Vogelarten mit einem schwarzen Kopf führten früher oft den Begriff „Nonne“ im Namen. So war es bei der Nonnengans, die heute als Weißwangengans bezeichnet wird, und so war es bei der Sumpfmeise, die zur Zeit meines Biologiestudiums noch Nonnenmeise hieß.*
Dass sich in den letzten Jahren solche Artnamen durchgesetzt haben, die äußerliche Merkmale – wie weiße Wangen – oder Merkmale des Habitats – etwa feuchter, sumpfiger Lebensraum – aufgreifen, hat gute Gründe. Auch in der Biologie wird längst vermieden, Begriffe zu verwenden, die für andere Menschen verletzend sind oder sein können. Der Artname Mohrenlerche wurde zum Beispiel ebenfalls ersetzt. Wir sprechen heute bei dieser sehr dunklen Lerche Asiens von der Schwarzsteppenlerche.
Ein Standvogel, auch Jahresvogel genannt
Zurück zur heimischen Vogelwelt: Viele kleinere Singvögel verlassen ihre Brutgebiete in Deutschland, wenn es herbstlich wird. Für hiesige Meisen gilt das eher nicht. Sie werden auch als Standvögel bezeichnet – weil sie nicht ziehen. Identisch und moderner ist der Begriff Jahresvögel. Wird es sehr kalt, suchen aber auch Meisen das Weite, ziehen vorübergehend in nahegelegene wärmere Gegenden. In diesem Fall sprechen wir von Strichvögeln.
Momentan zählen Meisen zu den Vogelarten, die wir bei uns häufig beobachten können, zumal sie gerne dorthin kommen, wo Erntereste locken oder Menschen leben und Futterhäuser befüllen.
Das gilt auch für die Sumpfmeise, die im Übrigen der ebenfalls schwarzköpfigen Weidenmeise sehr ähnlich ist.
Am Gesang lassen sich die beiden Arten am besten unterscheiden. Aber Anfang Januar singen sie meist nicht. Da geht es ihnen vornehmlich darum, satt zu werden.
Kürzlich traf ich auf Sumpfmeisen an der Berliner Havel, wo Erlen und Weiden nah am Wasser – oder im Wasser – stehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich sie dort bemerkte. Zunächst huschten sie mit anderen Meisenarten im Unterholz am Ufer herum, wo ich sie mit bloßem Auge sehen konnte.
Aber Schwupps waren sie wieder davon.
Unvermittelt flogen sie in die Wipfel der nahen Schwarzerlen. Rund 12 m über mir hangelten sie sich dort durch das Geäst. Nun konnte ich sie mit dem Fernglas beobachten und sogar fotografieren, aber sie waren so weit entfernt …
Aus der Nähe
Auf meinem Rundgang, der mich vom Uferweg hinauf zum Höhenweg und schließlich zum Ausgangspunkt zurück führte, entdeckte ich die Sumpfmeisen erneut.
Zusammen mit Blau- und Kohlmeisen hatten sie das sumpfige, teils überschwemmte Ufer der Havel verlassen und sich in dem Gebüsch am Höhenweg an einem sonnigen Plätzchen eingefunden.
Allerdings verschwanden sie dort zunächst bodennah im dornigen Gestrüpp oder im Geäst der Bäume.
Es hieß also abwarten. Und tatsächlich kamen die Meisen nach und nach zurück.
Wie ich bald herausfand, waren sie nicht zufällig oder wegen der Sonnenstrahlen – bei 9 Grad Minus auch für mich ein Genuss – an diesen Ort geflogen, sondern hatten dort Körnerfutter entdeckt. Vogelbegeisterte hatten es auf einem querliegenden Baumstamm ausgestreut.
Allerdings machten die Sumpfmeisen immer nur eine Stippvisite, wenn sie sich Futter holten. Schon Johann Friedrich Naumann, den ich wegen seiner treffenden und anschaulichen Formulierungen so gerne zitiere, schrieb vor rund 150 Jahren in seinem Klassiker Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas¹
Aufs Freie wagt sich diese Meise nicht gern; sie eilt, wenn sie auch nur über kleine freie Strecken muss, und benutzt jedes Bäumchen und Gesträuch zu Ruhepunkten. **
Auch Kohl- und Blaumeise flogen zum Körnerfutter. Beide Arten sind behäbiger, also leichter zu beobachten und zu fotografieren, als die Sumpfmeise. Bei dieser kam es darauf an, mit den steifgefrorenen Fingern im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Passenderweise notierte der Ornithologe Naumann unter dem Stichwort Eigenschaften der Art
Die Sumpfmeise ist ein höchst lebhaftes, unruhiges, gewandtes Geschöpf, ja, das flinkeste, lustigste und possierlichste unter sämtlichen einheimischen Meisenarten. Alle ihre Bewegungen verrichtet sie ungemein schnell und hurtig.
Das illustriert der folgende Videoausschnipsel, der zudem unterstreicht, dass sie andere Vögel nicht sonderlich toleriert – also nicht sonderlich verträglich ist.
Manchmal ist das erste Körnchen nicht das richtige. Auch Meisen sind wählerisch.
Dass die Sumpfmeise andere Vögel, auch die Arteigenen, auf Distanz hält, konnte ich bereits früher an einem anderen Futterplatz an der Havel beobachten. Bei Naumann liest sich das so
Sie neckt sich gern mit anderen Vögeln, ist auch jähzornig, aber weniger gesellig als andere Meisen, daher sieht man sie seltener bei diesen … **
Größenmäßig rangiert die Sumpfmeise übrigens zwischen der 13,5-15 cm großen Kohlmeise und der 10,5 bis 12 cm kleinen Blaumeise. Von der ähnlich großen Weidenmeise unter scheidet sie sich äußerlich nur in Details. So ist etwa deren Kehlfleck etwas größer und das Schwarz des Oberkopfes glänzt nicht.
Was schmeckt der Sumpfmeise?
Im Sommerhalbjahr ernähren sich Sumpfmeisen von Insekten, im Herbst und Winter picken sie zunehmend Beeren und Samen auf. Ich zitiere nochmals Naumann und hoffe, dass auch andere ihn so gerne lesen wie ich – zumal seine Sprache durchaus nicht in unsere schnelllebige Zeit passt. Präzise hat er beschrieben, wie die Sumpfmeise frisst:
Unter vielerlei Sämereien frisst sie die Kerne von Sonnenblumen, besonders von Helianthus annuus, und Hanfsamen am liebsten und holt sie überall von den Stengeln der reifenden Pflanzen einzeln weg, fliegt mit jedem Korn auf einen bequemen Sitz, pickt es, zwischen den Zehen festgeklemmt, auf, holt wieder eins, und treibt dies mit einer Gewandtheit und das lange hintereinander, dass es in Erstaunen setzt.
Exakt so, konnte ich es beobachten: immer wieder ein Körnchen schnappen und ab ins Gebüsch zum Aufknabbern. Dort sind die Vögel gut geschützt und für Menschenaugen kaum zu entdecken.
Und der „Frostschutz”?
Bleibt die Frage, wie ein so kleiner Vogel mit der Kälte klarkommt, wenn die Temperaturen weit unter 0 Grad liegen. Zum einen plustern Vögel sich auf, kugelförmig werden sie dann, wie der Buchfink auf dem Saisonfoto für diesen Blog im Dezember 2023.
Von den Wintergoldhähnchen und Schwanzmeisen wissen wir, dass sie sich zu mehreren in eine Baumhöhlung oder auch einen Brutkasten kuscheln, um sich gegenseitig zu wärmen und zu schlafen. Auch Sumpfmeisen verbringen die Nacht nicht im Freien, sondern suchen sich eine schützende Höhle, etwa ein Astloch.
Das ist übrigens ein durchaus angeborenes Verhalten, das vor Kälte und Prädatoren schützt. Die Vögel machen es auch, wenn vom Klima her keine Notwendigkeit besteht.
Und nun kommt nochmals eine Passage aus dem „Naumann“, die ich gerne wiedergebe, zumal nicht jeder und jede Zugang zu diesem Werk hat. Es entstand im 19. Jahrhundert, zu einer Zeit, als viele Menschen zu Hause Wildvögel hielten – als sogenannte Stubenvögel. In den 12 Bänden wird für sehr viele Arten beschrieben, ob sie sich gut als Stubenvogel eignen und was ihre Gewohnheiten sind. Häufig berichtet Johann F. Naumann aus eigener Erfahrung, oder er zitiert Berichte von Kollegen:
Zur Nachtruhe suchen sie ein ruhiges Winkelchen und wenn es sein kann, eine Höhle, z.B. einen Stiefel, Schuh, hingestellte Kästchen oder dergleichen. Ich fing in meiner Jugend einmal ein Pärchen, das ich sehr lange hatte und welches mir große Freude machte; es lief mit beschnittenen Flügeln*** in der Stube herum und schlief unter meinem Bette in einer Schachtel, in welche ich an einem Ende ein rundes Loch, wie ein Mauseloch, geschnitten hatte, inwendig aber ein Sitzstäbchen angebracht hatte. Sie sassen schlafend immer in der Schachtel auf dem Stäbchen dicht nebeneinander und schliefen so fest, dass, wenn ich die Schachtel behutsam aufnahm, ich sie beleuchten und auch wieder hineinsetzen konnte, ohne dass sie aufwachten.
Soweit die Erkundungen eines jungen Vogelforschers, der als Begründer der deutschen Ornithologie Geschichte geschrieben hat.
¹ Alle Zitate aus Johann F. Naumann: Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, Bd. II, 1887-1905. 3. Aufl., Gera-Untermhaus, Seite 286-287.
* Zwar verwirren solche Umbenennungen, wenn man in ornithologischer Literatur recherchiert – auch ein gewisser Charme geht dabei verloren –, aber auf Kosten anderer möchte ich die alte Nomenklatur nicht erhalten wissen.
** Naumann formuliert manchmal für uns ungewöhnlich: „zu Ruhepunkten“ würden wir nichts schreiben und sein „aber“ erscheint uns hier überflüssig. Aber seine Diktion stammt eben aus dem 19. Jahrhundert.
*** Es ist auch heute noch üblich, die Flügel von Vögeln zu beschneiden, damit sie nicht wegfliegen können (Zoos, Geflügelhaltung im Freien usw.)
Sumpfmeise (Nonnenmeise) | Mésonge nonnette | Marsh Tit | Poecile palustris
Mir gefallen diese Zitate aus einer anderen Zeit. Sie haben für mich jedenfalls einen gewissen Charme und beschreiben auf eine anschauliche Art. Sie waren für mich das Besondere an diesem Blog und mit ein Grund, diesen zu abonnieren.
Liebe Grüße
Cornelia
Danke. Und wie mich das freut! Auch von mir herzliche Grüße.
„Vogelarten mit einem schwarzen Kopf führten früher oft den Begriff „Nonne“ im Namen.“
> interessanterweise gibt es auch die Mönche, z. B. die Mönchsgrasmücke oder den Mönchsgeier.
Die Weißwangengans trägt ihren Namen irreführend, Nonnengans passt dagegen sehr gut.
Ich sag immer Nonnengänse und Weißwangenganter, obwohl eigentlich die Kanadagänse die Gänse mit den weißen Wangen sind.
Die Unterscheidung Sumpfmeise und Weidenmeise wird für mich immer ein Rätsel bleiben.
LG aus dem Ruhrgebiet!
Das kann ich gut verstehen. Mir gefällt Nonnengänse auch besser als Weißwangengänse … Nicht umsonst heißt einer meiner Blogposts: Die Nonnen kommen.
Viele Grüße und danke für Anmerkung!