Der Vogel, der wie eine blaue Amsel aussieht, heißt Blaumerle, und ist gar keine Amsel.¹ Vielmehr gehört er in die Schnäpperverwandtschaft wie Rotkehlchen, Gartenrotschwanz und die Steinschmätzer. Die Blaumerle – also Monticola solitarius – ist scheu, und sie in ihrem typischen Lebensraum zu entdecken, ist nicht leicht. Außer sie singt gerade.
Dass wir sie selten zu Gesicht bekommen, hat zwei Gründe:
Dieser Vogel lebt in felsenreichen, steinigen Landschaften. Das kann im Hochgebirge sein, aber auch an felsigen Küsten. Mit anderen Worten, es ist für neugierige Menschen oft aufwändig, seinen Lebensraum zu erreichen.
Außerdem hat der knapp amselgroße Vogel ein Gefieder dessen Farbton vom Licht und den Farben der Umwelt stark beeinflusst wird. Mal glänzt es stahlblau, mal überwiegen Grautöne, dann wieder – zumal bei den weiblichen Vögeln – herrschen die Brauntöne vor.
Grafik aus
Johann F. Naumann
Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas
1887-1905, 3. Aufl.
Bd. 1, Tafel XIV
Abgebildete Vögel
oben ein bräunlicher Jungvogel
darunter die weibliche Blaumerle
unten die männliche Blaumerle
Die Federkleider von männlicher und weiblicher Blaumerle sind in vielen Bestimmungsbüchern und so auch im „Naumann“ sehr unterschiedlich dargestellt: vorwiegend braun die Dame, stahlblau der Herr.
Aber das zuverlässige Handbuch der Vögel Mitteleuropas (Hrsg. Urs N. Glutz von Blotzheim u.a., Bd. 11,1) warnt, dass das mit dem äußerlich erkennbaren Geschlechtsunterschieden kompliziert ist. Auf Seite 701 lese ich: Diese Vögel
zeigen im natürlichen Milieu derart wechselnde Farbeindrücke, daß das Ansprechen des Geschlechtes oft nahezu unmöglich ist, bis der Vogel fliegt oder in günstige Beleuchtung gerät.
Da hatte ich in diesem Fall Glück: Jene Blaumerle, die ich länger beobachten konnte, schien die Sonne zu genießen und saß gut im Licht. Es war eindeutig ein männliches Tier.
Felsiger Lebensraum
Blaumerlen bewohnen steile, teils überhängende Felswände mit vielen Spalten und Höhlen, wo sie ihre Nahrung finden und wo sie auch brüten.
Sie sind sowohl Wartenjäger als auch Streifsuchjäger. Das heißt, sie stürzen sich von einer erhöhten Warte aus, etwa einer Felsspitze oder einem Feigenkaktus, auf Beute am Boden, oder sie hüpfen beziehungsweise laufen im Fels herum, um so ein Beutetier zu erhaschen. Häufig starten sie von der Warte aus eine kurze Flugjagd auf fliegende Insekten.
In Höhen bis zu 3000 m ü.M. ist in sonnigen Regionen mit der Blaumerle zu rechnen. Rund um das Mittelmeer können wir sie mit etwas Glück und Ausdauer in felsigen Gebieten beobachten.
Die Blaumerlen haben ein insgesamt großes Verbreitungsgebiet. Es erstreckt sich vom Mittelmeer über die Türkei und den Kaukasus hinaus bis weit in den Osten, reicht bis nach China und Japan. Selbst in Malaysia kommen sie vor. Im östlichen Verbreitungsgebiet leben allerdings Unterarten, die blasser – also weniger blau – gefärbt sind als die europäischen Vertreter.
Ich entdeckte Mitte April in der spanischen Extremadura einen Vertreter der Art Monticola solitarius ² und zwar im wundervollen Nationalpark Monfragüe, den viele Menschen besuchen, um Gänsegeier, Schmutzgeier und Mönchsgeier zu beobachten.
Dort treffen am Aussichtspunkt Salto del Gitano eindrucksvolle Felsen und das Wasser des Flusses Tajo aufeinander. Es gibt viel Gebüsch, und in den Felsspalten wachsen Gräser. Heuschrecken und kleinere geflügelte Insekten, Ameisen, Spinnen und Eidechsen leben hier. Solche Lebensbedingungen gefallen nicht nur der Blaumerle, sondern auch den Felsenschwalben, die am Ufer und über dem Wasser Fluginsekten jagen.
Gut kaschiert
Blaumerlen sitzen gerne etwas erhöht, um dort zu singen oder nach Nahrung Ausschau zu halten. Solche Warten suchen sie immer wieder auf. Darum sah ich sie nicht nur mittags, sondern auch gegen Abend bei gänzlich anderen Lichtverhältnissen — faktisch am selben Ort. Das Gestein war nun grau und das Wasser schimmerte grünlich.
Vogelbegeisterte, die hier nur nach oben schauen, um die vielen kreisenden Geier zu beobachten, werden die unauffällige, knapp amselgroße Blaumerle vemutlich übersehen.³
Leider hatte diese Blaumerle nicht gesungen. Ihr Gesang wird als melodiös und flötend beschrieben. Es kommen auch raue Töne in den Strophen aus drei bis fünf Silben vor. Typische Strophen werden zum Beispiel als „türididi-türididi“ oder „trui-tri-de-trui-dä“ in Lautsprache übersetzt. – Wer den Gesang der Blaumerle hören möchte, findet bei xeno-canto gute Tonaufnahmen aus Frankreich, Italien, dem Iran und vielen anderen Ländern. Einfach in der Suche den Artnamen eintragen.
Exkurs: Messiaen und die Blaumerle
Von dem Gesang des blauen Vogels ließ sich auch der französische Komponist Olivier Messiaen beeindrucken. Er war ein guter Kenner des Vogelgesangs und ließ sich beim Komponieren von Vögeln inspirieren. Neben zwölf anderen Vogelarten hat die Blaumerle als Le Merle bleu ² Eingang in sein Klavierwerk Catalogue d’Oiseaux gefunden.
Mich hat das stahlblaue Gefieder der „blauen Amsel” in seiner lichtabhängig changierenden Tönung total begeistert. Dass die Blaumerle nach ihrem plötzlichen Abflug unauffindbar war, ist nicht verwunderlich. Entweder saß sie gut verborgen im Schatten von Felsgestein, oder sie war in eine Felsspalte geschlüpft.
¹ Das ist vielleicht verwirrend, mag jedoch interessant sein: Die Blaumerle heißt auf Französisch Merle bleu, wobei das Wort merle nichts anderes als Amsel bedeutet und so ins Deutsche zu übersetzen ist. Neuerdings wird sie in Frankreich, ornithologisch richtiger, als Monticole merle-bleue bezeichnet.
² Der wissenschaftliche Name Monticola solitarius bezieht sich nicht auf das Gefieder, sondern die Lebensweise des Vogels. In dem Wort monticola stecken der Berg (mons; lat.) und der Bewohner (incola; lat.). Und das Wort solitarius ist eine Ableitung von solis (allein; lat). und bedeutet einsam, ungesellig.
³ Von den Geiern, speziell den nistenden Gänsegeiern und ihren Jungen, werde ich natürlich noch berichten.
Blaumerle | Merle bleue (= Monticole merle-bleue) | Blue Rock Trush | Monticola solitarius
Hallo Elke
Danke für dein Blogpost. Wir haben in verschieden Jahre, in Februar, März, April und Mai die Blaumerle am gleichen Ort wie Du beobachten können. Leider auch immer ohne Gesang.
Man kann Sie auch, aber weniger gut, beobachten in Les Alpilles bei Les Baux.
Liebe grüsse
Henk
Das ist ja interessant! Ja, viele Vögel sind gewissermaßen standorttreu – inklusive ihrer Nachkommen. Danke Henk.