas¹ beschrieben und mit dem Weißstorch verglichen hat, liest sich das so, Seite 323
Der schwarze Storch hat andere Aufenthaltsorte und unterscheidet sich vor allem dadurch vom weissen, dass er stets den Menschen flieht und in dessen Nähe nie seine Wohnung aufschlägt; dass er ferner die Wälder weit mehr liebt, im Frühling mitten in grossen einsamen Waldungen wohnt, selbst in gebirgigen Gegenden …
Allerdings ist der Schwarzstorch zum Brüten keineswegs auf einen ansehnlichen Baumbestand angewiesen. Er baut sein großes Nest auch im Fels, zumal wenn in der Nähe fließendes Wasser oder größere stehende Gewässer zu finden sind.
Dass es unter den Schwarzstörchen sowohl Baumbrüter als auch Felsbrüter gibt, ist keine ganz neue Beobachtung. Man kennt solche Storchenhorste aus waldarmen, trockenen Regionen in Osteuropa und Asien.² Nur hat es sich bei uns nicht so herumgesprochen, denn hiesige Schwarzstörche sind in der Regel Baumbrüter. Ich war jedenfalls erstaunt, im spanischen Nationalpark Monfragüe zwei Storchenpaare anzutreffen, die ihre Jungen in Nestern großziehen wollten, die in Felsnischen verborgen waren.*
Im Nationalpark Monfragüe
Den Aussichtspunkt Solto del Gitano am Ufer des spanischen Tajo, der als Tejo im portugiesischen Lissabon in den Atlantik mündet, besuchen viele Menschen, um dort zu wandern oder Gänsegeier, Schmutzgeier und Bartgeier zu beobachten. Die Geier kreisen über den Felsen und brüten dort. Als ich im Mai vor Ort war, waren ihre Jungen bereits sehr ansehnlich. Kein Wunder, dass die Geierfamilien immer wieder die Blicke der Touristen auf sich zogen.**
Die Schwarzstörche mit ihrem oberseits schwarz-violett-grün schimmernden Gefieder, der weißen Unterseite und dem leuchtenden Rot ihrer Beine und des Schnabels fallen ohne gutes Fernglas nicht sonderlich auf.
Ihre Silhouette ist im Vergleich zu den Geiern weniger imposant und ihre Nester, die sie hin und wieder anfliegen, sind vom Aussichtspunkt ziemlich weit weg: Sie liegen am gegenüberliegenden Ufer des Tajo.
Die Entfernung zwischen Aussichtspunkt und Nistplatz sind durchaus kein Zufall. Der Schwarzstorch hält sich – wie bereits erwähnt – von Menschen fern. Das formulierte Naumann in seinem Hauptwerk so schön und anschaulich, dass ich es zitieren möchte, Seite 324
Seine Liebe zur stillen Abgeschiedenheit und ein damit verbundener Abscheu gegen den Menschen kontrastieren so stark gegen die zutrauliche Annäherung des weissen, dass man ihn in vielen Gegenden nur den wilden Storch nennt. Ob bloss natürliche und angeborene Furcht oder noch andere damit verbundene Ursachen ihn abhalten, sich gleich jenem – also dem Weißstorch*** – vertrauensvoll dem Menschen zu nahen, bleibt uns ein Rätsel.
Wirklich rätselhaft ist diese Scheu allerdings nicht, wenn wir uns die Nahrungspräferenz des Vogels anschauen. – Weiter unten im Text komme ich darauf zurück.
Anflug zum Brutplatz
Der Beobachtungsstandort Solto del Gitano ermöglicht nicht nur einen Blick auf Nester von Schwarzstörchen, sondern es lässt sich dort auch gut verfolgen, wie die Vögel den Brutplatz, der einige Meter über dem Wasserspiegel liegt, aus der Ferne kommend ansteuern. Da sich die Eltern während der Brutzeit abwechseln, finden von Zeit zu Zeit solche Anflüge statt.
Manchmal nähern sich die Vögel, an den Geiern vorbeisegelnd, von oben …
… manchmal fliegen sie über das Buschwerk und die kurzstämmigen Bäume in Richtung Horst.
Meist kamen die schwarzen Störche flach über das Wasser des Tajo zum Nistplatz herangeflogen. Das passt insofern, als jenes Elternteil, das gerade nicht brütet, aus seinen Nahrungsgründen kommt, wo er oder sie sich gewissermaßen den Bauch vollgeschlagen hat. Und seine Nahrung sucht und findet der Schwarzstorch in der Regel am Wasser.
Zwar ernährt sich die Art auch von kleinen Wirbellosen, die an Land ergattert werden. Aber meist jagen Schwarzstörche vom Ufer aus oder im seichten Wasser. Diverse Wasserinsekten zählen zu ihrer Beute, aber auch Frösche und Molche. Vor allem schnappen sie jedoch nach Fischen, die bis zu 25 cm lang sein können. Johann F. Naumann hat bei geschossenen Schwarzstörchen den Mageninhalt untersucht und resümiert auf Seite 324
dass dem schwarzen Storch Fische über alles gehen. Selten fanden wir keine, oft nichts anderes als Fische in den in hiesiger Gegend erlegten und geöffneten Schwarzstörchen; z.B. einmal bei einem wohl zwanzig Stück der bis 23 cm langen Schlammbeisker (Cobitis fossilis) und nichts weiter; ein anderes Mal drei grosse Rotaugen (Leuciscus erythrophthalmus), wohl vierzig Stück junge Barsche (Perca fluviatilis) und mehrere Stichlinge (Gasterosteus aculeatus); bei einem Dritten eine Rotfeder (Leuciscus rutilus) von der Länge einer Manneshand …
Dass Schwarzstörche es sich manchmal bequem machen und in Fischteichen, deren Wasser verdunstet oder abgelassen wird, leichte Beute finden, konnte ich vor Jahren in Weißrussland beobachten. Manche von ihnen scheinen sich auf die Fischbrut in Fischzuchtteichen regelrecht zu spezialisieren. Freunde machen sie sich damit bei den Fischern, Teichbesitzern und -pächtern nicht.
Das ist sicher der Hauptgrund, dass um 1900 der Schwarzstorch als Brutvogel bei uns weitgehend verschwunden war. Nur allmählich steigen die Zahlen wieder an. Ganz Unschuldig am Niedergang der Art war der Vogelkenner Naumann vermutlich nicht, da er sich in seinem Hauptwerk ausführlich über die Schäden auslässt, die der fischende Storch anrichten kann. Er nennt sie „tüchtige Fresser“, die „mit Gier“ über Nahrungsmittel herfallen, und schreibt, Seite 328
Er ist in kultivierten Ländern ein den Fischereien sehr nachteiliger Vogel, weil er sich meistenteils von Fischen und namentlich von Fischbrut ernährt und diese in großer Menge vernichtet. Gerade deshalb, weil er am liebsten kleine Fische fängt, deren er als starker Fresser zu seiner Sättigung eine desto größere Anzahl bedarf, wird er um so schädlicher. Dass er, wo es keine kleinen giebt, öfters auch große Fische tötet … macht ihn dem Fischereibesitzer fast noch verhasster.
Im Naturschutzgebiet Monfragüe an den Ufern des Tajo gehören die Fische allerdings den Schwarzstörchen. Sie und ihre Nester sind eine Attraktion.
Das große Nest – der Horst
Die großen Nester von Greifvögeln und Störchen werden Horst genannt. Bei waldbrütenden Störchen sind sie in der Regel hoch oben im Baum errichtet. Einen Einblick in das Familienleben gewähren sie uns daher nicht. Das ist bei den felsbrütenden Schwarzstörchen iin Spanien anders: Hier schauen wir – wenn auch aus großer Entfernung – direkt in das sehr flache Nest der Vögel.
Und bei meinem Besuch war Anfang Mai in einem Horst ein brütender Vogel gut zu beobachten.
Ob der Horst in einer Astgabel oder am Fels gebaut wird, macht keinen Unterschied: Immer wird zunächst aus Knüppeln – also kräftigen Zweigen – eine stabile Unterlage und möglichst waagerechte errichtet. Diese ist in der Regel nicht kreisrund sondern oval.³ Darauf legen die Vögel Zweige, die so ineinandergeschoben werden, dass eine Art Geflecht entsteht. Schließlich wird das Nest mit Moos und Gräsern gepolstert. Allerdings fangen Schwarzstörche nicht jedes Jahr mit dem Nestbau von vorne an. Kehren sie aus dem Winterquartier zum Brutplatz zurück, sind sie dann vornehmlich mit Aus- und Renovierungsarbeiten beschäftigt. Und wenn eine Neuanlage nötig ist, nutzen sie manchmal auch Nester von anderen großen Vogelarten und bauen diese aus.
Am Nestbau beteiligen sich der männliche und der weibliche Schwarzstorch. Das haben jedenfalls Peter Schröder und Gerd Burmester in Der Schwarzstorch (a.a.O. 1972) geschrieben. Ihre Rollen sind aber nicht gleich verteilt: Während – so auch bei Vogelarten wie dem Habicht bekannt – der Herr vor allem mit größeren Zweigen herbeifliegt, kümmert sich die Dame hauptsächlich um das Einbinden des Materials in das bestehende Konstrukt. Sie verbringt dadurch mehr Zeit am Horst als ihr Partner. Ist früher oder später im April das Nest vollendet, werden meist drei bis fünf Eier gelegt und anschließend wird gebrütet.
Ich war wirklich begeistert, als der brütende Vogel unvermittelt aufstand, um die Eier zu bewegen und im Nest „Ordnung zu schaffen“. Jedenfalls wurde hier und da an den Zweigen gezupft, bevor der Altvogel sich wieder niederließ. Ob es dabei um den männlichen oder weiblichen Schwarzstorch handelte, lässt sich nicht sagen. Denn die beiden sind kaum zu unterscheiden, der Geschlechts- oder Sexualdimorphismus ist minimal.
Das folgende Video zeigt, typische Sortier- und Aufräumarbeiten von einem Schwarzstorch im Horst. Darüber, wie notwendig diese sind, kann ich nichts berichten. Sie ermöglichen dem Storch auf jeden Fall auch, sich etwas zu bewegen. Aber voller Vorsicht. Die Eier!
Brutablösung beim Schwarzstorch
Schließlich konnte ich tatsächlich beobachten, wie sich die Partner beim Brüten ablösen. Das ist angeblich nicht immer unkompliziert, denn wer brütet, möchte offenbar am liebsten auf den Eiern sitzenbleiben. So steht es zumindest in Der Schwarzstorch von Peter Schröder und Gerd Burmester (Die Neue Brehm-Bücherei, Wittenberg Lutherstadt, 1972). Auffällig ist, dass bei einem der Störche die weißen Unterschwanzdecken abgespreizt sind. Das ist immer ein Zeichen von Erregung und bestätigt, dass die Ablösung am Brutplatz tatsächlich etwas konfliktbeladen ist.
Der Literatur ist zu entnehmen, dass nachts durchweg das Weibchen brütet und erst morgens vom Partner abgelöst wird. Sie begibt sich dann auf Nahrungssuche und bleibt einige Stunden weg.
Als es an diesem Tag langsam dämmerte, stand der – vermutlich – männliche Schwarzstorch auf einem Fels. Er wirkte etwas verloren und das erinnerte mich stark an die männlichen Weißstörche, die hierzulande nicht im eigenen Horst die Nacht verbringen, sondern sich einen Schlafplatz auf einem benachbarten Dach suchen.
¹ Johann F. Naumann, Die Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, (3. Aufl.) Bd. 6, S. 320 ff und Tafel 31
² https://www.avi-fauna.info/storchenvoegel/schwarzstorch/
³ Gerd Janssen, Martin Hormann, Carsten Rohde, Der Schwarzstorch, Die Neue Brehm-Bücherei, 2004
* Jedoch sind die spanischen Felsbrüter kein Geheimnis, sie waren mir nur nicht bekannt.
** Davon werde noch davon berichten. Auch meine Blogposts zur Blaumerle und zur Zippammer verdanke ich dieser „Ecke“ im Nationalpark Monfragüe.
*** Einfügung von mir, Elke Brüser
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