Das Buch von Christiane Habermalz, Vogelfreundin von Kindesbeinen an und erfahrene Hörfunkjournalistin,¹ hat mich von Anfang bis Ende fasziniert und mitgerissen. Und weil das Lesen dieser Bekenntnisse einer Guerillagärtnerin so flott vonstattenging, springe ich direkt auf den letzten Satz. Dieser amüsante Appell bringt Stil und Aussage des Buches auf den Punkt: „Tod den Petunien, Friede den Unkräutern!”
Bunte Petunien, leuchtende Geranien, Stiefmütterchen & Co. spielen in dem amüsant illustrierten Taschenbuch allerdings eher eine Nebenrolle, definitiv eine miese. Nur in einem von 20 Abschnitten geht die Autorin auf die mit Kunstdünger und Pestiziden sonstwo auf der Welt hochgepäppelten Pflanzen ein, die nach kurzem Blütenzauber in den Müll wandern und schnurstracks gegen die nächste Saisonpflanze eingetauscht werden.
Die Hauptrolle spielt in diesem Buch die mal zarte, mal robuste heimische Flora, die selbst in den Ritzen des Großstadtpflasters, am Rand von Spielplätzen oder zwischen Grabsteinen hervorsprießt. Es geht ums vielfach unterschätzte Unkraut.
Mit Mission
Als leicht vermummte Gestalt sorgt die naturliebende Journalistin für wilde Stadtnatur: Sie setzt, wenn alle schlafen, hier eine Wegwarte ins städtische Erdreich, sät dort Samen von Wildkräutern aus, die sie im letzten Jahr gesammelt hat, oder fabriziert Unkrautsamenbomben, mit denen sie die nächste noch verfügbare Großstadtbrache bereichert (Seite 9, Rezept Seite 285).
Ich habe eine geheime Mission. Die Wegwarte soll wieder an den Wegrändern blühen, wo sie jahrhundertelang stand und als verwunschene Prinzessin Wanderburschen schöne Augen machte, so erzählt es zumindest eine von zahlreichen Legenden, die sich um sie ranken.
Doch warum begibt sich eine sehr besonnene Redakteurin für Kultur und Bildungspolitik an den Rand der Legalität? Die Guerillagärtnerin, die jahrelang Die große Vogelschau für Deutschlandradio Kultur geplant und betreut hat, weiß genau: keine Vögel ohne Pflanzen.
Auf deren Samen und all die Kleinlebewesen, die als Blattlaus, Wildbiene, Schmetterlingspuppe oder Spinne die heimische Pflanzenwelt bevölkern, sind Vögel angewiesen. Und wenn schon die Agrarlandschaft artenmäßig extrem verarmt ist, könnte es Sinn machen, in der Stadt für mehr Biodiversität zu sorgen. Allerdings nicht durch fremde Kultursorten, die für heimische Tierarten oft ungenießbar sind!
Darum also verbreitet Christiane Habermalz „Unkraut“, auf dem eigenen 6m² großen Gartenfleckchen in Prenzlauer Berg, auf Verkehrsinseln oder am Straßenrand. Und darum stiftet sie mit Humor und auch mit Wut im Bauch zum gärtnerischen Ungehorsam an (Seite 9).
Doch ich tue ja nichts anderes, als das, was die Natur von selbst erledigen würde, wenn man sie nur ließe: Ich pflanze Unkraut. Es ist ein winziger Akt des Widerstands. Meine ganz persönliche Auflehnung gegen das Artensterben. Gegen die zunehmende Verarmung und Monotorisierung unserer Umwelt, in der kaum ein Fleckchen Erde noch unbestellt, ungenutzt, ungestaltet bleibt. Und in der für Wildnis kein Platz mehr ist. In der die Insekten sterben.
Die Initialzündung
Als das massive Insektensterben offenkundig wurde und der Verlust an Vögeln – heute leben in Europa über 420 Millionen Vögel weniger als vor rund 30 Jahren – dramatisch zunahm, stolperte sie auf einer Verkehrsinsel über eine struppige Pflanze, die viel Nektar- und Pollen liefert und an der gerne die Raupen von Schmetterlingen und diverse Käfer knabbern (Seite 22). Diese robuste heimische Pflanze, der Gemeine Natternkopf,
wuchs buchstäblich im Nichts. Trockener Sand, eine typische Stadtbrache zwischen weggeworfenen Coffee-To-Go-Bechern und Zigarettenkippen, vor mir entfaltete sich ein wahres Blühwunder. Um uns herum toste der Berufsverkehr, doch an den über und über mit violetten und rosa Blüten besetzten, borstigen Stängeln balgten sich Hummeln und Bienen um die besten Plätze.
Das war endgültig das Aus für Gartenhyazinthen, Stiefmütterchen, Primeln, Chrysanthemen, Flieder, Tulpen, Zuchtrosen & Co. Denn diese Zierpflanzen sind auf Blütenpracht gezüchtet, produzieren aber meist wenig Nektar, und der ist für einen Insektenrüssel zudem oft unerreichbar.
Längst setzt die gärtnernde Journalistin auf wilde Malven, den Gemeinen Natternkopf oder die Wiesen-Witwenblume, pflanzt Weißdorn und Kornelkirsche statt Kirschlorbeer. Und sie entwirft eine Gießstrategie für ihren Pflanzennachwuchs, falls der Regen ausfällt. Nach der Arbeit setzt sie sich aufs Fahrrad (Seite 58)
…mit zwei Gießkannen rechts und links am Lenker und einer hinten im Fahrradkorb. Als ich ankam, war die hintere Kanne halb leer, dafür mein Hintern sehr nass. Das Berliner Kopfsteinpflaster lässt grüßen.
En passant
Dieses Buch vermittelt en passant Informationen über fatale Pestizide, invasive Arten, Schottergärten, Rasenmäher, häckselnde Laubsauger und personell sowie geistig verarmte Grünflächenämter. Aber es enthält viele anstiftende Tipps und macht auch Mut! Da gibt es im schweizerischen Aarau einen Verein für naturnahe Gärten, einzelne Gartencenter bieten Pflanzen an, die ohne die schlimmsten Bienenkiller auskommen, und in Bad Saulgau am Bodensee beherrschen insektenfreundliche, heimische Pflanzen das Stadtgrün.
Eigeninitiative ändert nicht die Welt, macht aber Sinn, findet Christiane Habermalz. Sie freut sich über ihre Hingucker und Duftmarken in Berlin: selbstgepflanzten Weißdorn in einer Grünanlage, zirpende Heimchen und singende Lilienhähnchen im Garten, Akeleien und Löwenmäulchen im Park.
Selbst der Ritzenlebensraum auf dem Haus der Bundespresskonferenz, lässt ihr Herz höher schlagen. Dort, an ihrem Arbeitsplatz, entdeckte sie in den millimeterbreiten Spalten zwischen den Steinplatten des Balkons im 6. Stock ein reges Leben (Seite 31). Es hatten sich
… in einem Frühjahr, in dem der Hausmeisterservice nachlässig war, sofort Unkräuter angesiedelt. Ich habe sie gezählt und kam auf 17 unterschiedliche Arten, einige blühten bereits. Und tatsächlich fanden sich auch in dieser Höhe in der Steinwüste des Regierungsviertels Insekten ein. Ameisen krabbelten über die Brüstung, eine Springspinne jagte auf den Platten und kleine Schwebfliegen umschwirrten die Blüten.
Irgendwann wurde dem regen Treiben in den Ritzen radikal ein Ende gesetzt. Und nicht erst seitdem hat die Autorin von Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam ganz konkrete Visionen für naturfreundliches urbanes Bauen (Seite 273).
Aber warum nicht die Bewilligung von Neubauprojekten und Gebäudesanierungen mit der Auflage verknüpfen, dass an und auf dem Gebäude Wohn- und Lebensräume auch für nichtmenschliche Stadtbewohner wie Vögel, Fledermäuse und Insekten geplant werden müssen? Bauvorschriften zum Erhalt der Biodiversität sollten so selbstverständlich werden wie Vorschriften zum Brandschutz.
Da würden vermutlich auch der lebensbegleitende Bildhauer, der wohl nicht nur in diesem Buch hin und wieder seine andere Meinung vertreten darf, und die große Tochter mit ihrer coolen Ratio zustimmen. Den Hauskatzen, die hier auch eine Rolle spielen, wär‘s vermutlich schnuppe.
¹ Christiane Habermalz ist aktuell Korrespondentin für Kultur und Bildungspolitik beim Deutschlandfunk. Sie ist außerdem Mitbegründerin des lesenswerten Onlinemagazins Die Flugbegleiter – Ihre Korrespondenten aus der Vogelwelt.
Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam
Autorin: Christiane Habermalz
Verlag: Wilhelm Heyne, München
Jahr: 2020 (1. Auflage)
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