Auf meiner ersten Birdingtour stand am zweiten Tag die Lasurmeise auf dem Programm: Als eine unserer Zielarten im Pripjat Nationalpark von Weißrussland. Anfangs war mir die Sache mit der „Zielart“ etwas fremd. Aber es ist nun mal so, dass man bestimmte Arten nur an bestimmten Orten findet. Das Verbreitungsgebiet muss stimmen und das Habitat ebenfalls.
Um etwa einen Weißrückenspecht zu entdecken, braucht es den Mischwald mit altem Gehölz, der Drosselrohrsänger singt im Schilf und nicht wie die aufsteigende Feldlerche hoch oben in der Luft, die Lasurmeise schließlich liebt ausgedehnte Weidenbestände und käme nicht auf die Idee, sich im Nadelwald herumzutreiben.
Und wir besuchten gerade den verzweigten Flusslauf des Pripjat bei Turov, wo im und am Wasser viele Weiden wachsen. Darum ist die weiß-blaue Schönheit dort zu finden und war unsere Zielart.
Schon im letzten Jahr hatte ein Lasurmeisen-Pärchen auf demselben Grundstück genistet. Dieses Jahr hatten sie einen ganz besonderen Platz ausgewählt: Hinter einem hellen Vorhang, direkt an dem traditionellen Holzhaus. Das wussten die weißrussischen Ornithologen, die uns dorthin begleiteten.
Unser kleines Grüppchen von Vogelbegeisterten stand im Schatten einer mächtigen Weide. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sich das lichtblaue Männchen blicken ließ. Vom rostroten Gartentor flog es zum verborgenen Nest, kam kurz darauf wieder hervorgesaust und verschwand richtung Flussufer. Das ging so schnell, ich war vor Aufregung … „da, da, da ist sie“ … kaum zur Besinnung gekommen.
Aber es dauerte nicht lange, bis das Männchen erneut mit einer kleinen Raupe im Schnabel zurückkehrte. Zeit die hübsche Meise genauer zu betrachten. Johann F. Naumann beschrieb sie ungemein präzise so (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1905, Bd II, S. 280):
Das alte Männchen ist ein herrlich geschmückter Vogel, obgleich nur zwei Farben, Blau und Weiss, ihn zieren… Die kleinen Flügeldeckfedern sind herrlich lasurblau, eine Farbe, die dem schönsten Ultramarin gleicht, ein echtes prachtvolles Himmelblau; die großen Deckfedern etwas dunkler und mit sehr großen, schneeweißen Enden, wodurch der Flügel einen breiten weißen Querstreifen erhält… die oberen Deckfedern des Schwanzes lasurblau mit weißen Spitzen, so auch die Schwanzfedern selbst …
Die Schwester der Lasurmeise und andere Verwandtschaft
Bei uns kommt die Lasurmeise, deren Name von lat. Lasurium, dem Blaustein, abstammt, nicht vor.
Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt in Russland, kleinere Bestände brüten auch in Weißrussland.
Im Winter ziehen die Vögel je nach Witterung westwärts und manche erreichen Polen. Einzelgänger sind früher auch bei uns gesichtet worden.
Die Lasurmeise wird auch als große Schwester der Blaumeise bezeichnet. Vor allem der schön gefärbte Schwanz ist auffällig lang. Außerdem ist auf der Abbildung gut dargestellt, wie sehr sich ein junges (ganz oben) und ein altes (darunter) Blaumeisenmännchen in der Färbung unterscheiden. Die Blautönung wird mit der Zeit intensiver.
Dass mir die Lasurmeise so gut gefallen hat, mag auch daran liegen, dass zumindest im weißrussischen Polesien, das vom Fluss Pripjat geprägt ist, die Farbe Blau allgegenwärtig ist und mich im sonnigen Mai förmlich ansprang. Ich habe nur diese eine Lasurmeise bei Turov, unsere Zielart im tiefsten Weißrussland nahe der Ukraine, gesehen. Aber das leuchtende Blau von Fensterrahmen, Holzbänken, Kirchen und Bretterzäunen hat mich immer an sie erinnert.
Lasurmeise | Mésange azurée | Azure tit | Cynistes cyanus oder Parus cyanus
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