Vor einiger Zeit hatte ich berichtet, dass in Berlin im Revier eines Habicht-Paares ganz unverhofft ein junger Habicht aufgetaucht war. Ich vermute, dass es sich um eine Habicht-Dame handelte, darum meine vielleicht verstörende Wortschöpfung „EindringerIn“. Aber es macht in diesem Fall Sinn darauf anzuspielen, dass hier wohl ein einjähriges Weibchen unterwegs war: auf Partnersuche.
Denn Habichtdamen sind schon vor dem 1. Geburtstag geschlechtsreif, können im Frühjahr Eier legen und – bei guter Kooperation mit dem Terzel, also dem männlichen Partner – fitte Junge großziehen.
Als ich ihn das erste Mal entdeckte, ließ sich der weibliche Jungvogel am Horst des letzten Jahres blicken – jenem Horst, den ich 2019 im Fokus hatte. Er war jetzt unbesetzt und gebaut wurde an diesem alten Horst jedenfalls auch nicht. Die leicht gesträubten Federn unter dem Schwanz, die weißen sogenannten Unterschwanzdecken, zeigen bei Habichten übrigens die Balzstimmung an.
Nicht weit entfernt davon hatte das erfahrene Habichtpaar – erpropt im Vorjahr – allerdings Anfang 2020 einen neuen Horst errichtet.
Was würde nun passieren, wo doch der alte, zerzauste Horst und der neue sehr nah beieinander lagen? Wollte sich ein weiteres Paar ganz in der Nähe einrichten? Gab es zu dem jungen Weibchen bereits einen Partner?
Mit anderen Worten: Wie verteilen sich die Habicht-Reviere in diesem Jahr? Werden in dieser Berliner Grünanlage nun die Karten neu gemischt?
Ganz schön dreist
Die junge Dame – sie ist unberingt – hatte offenbar eigene Pläne, war mutig oder dreist. Denn als ich Anfang März die Grünanlage besuchte, machte sie sich tatsächlich auf dem neu erbauten Horst breit. Oder war sie nur neugierig? Das erfahrene Brutpaar war jedenfalls gerade unterwegs, und Eier sicher noch nicht gelegt.
Richtig entspannt schien mir die junge Dame nicht zu sein. Sie strich dann auch plötzlich ab, nachdem ein Graureiher den Horst überflogen hatte.
Ich habe bei anschließenden Besuchen nicht erlebt, dass es zu einer Auseinandersetzung oder Vertreibung der jungen EindringerIn kam. Aber schon möglich, denn natürlich bin ich nur manchmal vor Ort, und ich bekomme ja nur einen kleinen Ausschnitt vom Leben auf dem Horst und drumherum mit.
Alles klar im Habicht-Revier
Kollegen und Kolleginnen der AG Greifvogelschutz des NABU berichteten mir aber Ende März, dass sich das erfahrene Paar tatsächlich auf dem neuen Horst festgesetzt hatte. Und das junge Weibchen ward nicht mehr gesehen.
Am 3. Mai ist die Sache jedenfalls klar, und mit einem guten Fernglas inklusive Zeit zum Beobachten lässt sich vom Boden aus das Familienleben verfolgen. Das erfahrene Brutpaar tut, was sich im April und bis in den Mai gehört: die Dame brütet und der Herr versorgt sie mit Nahrung, kontrolliert den Horst und bringt gelegentlich frisches Grün herbei.
Habichte können sowohl mit dem Schnabel als auch mit den Zehen das Nistmaterial transportieren. Diesen Zweig hatte der Terzel gerade vis-à-vis gepflückt und bringt ihn zum Horst. Renovieren lohnt immer.
Was mir an diesem 3. Mai noch auffiel, war die extreme Achtsamkeit der beiden Habichte. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich ganz besonders – also mehr als auch sonst schon – im Auge behielten. Das bestätigte sich als ich am PC die Fotos im Detail anschaute. Sowohl das orange-rote Auge des Weibchens als auch das Auge des abfliegenden Terzel waren jeweils direkt auf mich gerichtet.
Für diese hohe Aufmerksamkeit, denn ich stand in angemessener Entfernung, gab es schließlich eine Erklärung: Als ich am 6. Mai zum Horst hinaufblickte, streckte dort ein weißes Etwas seinen Kopf hoch und schlug ungelenk mit den Flügeln. Zwei „Habicht-Babys” waren hoch oben zu erkennen.
Mein Herz schlug höher: Derart junge Habichte habe ich noch nie gesehen. Sie sind wohl etwa zehn Tage alt. Denn dann schaffen sie es aus der Nestmulde hervorzulugen. In meiner „Habicht-Bibel” (Wolfgang Fischer, Die Habichte, Neue Brehm-Bücherei, 1983, VerlagsKG Wolf) lese ich dazu auf Seite 86
Die jungen Habichte sind meist still und drücken sich gerade in störungsreichen Revieren auf das warnende Gickern der Alten hin in die Horstmulde… Wenn sie etwa 10 Tage alt sind, können sie sich in der Mulde bewegen, dabei stützen sie sich auf die Flügelstummel und das Tarsalgelenk¹.
¹Gelenkknochen des Fußes oberhalb der Zehen.
Habicht | Autour des palombes | Goshawk | Accipiter gentilis
Kürzlich kam hier im Blog die Frage auf, ob es den jungen Habichten gut geht, nachdem es in Berlin heftig gestürmt und geregnet hatte. Ich kann euch beruhigen. Den beiden Jungen, die hin und wieder über den Nestrand schauen, geht es prächtig. Derzeit ist Flügelschlag-Training angesagt, obwohl die Schwungfedern erst noch wachsen.