Alpendohle: am Tisch zu Gast

12. Oktober 2023 | Große Vögel, Mensch & Vogel | 3 Kommentare

Die Alpendohle ist ein faszinierender Vogel. Klug und äußerst lernfähig wie andere Rabenvögel auch, aber zusätzlich lebt sie in einem extremen Lebensraum. Im Hochgebirge, wo die Winter eiskalt sind und oft eine Schneeschicht die Nahrungsflächen der Vögel überdeckt. Das treibt Alpendohlen schon seit langem tagsüber in die Täler, und so haben sie sich immer mehr an Menschen gewöhnt. Mittlerweile sitzen sie bei uns mit am Tisch.

In großen Höhen

Wie die nah verwandte Alpenkrähe, mag die Alpendohle die Höhe und ein frisches Klima:

Ihr Lebensraum reicht von alpinen Gebieten im Atlasgebirge Marokkos, über die Pyrenäen und die Alpen, osteuropäische Gebirgszüge und dem Kaukasus bis zu den hohen zentralasiatischen Gebirgen und dem Himalaya.

Üblicherweise liegen die Brutplätze der Vögel zwischen 2000 und 3300 m. Auch außerhalb der Brutzeit schlafen sie dort in Felsnischen, wo sie vor allem vor kaltem Wind geschützt sind.

Alpendohlen sind etwas kleiner als Alpenkrähen. Zu den auffälligsten Unterschieden gehört, dass der Dohlenschnabel gelb ist, während die Alpenkrähe einen roten Schnabel hat. Außerdem ist dieser etwas länger und stärker gebogen. Das veranschaulicht diese Grafik aus Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas. (1901, 3. Aufl., Bd. 4, Tafel 4)

Wer in den Alpen unterwegs ist und nicht sicher erkennt, welche Art über ihm am Himmel fliegt, kann von einer Alpendohle ausgehen. Denn die Zahl der Alpenkrähen ist gering geworden. Als Brutvogel ist die Art – speziell in den Ostalpen – nicht mehr existent. Darum wird überlegt, sie dort gezielt wieder anzusiedeln.¹

Im Kaukasus

Alpenkrähen an der Georgischen Heerstraße

Mir begegneten Alpenkrähen 2020 im Kaukasus, und zwar in Georgien an der Georgischen Heerstraße, auf der sich unendlich viele LKW und auch PKW durch das Gebirge schlängeln. Nahrungsreste und anderer Abfall hatten die Vögel an den Straßenrand gelockt.

LKW und Müll an der Georgischen Heerstraße

Auch ein Trupp gelbschnäbliger Alpendohlen überraschte mich nahe der Grenze zu Russland. Sie vollführten in den leichten Aufwinden am Fels geradezu spielerisch allerlei raffinierte Flugmanöver.

Alpendohle am Himmel von Georgien

Flugspiele eines Trupps von Alpendohlen

Alpendohlen in den Alpen

Kennzeichen: schwarzes Gefieder, gelber Schnabel, rote Füße mit dunklen Krallen

Aber niemand muss bis in den Kaukasus fahren, um Alpendohlen zu beobachten. Es reicht zum Beispiel ein Besuch der Zugspitze oder des Wendelsteins, um sie zu sehen.

Wer sich in den Alpen etwa in einer Skihütte oder im Sommer an einer Jausenstation eine Mahlzeit gönnt, kann mit ihnen rechnen.

Denn die Vögel haben sich an Menschen gewöhnt, schnappen sich längst auch Pommes frites, Nudeln oder Käse vom Teller, wenn sie sich sicher fühlen.

Stippvisite am Tegelberghaus, einer Jausenstation

Ich hatte im Herbst dieses Erlebnis am Tegelberg, nahe Füssen, wo an der Bergstation der Seilbahn zwei Gaststätten zu einer Pause einladen und Schloss Neuschwanstein nicht weit ist. Während hier auf über 1800 m Höhe auf der einen Seite Drachenflieger ins Allgäu hinabschweben, segeln auf der anderen Seite Alpendohlen durch die Bergwelt der Ammergauer Alpen.

Alpendohlen: Segelfliegen in den Ammergauer Alpen

Wenn es den schwarz gefiederten Vögeln gefällt, landen sie auf einem der Sonnenschirme oder dem Holzgeländer und inspizieren die Lage: Wo liegt ein schmackhafter Rest auf einem Teller? Ist etwas Leckeres auf den Boden gefallen? Wie gut ist es erreichbar? Geht es zu Fuß, mit großen Schritten oder mit ein paar Hüpfern? Oder sind ein paar Flügelschläge erfolgversprechender?

Landung auf dem Geländer

In Wartehaltung am Tisch

Überblick bieten Sonnenschirme

Manchmal nützt eine Stuhllehne

Als Verhaltensbiologin würde ich zu gerne wissen, was in den Vögeln vor sich geht. Was denken, was planen sie? Jedenfalls wirken sie in dem Kontext der Jausenstation höchst konzentriert, sind ständig auf der Hut. Immer wieder wechseln sie den Platz, schauen herum, ziehen blitzschnell ihre Nickhaut übers Auge – ein Hinweis, dass sie nervös sind.

Mal sind sie am Boden mit großen Schritten unterwegs

Mal hocken sie erwartungsvoll auf einem Tisch

Wenn Gäste von ihrem Tisch aufgestanden sind, verlassen die Vögel sofort ihren Ausguck, ihre Warte, und kommen angeflogen, um deren Teller zu inspizieren.

Abflug zur Inspektion geleerter Teller

Gestapelte Teller machen es nicht eben leicht, Essensrest zu finden.

Tagsüber im Tal

Dass Alpendohlen sich an unseren Tischen niederlassen, ist nicht allzu verwunderlich, denn sie gelten seit langem als „Kulturfolger”. Das heißt, sie folgen dem Menschen in von ihm geschaffene Landschaften. Das können Felder oder Dörfer sein, längst aber auch kleine und große Städte.

Im Handbuch der Vögel Mitteleuropas² lese ich, es sei schon um 1800 beschrieben worden, dass Alpendohlen

im Winter in Scharen in die bewohnten Täler herabkommen und abends jeweils wieder in die Berge zurückfliegen,

Das heißt zur Futtersuche pendeln sie zwischen oben und unten. Heute weiß man, dass sie täglich von Höhen über 2000 m auf Höhen von 500 bis 1700 m fliegen. Der Fachbegriff dafür ist „Vertikalwanderung”. Mit diesen Flügen, die oft 5 – 20 km ausmachen, kommen sie durch die nahrungsarme Zeit. Denn in den Tälern finden sie

im Spätherbst auf Bäumen das Fruchtfleisch aus (noch) nicht geernteten Äpfeln und pflücken an Weinstöcken und Sträuchern verbliebene Beeren.

Zudem spürt die Alpendohle dort, wo Menschen wohnen, überwinternde Insekten in Mauerfugen und im Gebälk auf, auch im Mist und in den Abfällen. – Wie wenig ängstlich, wie aufmerksam und geschickt manch eine Alpendohle ist, lässt der folgende Videoausschnitt erahnen:

 

Die Allesfresser

Während sich die Alpendohle ab dem Herbst in erster Linie vegetarisch ernährt, also von Früchten wie Äpfeln und Birnen, von Wacholder, Heidel-, Preisel- und Vogelbeere, von Mehl- und Maulbeere, von Holunder, Himbeere, Heckenrose usw., verlegt sie sich am Ende des Winters auf animalische Kost. Sie stochert und gräbt nach Insekten, sobald der Schnee abtaut.²

Am Rand der schmilzenden Schneefelder findet sie nun reichlich Nahrung: Wiesenschnaken, Spinnen, Regenwürmer und Gehäuseschnecken. Später im Jahr kommen Heuschrecken, die Maulwurfsgrille, Käfer und Ameisen hinzu. Aber auch kleine Wirbeltiere wie Frösche und Eidechsen, Vogeleier, Jungvögel, und sogar Mäuse werden verspeist.²

Alpendohlen sind wie Nebelkrähen, Dohlen und andere Rabenvögel keine Nahrungsspezialisten, sondern fressen alles Mögliche. In der Biologie gelten sie als „Allesfresser“, d.h. sie sind omnivor (von lateinisch omnis „alles“ und vorare „fressen“).

Zu solchen Lebensgewohnheiten passt, dass wir Alpendohlen beim Wandern in alpinen Regionen – ihrem angestammten Lebensraum – eher selten und meist nur aus der Ferne sehen.

Kein Service: Sollen wir uns beklagen?

Häufiger und aus der Nähe begegnen sie uns dort, wo wir in Tal- und Bergstationen für eine große oder kleine Mahlzeit Platz nehmen.

Serviert wird den Alpendohlen hier allerdings nichts – auch nicht bei eindeutiger Tischnummer.

 

¹ Vögel der Alpen, Der Falke, Sonderheft, 2022, S. 64-68
2 Urs N. Glutz von Boltzheim, Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Aula-Verlag, Bd. 13.3, S. 1572 ff

Alpendohle | Chocard des Alpes | Alpine Chough | Pyrrhocorax graculus

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

3 Kommentare

  1. Wie immer sehr schön geschrieben!

    Antworten
    • Merci!

  2. Wie schön! Diese Dohlen sind fester Bestandteil meiner Erinnerungen an die herrlichen Bergsteigerjahre (vor mehr als 60 Jahren) in den Ostalpen. Ihre Rufe und ihr scheinbar müheloses Auf und Ab vor den Wänden, über die wir nur mühsam vorankamen. Und auf den Gipfeln sind sie gerne auf unseren Rucksäcken herumgestiegen, wenn wir die 2-3 m entfernt abgelegt hatten.

    Antworten

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Du ahnst es vielleicht schon: Im Wort Birding steckt der englische „bird“. Unter Vogelfreunden ist das ein Schlagwort für die Beobachtung der gefiederten Tierwelt – im Feld, wie man so schön sagt. Also draußen. Ein paar Anmerkungen dazu findest du → hier.

Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Drei dunkle Hausrotschwänze in einer Grafik. Links der weibliche Vogel rechts davon der männliche, beide mit roten Schwanzfedern. Der männliche Vogel ist an weißen Federn am Kopf und auf den Flügeln zu erkennen. Ganz rechts auf der Grafik und neben den Eltern ein dunkelbraun-grauer Jungvogel.

2025 Der Hausrotschwanz

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Drei schwarzköpfige Möwen im sogenannten Prachtkleid oder Brutkleid. In der Mitte steht die Lachmöwe mit orangerotem Schnabel und ebensolchen Beinen.

2025  Die Lachmöve

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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