Vögeln auf die Spur kommen

02. Oktober 2023 | Vogelbücher | 2 Kommentare

Buchcover mit großen weißen Vögeln vor blauem Meer und rötlichem Fels, Buchtitel in der Mitte und die Köpfe von Pinguinen.Vieles, was wir heute über das Verhalten von Vögeln ganz neu lernen, basiert auf aktuellen technischen Entwicklungen. Sie machen es möglich, ausgewählte Individuen zu markieren, zu besendern, mit Datenspeichern auszurüsten und sie sowohl in der Luft als auch im Wasser zu verfolgen. Neudeutsch handelt es sich dabei um „Tracking“. Und genauso lautet der Titel eines geradezu überfälligen Buches: Tracking – Der gläserne Vogel.

Ich habe es mir kürzlich druckfrisch von der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft ¹ in Augsburg mitgebracht, wo es zunächst nur in ungebundener Form auf dem Büchertisch des AULA-Verlags einzusehen war.

Und dann lag es plötzlich mit seinem ansprechenden Cover fix und fertig zwischen all den anderen Angeboten des Verlags, der für Vogelbegeisterte eine Fundgrube ist.²

Daten sammeln mit Logger-Technik

Worum geht es auf den gerade mal 120 Seiten? Um erstaunlich viel! Wer meint, in diesem Buch zu erfahren, wie heute mit raffiniert ausgerüsteten Vögeln geforscht wird – mit Vögeln, die also am Bein oder im Gefieder sogenannte Datenlogger tragen – liegt zwar unbedingt richtig, greift allerdings zu kurz. – Aber dazu später.

Der Autor Stefan Garthe und die Autorin Ulrike Kubetzki haben viele ihrer Forschungsjahre dem Verhalten und den Lebensbedingungen von Meeresvögeln gewidmet, insbesondere den Pinguinen und Basstölpeln.³ In diesem Buch berichten sie in angenehm schnörkelloser Sprache über die Entstehung und Entwicklung von Datenloggern für ornithologische Fragestellungen.

Über dem Meer fliegt ein weißer Vogel mit schwarzem Kopf und schmalem Schnabel, er schaut auf die Wasseroberfläche.

Fluss-Seeschwalbe mit winzigem Datenlogger am linken Bein, rechts ist sie beringt (Foto: E. Brüser)

Diese Geräte sammeln bestimmte physikalische Messdaten und helfen so, die Wege und Lebensgewohnheiten von Tieren zu verfolgen. Die Logger-Technik hat die farbliche Markierung und die Beringung von Vögeln nicht vollständig ersetzen, bringt aber eine ganz neue Dimension in die biologische Wildtierforschung.

Die Gründe erklärt das zweiköpfige Autorenteam anschaulich in dem Kapitel Eine Erfolgsgeschichte: Alles begann mit Pinguinen. Wir erfahren zunächst, wie wichtig Visionen, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen einzelner Forschender sind. Anschließend geht es um technische Details:

Die Datenspeicher, mit denen Vögel fliegen, sich fortpflanzen und ernähren müssen, dürfen nicht hinderlich sein. Sie sind in den letzten 30 Jahren immer kleiner und komfortabler geworden sind: Anfangs wurden die kräftigen Pinguine mit ihnen ausgerüstet, heute gibt es 1-Gramm leichte Geräte.

Wo die Technik am Vogel angebracht wird, ist unterschiedlich: Selten und nur bei großen Vögeln ist der Logger bis heute wie ein Rucksack am Rumpf festgeschnallt. Oft sitzt er am Bein oder ist an Federn festgeklebt.

Welche physikalischen Parameter genutzt werden, um Vögel aktuell oder nachträglich zu verorten, ist ein anderes Thema. Eine Zeitlang spielten Lichtsensoren eine große Rolle, heute werden Druck- und Temperaturmessungen gespeichert, aber auch Herzschlag und Magen-Darm-Aktivität erfasst.

Vielfältig ist, wie die ermittelten Daten auf die Computer der Forschenden übertragen werden: Nur selten muss der Vogel heutzutage belästigt werden, um den Logger abzunehmen und die Daten auszulesen. Oft reicht es, sich dem Vogel anzunähern. Vielfach werden die Daten via Satellitentechnik auf einen PC übertragen oder an ein Handy versendet. Auch die Internationale Raumstation (ISS) spielt, etwa beim Erfassen von Tierwanderungen, eine Rolle.

Es geht um mehr als Tracking

Doch, wie erwähnt, ist das noch nicht alles. Aus gutem Grund ist ein Kapitel eingefügt, in dem es um die Bedeutung der oft belächelten Grundlagenforschung geht. Stefan Garthe und Ulrike Kubetzki machen klar, warum anstehende Fragen aus Politik, Wirtschaft oder Naturschutz oft nur dann strategisch klug und zügig untersucht werden können, wenn die Grundlagenforschung bereits geliefert hat.

Dazu stellt das Buch drei Beispiele im Kapitel Abenteuer Forschung mit Datenloggern vor. Entscheidungsträger wollten etwa wissen, ob

⇒ sich neue Fischfanggesetze in der EU negativ auf Seevögel auswirken könnten,
⇒ warum die Küken von kanadischen Basstölpeln noch im Nest sterben,
⇒ wie riskant Windenergieanlagen in der Nordsee für Meeresvögel sind.

Die zugehörigen Forschungsvorhaben werden von Garthe und Kubetzki nicht abstrakt abgehandelt, sondern jedes Mal nehmen uns die beiden Autoren mit in ihren Forschungsalltag. Wenn es beispielsweise auf die schaukelnde Überfahrt zu den Basstölpeln in Schottland geht, zu einem der weltweit größten Basstölpel-Brutgebiete an der rauen Küste Kanadas oder zu den Offshore-Windparks nördlich von Helgoland, wo seit 1991 viele Basstölpel brüten und sich selbst sowie den Nachwuchs sturztauchend in der Nordsee ernähren.

Und der Tierschutz

Wer sich darüber Gedanken macht, ob das Anbringen von Datenloggern die Vögel nicht mehr stört als „ein paar“ Windmühlen im Flachwasser der Nordsee, der erfährt zum einen, warum gerade diese Region für Lebewesen im Meer so bedeutsam ist und gleichzeitig, wie voll es dort bereits jetzt durch Schiffsverkehr und anderweitige Nutzung ist.

Großer weißer Vogel mit kräftigem Schnabel im Flug.

Basstölpel (Foto: E. Brüser)

Zudem lässt sich in einem eigenen Kapitel nachlesen, mit welchen Grundsätzen in der Biologie an und mit Tieren geforscht wird.

Das mögen kritische Zeitgenossen oder Zeitgenossinnen als reine Theorie oder Feigenblatt abtun, aber Fakt ist, dass Anträge gestellt und bewilligt werden müssen, die Kontrollen vielfältig sind und so manches wissenschaftliche Projekt eingestampft oder neu gedacht werden muss.

In dem Schlusskapitel Citizen Science – Bürger schaffen Wissen erfahren Interessierte zu guter Letzt, wo sie sich weiter informieren und Projekte konkret unterstützen können.

Wie schön, dass Tracking – Der gläserne Vogel üppig illustriert ist. Es enthält ergänzende wissenschaftliche Literaturbelege, und selbst ein Sachregister fand Platz. All das macht dieses übersichtlich gehaltene Buch mit seinem Fokus auf wunderbare Meeresvögel zu einem Gewinn.

¹ Noch heißt diese traditionsreiche Gesellschaft Deutsche Ornithologen Gesellschaft (DO-G). Aber das wird bald Vergangenheit sein. Die geplante Satzungsänderung reflektiert dann unter anderem, dass in der Vogelforschung zunehmend Wissenschaftlerinnen tätig sind.
² Ich habe schon mehrere Bücher aus dem AULA-Verlag besprochen, wie Das große Buch vom Vogelzug, Die Namen der Vögel, Spechte & Co. und Atlas Deutscher Brutvogelarten.
³ Stefan Garthe und Ulrike Kubetzki sind Biologen, die als Forschende am Kieler Institut für Meereskunde (IfM), dem heutigen GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, unter anderem die Meeresvögel für sich entdeckten. Aus dem IfM, an dem ich als junge Studentin unterwegs war, ging das GEOMAR hervor. Beide Autoren sind am Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) der Universität Kiel tätig.

Tracking – Der gläserne Vogel
Autorenteam:  Stefan Garthe, Ulrike Kubetzki
Jahr:     2023
Verlag: Aula

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare

  1. Die Vorstellung, dass es nun schon Satellitensender an Hummeln und Schmetterlingen gibt, ist bald so unbegreiflich wie „der bestirnte Himmel über mir“. Umso schlimmer ist (Prof. Berthold), dass unsere Kenntnisse über die Natur noch nie so weit gingen wie heute und es der Natur dabei noch nie so schlecht ergangen ist wie heute.

    Antworten
    • So ist es. Aber wie schön, dass die Kraniche wieder in Linum sind und von Ihnen und anderen Ehrenamtlichen gezählt werden. Das sehe ich auf Ihrer Webseite und konnte ja auch einmal bei der frühmorgendlichen Zählung dabei sein!

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Abo-Werbung für den Blog "Flügelschlag und Leisetreter" mit einem Specht, ein Kunstwerk von M. Garff

Vogel gesucht?

Gut sortiert

5 von 769 Kommentaren

Alle sind vollständig unter dem zugehörigen Blogbeitrag zu lesen.

  • Elke Brüser zu Waldohreulen: Vorhang auf!Das ist eine wirklich schöne Rückmeldung. Danke. Ich freue mich für Sie!
  • Ursula Juretzka zu Waldohreulen: Vorhang auf!Vielen herzlichen Dank!! Mitten im Sommer, abends um 6 Uhr, fliegt aus den Tannen eine Eule an mir vorbei und steil nach oben in einen Thujabaum. Seitdem weiß ich, dass sie dort ist: eine Waldohreule.…
  • Angela zu Am AbendhimmelDa kann ich mich nur anschließen. Auch ich liebe das Geschrei der Mauersegler am Abend. Sie fliegen hier bei uns immer in großen Trupps um die Kirche, wo sie auch nisten. Das ist für mich auch untrenn…
  • Elke Brüser zu Am AbendhimmelHallo Miriam, ich bin für ein paar Tage verreist und befürchte, dass auch bei mir das Schauspiel für dieses Jahr vorbei ist. Bin gespannt, ob ich Montag noch den einen oder anderen Mauersegler sehe. I…
  • Elke Brüser zu Ein Platz für MauerseglerJa, das sind tolle Erlebnisse. Danke Theo für die schöne Geschichte aus Köln. Welch spannende Beobachtung: den Bussard haben sie vertrieben! Aber kannst du Alt und Jung so gut unterscheiden? Und bist…

Birding

Du ahnst es vielleicht schon: Im Wort Birding steckt der englische „bird“. Unter Vogelfreunden ist das ein Schlagwort für die Beobachtung der gefiederten Tierwelt – im Feld, wie man so schön sagt. Also draußen. Ein paar Anmerkungen dazu findest du → hier.

Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

Cookie Consent mit Real Cookie Banner