Keiner ist kleiner

Zeichnung eines weiblichen Wintergoldhähnchens, das auf einem Zweig sitzt.
Weibliches Wintergoldhähnchen nach einer Grafik in Naumanns Naturgeschichte (s. unten)

Wintergoldhähnchen sind winzig und schwer zu entdecken, wenn man ihr arttypisches Verhalten nicht bereits kennt.

Bei einem Winterspaziergang im Wald oder in einem Park stehen die Chancen dennoch gut, den kleinen Singvogel zu sehen.

Meist hört man zunächst eine feine Reihung von „Zit … zit“, sieht vielleicht einen grau-braunen Winzling im Geäst herumflattern, und wenn der sich kurz – noch dazu unverdeckt – auf einem Zweig niederlässt, hat man womöglich ein Goldhähnchen im Blick.

Die Vögel sind trotz ihres oliv-grauen, bräunlichen Gefieders, das auf den ersten Blick nicht wirklich attraktiv wirkt, ziemlich leicht zu identifizieren. Denn sie haben gelblich leuchtende Scheitelfedern – einen kleinen „Hahnenkamm“, der manchmal drohend aufgestellt wird. Er ist namensgebend für die beiden Gold-Hähnchen-Arten, die bei uns vorkommen: das Wintergoldhähnchen und das Sommergoldhähnchen.

Beide leben im Sommer vor allem in Fichtenwäldern der Mittelgebirge, wo sie zwischen den Zweigen ihr kleines kunstvolles Nest bauen und die meist 8 bis 10 Eier ausbrüten.

Zeichnung mit sechs Goldhähnchen, die auf Zweigen sitzen. Darunter 2 männliche Vögel, zwei weibliche und zwei Jungvögel.
Grafik aus J.F. Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 3. Aufl., Bd. II, Tafel 15; links Sommer-, rechts Wintergoldhähnchen: Nr. 3 Jungvogel, Nr. 4 männlich, Nr. 5 weiblich.

Die Sommergoldhähnchen ziehen im Herbst nach Südwesten – viele überwintern in Westfrankreich oder in Portugal. Während die Wintergoldhähnchen im Winter diesseits der Alpen bleiben. Man findet sie gerade dann nicht nur in Nadelwäldern, sondern auch in Laub- und Mischwäldern oder in den Parkanlagen der Großstädte. So erging es mir, als ich kürzlich in Berlin im Natur-Park Südgelände unterwegs war.

Der Kamm

Eigentlich beobachtete ich an einem finsteren Dezembertag einen Baumläufer, der in üblicher Manier einen Stamm spiralig umkreiste. Hinter mir krächzte ein Eichelhäher, und ein Buntspecht war kurz zuvor über mich hinweggeflogen. Da hörte ich dieses leise „Zit … zit“, und etwa auf Augenhöhe flatterte ein Winzling herum.

Eine der diversen Meisen, die hier oft unterwegs sind, konnte das nicht sein. Und dann sah ich durch das Fernglas den goldenen Kamm. Bevor ich ein Foto machen konnte, war das Kerlchen allerdings schon wieder weiter, hinter Zweigen und trockenem Laub rasch verschwunden.

Fot mit vertrockenten Buchenblättern, ohne Vogel.
Im Zentrum des Blättergewirrs saß eben noch ein Vogelzwerg.

Doch sein flatterhaftes Hin und Her brachte ihn kurz darauf wieder zum Vorschein. Und der Zwerg, eigentlich eine Zwergin, erlaubte mir immerhin zwei Fotos.

Typisch: nicht gertenschlank sondern aufgeplustert

In einer ausführlichen Monographie über die europäischen Goldhähnchen beschreibt die Innsbrucker Verhaltensbiologin Ellen Thaler das Wintergoldhähnchen so (Die Goldhähnchen, Die Neue Brehm-Bücherei, Wittenberg 1990, Bd. 597, S. 10):

Der adulte Vogel wirkt stets rundlich geplustert, das lockere, üppige, weitstrahlige Gefieder ist gedeckt grünlichgrau bis olivgrau gefärbt. Die Unterseite ist heller… Das Männchen ziert ein leuchtend gelb-oranger Scheitelstreif, der seitlich, jedoch nicht im Stirnbereich, durch schwarze Federchen begrenzt ist.

Unauffälliger – wie oben in der Naumann-Grafik zu sehen – ist das Weibchen, es hat

einen zitronen- bis grünlich-gelben Scheitelstreif, ohne jede Orangefärbung.

Der gelbe Scheitelstreif – oder Kamm – beim weiblichen Wintergoldhähnchen

Verräterisch ist bei den kleinen Gesellen vor allem ihr Verhalten bei der Nahrungssuche. Und exakt so, wie es die Innsbrucker Biologin charakterisiert, ist der kleine Vogel mir begegnet (Die Goldhähnchen S. 23): Im Geäst bewegt sich das Wintergoldhähnchen

hüpfend, flatternd, schlüpfend an vertikalen Ästchen seitlich hängend vorwärts, schiebt sich dabei durch dichteres Geäst, ist für den nahen Beobachter oft völlig verschwunden, bis es sekundenschnell auftaucht, kurze Schwirrflüge vor Zweigspitzen vollführt und wieder im Zweiggewirr untertaucht. Es bewegt sich zwar pausenlos, kommt aber langsam voran.

Leckeres für Vogelzwerge

Wirklich beeindruckend ist, wie klein und leichtgewichtig die Vögel sind. Etwas abgerundet, lässt sich der Unterschied zu den allseits bekannten Meisen-Arten leicht merken: eine Kohlmeise wiegt etwa 20 g, eine Blaumeise 10 g und das Wintergoldhähnchen nur 5 g. Dazu Ellen Thaler in Die Goldhähnchen (S. 9):

Die Goldhähnchen, Gattung Regulus, sind die weltweit kleinsten Singvögel. Sie wiegen im Durchschnitt 5 – 6 Gramm. Innerhalb der gesamten Ordnung der Vögel werden sie nur von einigen nicht zu den Singvögeln gehörigen Vogelarten an Gewicht unterboten.

Gemeint sind einige kleine Kolibri-Arten. Und während die relativ stummen „Amerikaner“ auf Blütennektar angewiesen sind, brauchen die singenden „Europäer“ vor allem eins: Springschwänze.

Auffälliger Sprinschwanz mit langen Fühlern auf eine leuchtend grünen Blatt
Der Bunte Springschwanz (Orchesella flavescens) ist mit etwa 4 mm bereits ein großer Vertreter ©Anna-Dora Sartorio

Das ist natürlich übertrieben, denn sie fressen vielerlei Kerbtierchen, deren Eier und Puppen. Kleine Zikaden, Heuschrecken, Wanzen, Schmetterlinge und Spinnen gehören unter anderem dazu. Aber speziell im Winterhalbjahr sind die winzigen, sehr fettreichen Springschwänze eine unersetzliche Nahrung. Sie kraxeln auf Blättern und Zweigen von Laub-und Nadelbäumen auch dann noch herum, wenn längst kein Schmetterling mehr unterwegs ist.

Und: Während Meisen in und unter der Rinde nach tierischer Kost fahnden, klauben die Goldhähnchen ihre Nahrung oberflächlicher ab. Das aber gründlich.

Drei Goldhähnchen in verschiedenen Positionen in Fichtenzweigen
Goldhähnchen auf  Nahrungssuche (Brehms Tierleben, 1900, Bd. IV, S. 145)

Und im Winter?

Goldhähnchen müssen am Tag etwa das eigene Körpergewicht an Nahrung aufnehmen und genau genommen ständig fressen. Das ist besonders im Winter eine Herausforderung, denn morgens wiegen sie oft nur 5 g und ein Gewicht von weniger als 4,8 g ist für Wintergoldhähnchen bereits tödlich.

Immerhin haben sie besondere Anpassungen, um im kalten Winter zu überleben:
Zwischen dichten (beschneiten) Fichten- oder Tannenzweigen schützen sie sich vor Wind.
Überflüssige Aktivitäten, vor allem auch kraftraubende Aggressionen, vermeiden sie.
Die Flugaktivität reduzieren sie weitgehend.
Ihr Verhalten ist für die erfolgreiche Springschwanzjagd optimiert.
Oft sind sie im Trupp unterwegs, können in Gefiederkontakt wärmesparend übernachten.
Sie machen sich wenig „Sorgen“ um feindliche Angriffe aus der Luft.

Den letzten Punkt muss ich noch erklären: Wintergoldhähnchen sind so klein, dass sie für Greifvögel ziemlich uninteressant sind. Der Habicht steht eher auf Tauben und der Sperber auf gewichtigere Singvögel.

Aber nicht nur davon profitiert der Vogelzwerg. Goldhähnchen sind oft dort zu finden, wo Eichelhäher, Kleiber und Baumläufer unterwegs sind. Diese erheben ein großes Geschrei, warnen also auch andere Vögel, wenn ein Greif in der Nähe ist – oder gar einen Vogel erbeutet hat. Davon profitieren dann die Zwerge unter den Singvögeln. Sie müssen eben nicht ständig die Umgebung kontrollieren, sondern widmen sich stattdessen Springschwanz & Co.

Wintergoldhähnchen | Roitelet huppé | Goldcrest | Regulus regulus



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7 Kommentare zu “Keiner ist kleiner

  1. Wieder sehr lesenswerter Bericht, Danke dafür!
    Ich habe mich in den letzten Wochen beim Lesen des Blogs schon gefragt, wann denn mal das Goldhähnchen an die Reihe kommt. Ob es wohl daran liegt, dass sie nicht so leicht zu fotografieren sind. 😉
    Noch zum vorigen Bericht: Heute vom Fenster aus einen jungen Habicht auf (wohl erfolgloser) Spatzenjagd beobachten und fotografieren können. Ein unberingter Vogel – vielleicht aus dem Umland zu Besuch?

    1. Stimmt, das Fotografieren von Goldhähnchen ist wirklich nicht so einfach. (Außer man hat so viel Glück wie @Cornelia.) Und ich habe auch nur diese beiden Fotos machen können.
      Und was deine Frage nach dem Habicht angeht: In Berlin sind ja nicht alle beringt. Und manchmal klettert auch ein Jungvogel auf einen Ast, wenn der Beringer kommt. Ein solcher Vogel wird natürlich in Ruhe gelassen, damit er nicht versucht wegzufliegen und womöglich im Geäst hängen bleibt oder zu Boden stürzt. Er ist dann später eben nicht beringt.
      Deine Frage nach der Standorttreue ist interessant: Die Habichte sind ja jetzt schon auf Paarung aus und da fliegen gerade die unverpaarten Einjährigen viel herum, sicher auch über die Stadtgrenze raus und rein. Ich werde beim NABU mal nachfragen, was man darüber weiß.

    2. Hallo Henning, mir ist noch eingefallen, dass du möglicherweise einen Sperber gesehen hast. Die kommen im Winter oft zu uns in die Stadt. Ich habe gerade einen als Dachbesuch gehabt. Möglicherweise die Sperberdame, die auch in den letzten beiden Wintern hier vorbei kam. Foto: E. Brüser
      Sperber

    3. Danke für das Foto Henning, das du mir kürzlich gemailt hast. Das ist defintiv ein junger Habicht und kein Sperber. Foto: H. Dreßler

    4. Vorgestern saß dann auch ein Sperber mit Beute im Baum vor dem Fenster! Ein adultes Männchen mit kräftig orangener Querbänderung, also noch weniger zu verwechseln als Weibchen oder Jungvögel. Foto: H. Dreßler

  2. Liebe Elke,
    ich freue mich immer wieder über Deine Vogel- und Tiergeschichten.
    Sie sind mehr als nur eine Beschreibung des Gesehenen und sie sind nicht nur informativ, sondern liebevoll erzählt.
    Zum Wintergoldhähnchen möchte ich nun folgendes berichten. Ich habe vor meinem Küchenfenster unter einem Winterschneeball eine sehr gut besuchte Futterstelle. Daneben steht ein Feuerdorn, dessen Beeren gern gefressen werden und der speziell den Spatzen als Startrampe für das Vogelhaus im Schneeball dient.
    Immer wieder wandert mein Blick dorthin, um den oft regen Betrieb vor meinem Fenster zu beobachten. Vor ein paar Tagen traute ich meinen Augen kaum, als ich im Feuerdorn flink ein kleines Wintergoldhähnchen mit dem gelben Hahnenkamm auf der Suche nach Insekten herumhüpfen sah. Schnell habe ich meinen Foto geschnappt, der immer griffbereit auf der Küchenablage liegt. Aber, es war gar nicht so leicht, den flinken kleinen Vogel zu fotografieren. Was mir zunächst auch nicht gelungen ist.
    Er ist später noch zum Schneeball geflogen, hat dort zwischen den Ästen gesucht und ist auf seiner Suche auch einmal auf dem Boden gelandet. Und da konnte ich endlich ein paar Fotos machen. Ich kann ihn zur Zeit mehrmals täglich beobachten. Er hat immer die gleichen Stellen, die er absucht. Dabei ist er nicht sonderlich ängstlich. An einem Morgen, als ich das Vogelhäuschen auffüllte und meinen Futterbehälter neben dem Feuerdorn abstellte, bemerkte ich später, dass er im Feuerdorn unterwegs war. Es störte ihn nicht, dass ich in der Nähe war. Es macht große Freude, ihm zuzusehen.

    1. Danke, liebe Cornelia für deine ausführliche Antwort. Wie schön, so einen kleinen Kerl aus der Nähe beobachten zu können! Und deine Beobachtung ist übrigens völlig richtig: Goldhähnchen sind recht zutraulich, haben wenig Furcht vor Menschen. Auch das habe ich bei Ellen Thaler, die ihre Doktorarbeit über die Goldhähnchen geschrieben hat, gelesen. Und bei Johann F. Naumann und im „Brehm“ fand ich diesen Hinweis auch.

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