Das Blaukehlchen ist unübersehbar, wenn es sich mal zeigt und nicht wie üblich im Gebüsch oder der Krautschicht des Bodens verborgen ist. Einzigartig lasurblau erstrahlt seine Kehle – jedenfalls bei den adulten Männchen. Kürzlich hatte ich das Glück, eines von ihnen kurzzeitig beobachten zu können. Ich hatte bereits aus einer Weide seinen Gesang gehört, bevor es tatsächlich näher flog und im Schilf „Platz nahm”.
Kehlchen-Verwandtschaft
Die blaue Kehle der männlichen Blaukehlchen ist mit der roten Kehle der Rotkehlchen vergleichbar, doch näher verwandt ist es mit Nachtigall und Sprosser. Aber immerhin: Sowohl das Blaukehlchen als auch das Braunkehlchen, das Rotkehlchen und das Schwarzkehlchen gehören zur großen Familie der Fliegenschnäpper – oder Muscicapidae.
Außerdem ist Blaukehlchen nicht gleich Blaukehlchen: Es gibt weltweit zehn Unterarten, verrät mir das Handbook of the Birds of the World (Barcelona, 2005, Bd. 10, S. 748).
Eine davon hat einen weißen Stern im blauen Feld. Sie ist in Deutschland und auch in den Niederlanden weit verbreitet und ihr wissenschaftlicher Name lautet Luscinia svecica cyanecula. Dabei markiert nach dem Gattungs- und dem Artnamen das dritte lateinische Wort die Unterart.
In Skandinavien lebt eine Unterart mit rotem Stern (Luscinia svecica svecica), und schlicht blau ist die Kehle bei vielen Blaukehlchen der Ost-Türkei und das Kaukasus (Luscinia svecica magna).
Das Federkleid der Jungvögel und der weiblichen Vögel ist hingegen unauffällig: bräunlich gemustert, an der Kehle etwas heller und manchmal hat sich ein blaues Federchen dorthin verirrt.
Blaues Signal
Und was soll diese blaue Markierung? Welche Rolle spielt sie im Vogelleben? Was viele Menschen vielleicht als schmückendes Beiwerk betrachten, das gilt in der Biologie tatsächlich als wichtiges Signal in der Kommunikation unter Blaukehlchen-Artgenossen, also in der innerartlichen Kommunikation.
Singvögel können ihr Revier gesanglich markieren und so Rivalen auf Distanz halten. Aber wenn das akustische Signal nicht wirkt und der Eindringling unbeirrt näher rückt, schlägt die Stunde der visuellen Signale.
Männchen erkennen einander an dieser blauen Kehle, die zur Paarungszeit intensiv leuchtet und bei ihnen offenbar wie ein rotes Tuch wirkt. Wenn im Frühjahr die Reviere abgesteckt werden, attackieren die Rivalen einander heftig, falls einer dem anderen zu nahe kommt. Das macht – biologisch betrachtet – Sinn, kann jedoch fatale Folgen haben.
Früher wurden Blaukehlchen zu Hause im Vogelkäfig gehalten, als sogenannte Stubenvögel. Aber schon im 19. Jahrhundert warnten Ornithologen wie Johann F. Naumann davor, zwei männliche Blaukehlchen gemeinsam unterzubringen. Nur eines würde überleben.¹
In der Natur macht sich bei Auseinandersetzungen irgendwann ein Männchen aus dem Staub. Doch gekäfigt, kann sich das schwächere oder unerfahrenere nicht retten. Versuche mit Vogelattrappen haben übrigens gezeigt, dass es auf die blaue Kehle und den farbigen Brustbereich ankommt: Sie lösen die Attacken des Gegenübers aus.
Dass Jungvögel und Weibchen keine blaue Kehle haben, erklärt sich damit von selbst: Vor Angriffen eines Männchens sind sie ohne diesen markanten Auslöser geschützt.
Blaukehlchen im Brutgebiet
Zwischen Mitte März und Mittel April kehren hiesige Blaukehlchen aus ihren Winterquartieren zurück, die teils jenseits der Sahara liegen, teils in Nordwestafrika. Die weißsternige Unterart überwintert teilweise auch in Spanien. Immer kommen zunächst die Männchen an, besetzten ein passendes Revier und handeln die Grenzen per Gesang und Attacken untereinander aus. Etwa eine Woche später treffen die weiblichen Vögel ein.
Wenn Blaukehlchen in ihrem Brutgebiet landen, haben sie oft eine Flugstrecke von einigen Tausend Kilometern hinter sich, die sie üblicherweise alleine zurücklegen. Wie viele andere kleine Singvögel ziehen sie übrigens nachts. Das ist erstaunlich, denn im Winterquartier wie auch im Brutquartier sind sie tagaktiv. Allerdings gibt es mehrere Vorteile für die kleinen Nachtzieher, von denen Peter Berthold in seinem Klassiker Vogelzug (Darmstadt, diverse Auflagen) ausführlich berichtet:
Viele Greifvögel sind nur am Tag auf Beute aus. Wer in der Nacht zieht, entkommt ihnen.
Wer nachts „Strecke macht“, kann tagsüber fressen. Viele Kleinvögel müssen regelmäßig auftanken, damit sie durchhalten.
Möglicherweise spielt es eine Rolle, dass in der Nacht die Windrichtung meist stabiler ist und weniger Turbulenzen vorkommen.
Nachts ist die Luft kühler und feuchter. Überhitzung und Austrocknung (Dehydrierung) sind dadurch unwahrscheinlicher.
Blaukehlchen sind in ihrem Lebensraum nicht leicht zu entdecken, weil sie bodennah zwischen Pflanzen leben. Als „Erdsänger“ werden sie auch bezeichnet. Zwar sitzen sie beim Singen etwas erhöht auf Schilfhalmen oder in Weiden, aber ihre Insektennahrung suchen sie vor allem am Boden. Auch das Nest wird nicht im Baum, sondern bodennah angelegt.
Zwar können Blaukehlchen in sehr unterschiedlichen Regionen leben, aber insbesondere die Brutplätze haben bestimmte Merkmale gemeinsam. Dazu schreibt Egon Schmidt in Das Blaukehlchen (Die Neue Brehm-Bücherei, Magdeburg 1995) auf Seite 16
Seinen typischen Lebensraum bilden im allgemeinen an Gewässern liegende oder wenigstens feuchte bis nasse Gebiete, wo auch eine schützende Pflanzendecke vorhanden ist. Niethammer (1937)³ nennt nasse, sumpfige Gebiete, falls auf diesen sich hinreichendes Strauchwerk, vor allem Weiden, finden, sodann Uferzonen von Süßwässern, Erdgruben und Auwälder …
Genau diese Beschreibung trifft auf das Biotop zu, in dem ich das Blaukehlchen traf. Die Weiden sind auf dem obigen Foto allerdings hinter einer Schwarzerle verborgen.
Das Beste zuletzt
Erfreulicherweise spricht Einiges dafür, dass der Bestand an Blaukehlchen hierzulande und in anderen nordeuropäischen Regionen zunimmt.
Da die Art aber sehr heimlich lebt, haben alle Zählungen einen großen Unsicherheitsbereich und sind eher vage.
Von 12.000 – 21.000 Brutpaaren in Deutschland berichtet beispielsweise der NABU. Das spricht im Vergleich mit früheren Zählungen für eine Zunahme in den letzten Jahrzehnten.
Es wird vermutet, dass die Vogelart mit Rapsfeldern und wachsenden Röhrichtbeständen in den Wassergräben der Niederlande und Norddeutschlands gut zurechtkommen. Auch die Wiedervernässung von Moorgebieten scheint sich positiv auszuwirken, lese ich.³ Wie schön!
¹ J.F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, Gera, 3. Aufl., Bd. II, S. 39 und Tafel 5
² G. Niethammer: Handbuch der deutschen Vogelkunde, 1937, Leipzig, Bd. 1
³ K. Gedeon u.a.: Atlas Deutscher Brutvogelarten (ADEBAR), 2014, Münster, S. 588
Blaukehlchen | Gorgebleu à miroir | Bluethroat | Luscinia svecica
Mein Kollege Ludwig Schlottke, ein engagierter Turmfalken Beringer, hat mir das Foto eines rotsternigen Blaukehlchens (Luscinia svecica svecica) gesandt. Er fotografierte es in Schweden. Ich möchte es euch nicht vorenthalten! Aber um es zu sehen müsst ihr bitte die Kommentare direkt unter dem Blogpost anschauen. In dieser Randspalte ist das Foto nicht sichtbar.