Mein Besuch der brandenburgischen Fischteiche galt eigentlich dem Fischadler. Aber wer sich Zeit nimmt, mal auf den Horizont und mal auf die Wasserfläche schaut, kann immer mit Überraschungen rechnen. In diesem Fall war es der Besuch des Seeadlers, dem ich bisher noch nie so nahe gekommen war. Sein Kommen kündigte sich an.
Eine ganze Weile schaute ich vom Beobachtungsstand aus den Graugänsen zu, die sich im seichten Wasser am gegenüberliegenden Ufer der Gefiederpflege widmeten. Die ist derzeit bei vielen Vögeln angesagt, denn manche Arten wechseln bald nach der Brut und bevor sie im Spätsommer oder Herbst nach Süden ziehen ihr Federkleid. Andere machen es vor der Brut oder während sie brüten.
Wahrscheinlich „juckt ihnen dann das Fell“, mal menschlich ausgedrückt, denn sie zupfen zwischen den Federn herum, tauchen ins kühle Nass, schütteln sich. Was dabei herauskommt sind unter anderem die weißen Federchen, die hier auf der Wasseroberfläche schwimmen oder anderswo am Ufer liegen.
Beängstigende Überraschung
Als ich die Graugänse bei diesem Treiben beobachtete, hörte ich plötzlich die Kraniche in der Ferne lauter rufen als zuvor.
Dann bemerkte ich, dass sie hinten am Feldrand aufstiegen. Das Rauschen kam näher und näher.
Die Gänse blickten in die Richtung der großen grauen Kollegen, und dann hob die ganze Schar sehr eilig und wie in Panik von der Wasserfläche ab.
Da war der gut bevölkerte Teich rasch wie leergefegt. Auch die Watvögel am Ufer und der Graureiher hatten sich verdrückt.
Der Grund kam kurz darauf angeflogen: ein Seeadler. Unverkennbar! Spannweite deutlich über 2 m. In Grzimeks Tierleben (Kindler, Zürich 1968, Bd. VII, Die Vögel 1, S. 378) lese ich
In seiner auffallenden Größe, dem mächtigen gelben Schnabel und dem im Alter weißen, kurzen keilförmigen Schwanz ist der Seeadler mit kaum einem anderen Greifvogel zu verwechseln.
Er platzierte sich auf einen Holzpfahl im Teich und tat wenig mehr als in der Gegend herumzuschauen. Vom Beobachtungsstand aus konnte ich ihn gut sehen, aber der Schilfgürtel ist hier breit und das gegenüberliegende Ufer sicher 200 m entfernt. (Für die Fotofreaks: 800 mm Brennweite und Ausschnittsvergrößerung.)
Kein Zufall
Der Besuch des Seeadlers bei den sich mausernden Wasservögeln war übrigens kein Zufall, denn ich stieß in Grzimeks Tierleben später auf folgenden Satz (S. 378):
Die Hauptbeute des Seeadlers ist das Bläßhuhn, er erscheint aber auch überraschend über den Schilfbuchten, um junge Gänse und mausernde Enten zu jagen.
Das Warten auf dem Ansitz hatte für den Seeadler wenig gebracht, nichts regte sich mehr. Kein Bläßhuhn ruderte aus dem Schilf heraus, kein lebloser Fisch trieb auf dem Wasser, kein lebendiger war in Sicht. All das hätte ihm geschmeckt. Zu bleiben, schien ihm sicher sinnlos. Er hob ab.
Für mich war es ein Geschenk, ihm rund eine halbe Stunde zuzusehen. Denn Seeadler sind noch immer eine Rarität. Um 1900 waren sie in Westeuropa praktisch ausgerottet. Naturschutzmaßnahmen sorgten ab den 1920er Jahren für eine langsame Zunahme der Population. Als sich dann der Bestand etwas erholt hatte, führten in den 1960er Jahren Pestizide wie DDT zu einem gefährlich starken Einbruch der Bestandszahlen. Das Verbot dieser Chemikalien rettete viele Greife.
Heute gibt es bei uns rund 700 Brutpaare. Aber gefährdet sind sie weiterhin. Nicht nur durch eine falsche Agrarwirtschaft und skrupellose Mitbürger. Auch Fotografinnen und Fotografen respektieren manchmal nicht die Schutzzonen oder die nötige Privatsphäre der Greife am Horst.
Abschied
Irgendwann entschied sich der wundervolle Seeadler abzufliegen. Er segelte auf den Beobachtungsstand zu, dann zum nächsten Fischteich hinüber und kreiste über mich hinweg.
Was soll ich sagen: ein imposanter Anblick. Gewissermaßen ein Geschenk des Himmels.
Schließlich flog er endgültig davon. Und sein in anderen Sprachen namensgebendes Markenzeichen, der weiße Schwanz … à la queue blanche oder white-tail …, leuchtete wie zum Abschied in der Sonne.
Seeadler | Aigle à la queue blanche | White-tail Eagle | Haliaeetus albicilla
Auch ich habe mich über diese interessante Fotosequenz gefreut. Was für ein Fest für den Fotografen :)) Es ist eben etwas Besonderes, diesem schönen Greif zuzuschauen, teilzunehmen an seinem Habitat. Die Nahaufnahmen sind beeindruckend !!! Ich war und bin allerdings bei den Fischadlern – auch sie haben momentan meine volle Aufmerksamkeit. Die Jungvögel kräftigen schon emsig ihre Flugmuskeln – genau wie die Störche – für die baldige Reise in ihr Winterquartier.
Der Seeadler wird Dir ja vielleicht auch noch im Winter Gesellschaft leisten 🙂
Ein Dank an euch für die so positiven und auch weiterführenden Kommentare. Und ja, im Winter bleiben uns die Seeadler erhalten! Wenn ihr einen umfassenden Bericht zum Seeadlerschutz und den üblichen Problemen lesen wollt, dann empfehle ich den wirklichen guten Artikel von Thomas Krumenacker. Den muss man allerdings bezahlen, gute und tiefergehende Recherche kann es eben nicht kostenfrei geben. https://www.riffreporter.de/flugbegleiter-koralle/naturschutz-greenpeace/
Ganz wunderbare und seltene Aufnahmen, wirklich beneidenswert. So einen Seeadler zu sehen, ist schon etwas besonderes.
Vielen Dank für den informativen Artikel.
VG Angela