Vom gärtnerischen Ungehorsam

14. Mai 2020 | Vogelbücher | 0 Kommentare

Buchcover von "Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam" mit der Zeichnung einer radfahrenden Frau mit Gießkanne und Pflanzen.

Das Buch von Christiane Habermalz, Vogelfreundin von Kindesbeinen an und erfahrene Hörfunkjournalistin,¹ hat mich von Anfang bis Ende fasziniert und mitgerissen. Und weil das Lesen dieser Bekenntnisse einer Guerillagärtnerin so flott vonstattenging, springe ich direkt auf den letzten Satz. Dieser amüsante Appell bringt Stil und Aussage des Buches auf den Punkt: „Tod den Petunien, Friede den Unkräutern!”

Bunte Petunien, leuchtende Geranien, Stiefmütterchen & Co. spielen in dem amüsant illustrierten Taschenbuch allerdings eher eine Nebenrolle, definitiv eine miese. Nur in einem von 20 Abschnitten geht die Autorin auf die mit Kunstdünger und Pestiziden sonstwo auf der Welt hochgepäppelten Pflanzen ein, die nach kurzem Blütenzauber in den Müll wandern und schnurstracks gegen die nächste Saisonpflanze eingetauscht werden.

Die Hauptrolle spielt in diesem Buch die mal zarte, mal robuste heimische Flora, die selbst in den Ritzen des Großstadtpflasters, am Rand von Spielplätzen oder zwischen Grabsteinen hervorsprießt. Es geht ums vielfach unterschätzte Unkraut.

Mit Mission

Als leicht vermummte Gestalt sorgt die naturliebende Journalistin für wilde Stadtnatur: Sie setzt, wenn alle schlafen, hier eine Wegwarte ins städtische Erdreich, sät dort Samen von Wildkräutern aus, die sie im letzten Jahr gesammelt hat, oder fabriziert Unkrautsamenbomben, mit denen sie die nächste noch verfügbare Großstadtbrache bereichert (Seite 9, Rezept Seite 285).

Ich habe eine geheime Mission. Die Wegwarte soll wieder an den Wegrändern blühen, wo sie jahrhundertelang stand und als verwunschene Prinzessin Wanderburschen schöne Augen machte, so erzählt es zumindest eine von zahlreichen Legenden, die sich um sie ranken.

Doch warum begibt sich eine sehr besonnene Redakteurin für Kultur und Bildungspolitik an den Rand der Legalität? Die Guerillagärtnerin, die jahrelang Die große Vogelschau für Deutschlandradio Kultur geplant und betreut hat, weiß genau: keine Vögel ohne Pflanzen.

Auf deren Samen und all die Kleinlebewesen, die als Blattlaus, Wildbiene, Schmetterlingspuppe oder Spinne die heimische Pflanzenwelt bevölkern, sind Vögel angewiesen. Und wenn schon die Agrarlandschaft artenmäßig extrem verarmt ist, könnte es Sinn machen, in der Stadt für mehr Biodiversität zu sorgen. Allerdings nicht durch fremde Kultursorten, die für heimische Tierarten oft ungenießbar sind!

Darum also verbreitet Christiane Habermalz „Unkraut“, auf dem eigenen 6m² großen Gartenfleckchen in Prenzlauer Berg, auf Verkehrsinseln oder am Straßenrand. Und darum stiftet sie mit Humor und auch mit Wut im Bauch zum gärtnerischen Ungehorsam an (Seite 9).

Doch ich tue ja nichts anderes, als das, was die Natur von selbst erledigen würde, wenn man sie nur ließe: Ich pflanze Unkraut. Es ist ein winziger Akt des Widerstands. Meine ganz persönliche Auflehnung gegen das Artensterben. Gegen die zunehmende Verarmung und Monotorisierung unserer Umwelt, in der kaum ein Fleckchen Erde noch unbestellt, ungenutzt, ungestaltet bleibt. Und in der für Wildnis kein Platz mehr ist. In der die Insekten sterben.

Die Initialzündung

Als das massive Insektensterben offenkundig wurde und der Verlust an Vögeln – heute leben in Europa über 420 Millionen Vögel weniger als vor rund 30 Jahren – dramatisch zunahm, stolperte sie auf einer Verkehrsinsel über eine struppige Pflanze, die viel Nektar- und Pollen liefert und an der gerne die Raupen von Schmetterlingen und diverse Käfer knabbern (Seite 22). Diese robuste heimische Pflanze, der Gemeine Natternkopf,

wuchs buchstäblich im Nichts. Trockener Sand, eine typische Stadtbrache zwischen weggeworfenen Coffee-To-Go-Bechern und Zigarettenkippen, vor mir entfaltete sich ein wahres Blühwunder. Um uns herum toste der Berufsverkehr, doch an den über und über mit violetten und rosa Blüten besetzten, borstigen Stängeln balgten sich Hummeln und Bienen um die besten Plätze.

Das war endgültig das Aus für Gartenhyazinthen, Stiefmütterchen, Primeln, Chrysanthemen, Flieder, Tulpen, Zuchtrosen & Co. Denn diese Zierpflanzen sind auf Blütenpracht gezüchtet, produzieren aber meist wenig Nektar, und der ist für einen Insektenrüssel zudem oft unerreichbar.

Längst setzt die gärtnernde Journalistin auf wilde Malven, den Gemeinen Natternkopf oder die Wiesen-Witwenblume, pflanzt Weißdorn und Kornelkirsche statt Kirschlorbeer. Und sie entwirft eine Gießstrategie für ihren Pflanzennachwuchs, falls der Regen ausfällt. Nach der Arbeit setzt sie sich aufs Fahrrad (Seite 58)

…mit zwei Gießkannen rechts und links am Lenker und einer hinten im Fahrradkorb. Als ich ankam, war die hintere Kanne halb leer, dafür mein Hintern sehr nass. Das Berliner Kopfsteinpflaster lässt grüßen.

En passant

Dieses Buch vermittelt en passant Informationen über fatale Pestizide, invasive Arten, Schottergärten, Rasenmäher, häckselnde Laubsauger und personell sowie geistig verarmte Grünflächenämter. Aber es enthält viele anstiftende Tipps und macht auch Mut! Da gibt es im schweizerischen Aarau einen Verein für naturnahe Gärten, einzelne Gartencenter bieten Pflanzen an, die ohne die schlimmsten Bienenkiller auskommen, und in Bad Saulgau am Bodensee beherrschen insektenfreundliche, heimische Pflanzen das Stadtgrün.

Eigeninitiative ändert nicht die Welt, macht aber Sinn, findet Christiane Habermalz. Sie freut sich über ihre Hingucker und Duftmarken in Berlin: selbstgepflanzten Weißdorn in einer Grünanlage, zirpende Heimchen und singende Lilienhähnchen im Garten, Akeleien und Löwenmäulchen im Park.

Selbst der Ritzenlebensraum auf dem Haus der Bundespresskonferenz, lässt ihr Herz höher schlagen. Dort, an ihrem Arbeitsplatz, entdeckte sie in den millimeterbreiten Spalten zwischen den Steinplatten des Balkons im 6. Stock ein reges Leben (Seite 31). Es hatten sich

… in einem Frühjahr, in dem der Hausmeisterservice nachlässig war, sofort Unkräuter angesiedelt. Ich habe sie gezählt und kam auf 17 unterschiedliche Arten, einige blühten bereits. Und tatsächlich fanden sich auch in dieser Höhe in der Steinwüste des Regierungsviertels Insekten ein. Ameisen krabbelten über die Brüstung, eine Springspinne jagte auf den Platten und kleine Schwebfliegen umschwirrten die Blüten.

Irgendwann wurde dem regen Treiben in den Ritzen radikal ein Ende gesetzt. Und nicht erst seitdem hat die Autorin von Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam ganz konkrete Visionen für naturfreundliches urbanes Bauen (Seite 273).

Aber warum nicht die Bewilligung von Neubauprojekten und Gebäudesanierungen mit der Auflage verknüpfen, dass an und auf dem Gebäude Wohn- und Lebensräume auch für nichtmenschliche Stadtbewohner wie Vögel, Fledermäuse und Insekten geplant werden müssen? Bauvorschriften zum Erhalt der Biodiversität sollten so selbstverständlich werden wie Vorschriften zum Brandschutz.

Da würden vermutlich auch der lebensbegleitende Bildhauer, der wohl nicht nur in diesem Buch hin und wieder seine andere Meinung vertreten darf, und die große Tochter mit ihrer coolen Ratio zustimmen. Den Hauskatzen, die hier auch eine Rolle spielen, wär‘s vermutlich schnuppe.

¹ Christiane Habermalz ist aktuell Korrespondentin für Kultur und Bildungspolitik beim Deutschlandfunk. Sie ist außerdem Mitbegründerin des lesenswerten Onlinemagazins Die Flugbegleiter – Ihre Korrespondenten aus der Vogelwelt.

 

Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam
Autorin: Christiane Habermalz
Verlag: Wilhelm Heyne, München
Jahr: 2020 (1. Auflage)

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

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Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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