Kürzlich war ich auf Hooge, und eine der vielen Überraschungen auf dieser Hallig im naturgeschützten Wattenmeer waren die Eiderenten mit ihren Jungen – genial getarnt in ihrem schlammfarbenen Gefieder. Da diese kompakte Entenart „Seevogel des Jahres 2019“ ist, möchte ich gleich von meiner Begegnung berichten. Es ist der zweite Blogpost zu diesen Tauchenten, die sich an der Nordseeküste vor Schleswig-Holstein vor allem Muscheln, Seesterne und Krebstiere vom Meeresboden hoch holen.
Bei einem frühmorgendlichen Rundgang hätte ich die kleine Familie an der Böschung eines Grabens fast übersehen. Dieser gehört zu einem komplexen System von Kanälen, die bei Flut voll laufen und bei Ebbe einen viel niedrigeren Wasserstand habe – oder sogar trocken fallen.
Eiderenten brüten in Bodennestern auf den Salzwiesen, wie man sie an der Nordseeküste findet. Sind die Jungen nach drei bis vier Wochen geschlüpft, führen die Mütter ihre quicklebendigen Küken meist zunächst auf Binnengewässer – wie diesen Gräben – und kurz darauf schon aufs Meer. (Andernorts müssen Mutter und Nachkommen über Land zum Wasser laufen.)
Als diese Entendame mit sechs Jungen mich bemerkte, machte sie alles richtig: Sie lockte ihre Küken noch näher heran und schwamm mit ihnen in einen schattigen Bereich an der Böschung.
Mit mehr Abstand wartete ich ein Weile, und die Eiderente machte kurz darauf das, was sie sowieso geplant hatte: Sie schwamm mit ihrer Kinderschar in einen größeren Graben, der in Richtung Meer führte. Aber sichernd blickte sie immer wieder zu mir.
Die wenige Tage alten Entenküken können übrigens nicht nur phantastisch schwimmen, sondern natürlich auch die Beine in die Hand nehmen.
Gruppenleben mit „Flummis“
Auf meinem Rundgang kam ich schon bald an einen Teich in der Nähe des Sommerdeiches, wo rund 50 männliche und weibliche Eiderenten ruhten beziehungweise herumschwammen.
Und wer tauchte kurz darauf aus einem Verbindungsgraben auf? Die Entenmutter mit den sechs Jungen.
Da zeigte sich, was allerorts beschrieben wird: Die Mutter führt ihren Nachwuchs, aber begleitet und betreut wird er auch von anderen Artgenossen. Eiderenten brüten meist in Kolonien, auch außerhalb der Brutsaison leben sie in Gruppen. Sind viele Junge geschlüpft, entstehen mit der Zeit regelrechte „Kindergärten“.
Bei den Hooger Eiderenten war deutlich, wie attraktiv die Küken für andere Gruppenmitglieder sind. Aber die Mutter hatte den Hut auf! Kam eine andere Eiderente zu nah heran – es waren vor allem „Jungendlichen“ aus dem letzten Jahr –, ging sie auf diese mit warnenden Flügelschlägen und Geschnatter los.
Wie fix die wenige Tage alten Jungen schon unterwegs sind und wie selbstverständlich sie sich in der Gruppe bewegen, zeigt dieser Videoausschnitt. Wie kleine Flummis tauchen sie ab – und wieder auf. (Am besten zweimal betrachten, um die abtauchenden Jungen zu verfolgen; rechts unten die Mutter.)
Vom Binnengewässer aufs Meer
Später begegenete mir eine Eiderente mit drei Küken auf dem Meer – noch in Strandnähe. Diese Jungen waren sicher drei, vier Tage älter. Denn dort bei stärkerem Wellengang zu schwimmen und zu tauchen, ist anstrengend. Nach und nach lernen sie, nicht nur mit Wind und Wellen klar zu kommen, sondern auch das tiefe Tauchen nach Nahrung auf dem Meeresboden.
Sehr schön hat bereits Johann Friedrich Naumann im 19. Jahrhundert beschrieben, wie die Mutter die Jungen betreut (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. 10, S. 233):
Anfänglich hält sie sich mit ihnen in stillen Buchten und nahe am Strande auf, besteigt diesen besonders bei der Ebbe, um sie zum Ausfischen der kleinen Pfützen, in welchen junge Brut von Krabben- und Krebsarten zurückgeblieben, oder zum Auflesen ganz junger Konchylien¹ anzuweisen, welche ihre erste Nahrung ausmachen.
Insgesamt entdeckte ich auf Hooge vier Eiderenten mit Nachwuchs. Mir scheint, die Mutter-Kind-Familien waren die ersten der Brutsaison. Andere Weibchen sitzen Mitte Mai offenbar noch auf dem Gelege. Sie begeben sich dann nur selten, und erst nachdem sie das Nest mit Dunenfedern² abgedeckt haben, zur Futtersuche aufs Meer.
Dabei werden die Entendamen vom Erpel begleitet. Denn nach der Balz und Begattung fungiert dieser nur als Bewacher, bevor er sich – zum Gefiederwechsel – einer Männergruppe anschließt.
Der Erpel brütet nicht und muss weder das Weibchen, noch die Nachkommen füttern. Denn als Nestflüchter sind sie von Anfang an selbständig. Hoffen wir, dass noch viele Küken schlüpfen und gut durch die ersten Tage und Wochen kommen – denn für Großmöwen und Greifvögel sind sie ein Leckerbissen. Dass der Bestand unserer Seevögel in den letzten Jahren so sehr geschrumpft ist, liegt aber nicht an ihnen. Die Gründe hat Sebastian Conradt vom Verein Jordsand aufgeschrieben.
¹ Ältere Bezeichnung für Schalentiere wie Muschelnund Schnecken.
² Die zarten Dunen, die sich die Weibchen auf der Bauchseite auszupfen, um damit das Nest auszupolstern, sind jene Daunen, die in unseren Federbetten stecken. Sie werden seit Jahrhunderten zu diesem Zweck gesammelt.
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