Von der farbenprächtigen Eisente habe ich das erste Mal auf der Jahrestagung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft 2016 gehört. Dort sprach eine Biologin aus Greifswald über die existenzielle Bedrohung dieser Meeresente. Gesehen habe ich die gut tauchende Eisente noch nie, was kein Wunder ist. Denn der hübsche Vogel verbringt zwar das Winterhalbjahr in den flachen Gewässern der Ostsee. Aber nur selten unmittelbar an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, sondern meist weiter draußen, also „off-shore“.
Dort tauchen die relativ kleinen Meeresenten über den Muschelbänken vor allem nach Mies-, Sandklaff- und Herzmuscheln. Auch Schnecken, kleine Fische und Krebstiere schmecken ihnen. Es gibt vor allem einen Grund für die Eisente, zeitweise näher an die Küste zu kommen: Heringslaich. Wenn die Heringe von April bis Mai zum Ablaichen in den Greifswalder Bodden schwimmen, kann man dort Eisenten vor die Linse bekommen. Mir ist das bei einer kurzen Stippvisite leider nicht geglückt. Und darum gibt es hier auch noch keine Eisentenfotos von mir.
Zierliche Meeresente
Bemerkenswert – und hilfreich bei der Bestimmung – ist das Federkleid: schwarz-weiße Kontraste und Brauntöne dominieren. Ein echtes Markenzeichen ist der schwarze Schwanz der männlichen Tiere. Das liegt laut „Tiervater Brehm“ an seinen
mittleren, sehr verlängerten, spießartig gestalteten Schwanzfedern
Übrigens zählt Alfred E. Brehm unter all den Namen für diese Ente auch den durchaus passenden „Spitzschwanzente“ auf (Brehms Tierleben, 1900, Vögel Bd. 3, S. 662).
Gefährdeter Wintergast
Der Name Eisente spielt darauf an, dass sie nah am Eis lebt: Das Sommerhalbjahr verbringt sie zirkumpolar in der Tundra oder auch der Taiga. Dort brütet sie meist im Uferbereich teichartiger Wasserbecken. Ende September fliegen die Vögel dann von Skandinavien und Sibirien in die südliche Ostsee. Und selbst wenn sich dort Eisschollen bilden, ziehen sie nicht weiter nach Süden, sondern nur weiter auf das offene Meer hinaus.
Vor gut 100 Jahren schrieb Alfred E. Brehm (S. 662), dass die
Eisente zu den gemeinsten Wintergästen zählt, in unschätzbarer Menge die Ost- und Nordsee bevölkert, auch in den Strom- und Flußmündungen eindringt und zuweilen, den Flüssen entgegenwandernd, sich bis tief ins Binnenland verirrt.
Das hat sich geändert. Der Bestand nimmt stark ab. Zwischen 1992/3 und 2009 sank die westsibirische-nordeuropäische Population von 4,1 auf nur noch 1,5 Millionen Individuen, berichtet das Bundesamt für Naturschutz. Und der Trend setzt sich fort. Das ist einer der Gründe, weshalb der Verein Jordsand die Eisente zum Seevogel des Jahres 2017 ausgerufen hat.
Was genau hinter dem Bestandsrückgang steckt, ist unzureichend erforscht und rätselhaft. Wichtige Faktoren kennt die Greifswalder Biologin Karen-Doreen Barthelmes:
◊ In ihren arktischen Brutgebieten, vor allem in Russland, werden die Vögel bejagt. Zwar ist die Jagd in Deutschland ganzjährig verboten, aber in Dänemark und Finnland zum Beispiel nicht.
◊ Im Flachwasser von Bodden und Küstengewässern der Ostsee stehen viele tausend Stellnetze, in denen Fischer Zander, Dorsch oder Hering fangen. Doch darin können sich die tauchenden Eisenten bei der Nahrungssuche verfangen. Und ertrinken.
◊ Außerdem reagieren Eisenten empfindlich auf Störungen. Und da der Schiffsverkehr in der Ostsee ständig zunimmt, fliegen die Meeresenten oft auf und verlieren dabei wertvolle Energie.
◊ Auch Windparks meiden die weitgereisten Vögel, die sich in der Ostsee eigentlich für den Rückflug und die Brut aufpäppeln müssen. Nahrungsflächen gehen ihnen so verloren.
◊ Da Eisenten am Meeresboden nach Nahrung suchen, sind auch die Muschelfischerei und der Sedimentabbau für sie ein Problem.
◊ Schließlich sind sie wegen der Ölförderung in der Oderbucht durch auslaufendes Öl gefährdet.
Angesichts der Bedrohungen muss Deutschland sich mehr für die Eisente engagieren, denn direkt vor unserer Ostseeküste überwintern die meisten Tiere der westsibirischen-nordeuropäischen Population. Zu ihrem Schutz – und dem anderer Wintergäste – sind Greifswalder Bodden und Pommersche Bucht bereits als Natura 2000-Schutzgebiet ausgewiesen. Aber neben Fischerei und Muschelfischerei sind dort Sedimentabbau, Ölförderung, Windkraftanlagen und Schiffsverkehr weiterhin erlaubt.
Wichtig sind strengere Schutzmaßnahmen in den Überwinterungsgebieten, denn der Adlergrund und die Oderbank beherbergen zum Beispiel große Muschelbänke. In der Meeresreegion vor Greifswald überwintern jährlich rund 300 000 Tiere, und damit ein Fünftel aller Eisenten aus Westsibirien oder Skandinavien.
Tödliche Tauchgänge
Eisenten gehören zur Gruppe der Tauchenten. Sie fliegen meist flach und etwas hitzig übers Wasser. Ihr Gang an Land ist – wie bei vielen Enten – nicht eben elegant. Was sie am besten können ist Schwimmen und Tauchen.
Beim Tauchen nach Muscheln und kleinen Meerestieren stoßen Eisenten einige Meter tief hinunter. Dabei verwickeln sie sich leicht in den Stellnetzen der Fischer in der Boddenregion. Vor allem wenn im Frühjahr der Nordatlantische Hering an die Küste kommt und ablaicht, hat die Eisente schlechte Karten: Zählungen in der Pommerschen Bucht haben ergeben, dass 6.600 Eisenten zwischen 1989 und 2001 in den Netzen verendeten. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn Fischer entsorgen den gefügelten Beifang selbst und an aktuellen Zählungen besteht wenig Interesse. Da braucht es Ideen, um weder den Fischern noch den Eisenten ihre Lebensgrundlage zu entziehen.
Um wenigstens genau zu erfassen, was Eisenten fressen und welche Rolle Heringseier dabei spielen, hat Karen-Doreen Barthelmes den Magen- und Darminhalt von 54 Eisenten untersucht, die sich im April 2011 in zwei Stellnetzen verfangen hatten. Das Ergebnis: zu 71% war es Fischlaich, 15% waren Miesmuscheln und 11% Sandklaffmuscheln. Und natürlich fand sie auch Schnecken und andere Meeresbewohner.
Dass Eisenten im Frühjahr viel Fischlaich fressen, macht Sinn. In ihrer Diplomarbeit¹ erklärt die Biologin, warum der Bestand der Eisente gerade von dieser Nahrung abhängt: Fischeier sind energiereich und leicht verdaulich. Eine Laichmahlzeit entspricht vier Muschelmahlzeiten. Und das heißt, die Vögel müssen weniger oft tauchen und sparen so Energie. Dadurch können sich die – die nicht in Stellnetzen ertrinken – leichter wertvolle Fettreserven anfressen.
Aber nicht nur das: Gut und rasch gesättigt, haben sie bereits in der Ostsee Zeit für Balz und Paarbildung. Dadurch können sie am Rand der Arktis früher mit der Eiablage beginnen, und ihre Jungen haben bessere Chancen, zu überleben und den Flug in die Ostsee als ihrem angestammten Winterquartier zu schaffen.
Mit anderen Worten: Es ist eine gute Idee, die Eisente zum Seevogel des Jahres 2017 zu küren. Das sorgt für wichtige Aufmerksamkeit. Denn wer kennt schon die Eisente?
¹ Karen-Doreen Barthelmes: Winterökologie von Eisenten (Clangula hyemalis) in der Pommerschen Bucht, Universität Greifswald, 2012
Für die Weitergabe der Fotos von Präparaten aus dem Meeresmuseum und dem Ozeaneum in Stralsund bedanke ich mich bei Dr. Dorit Liebers-Helbig, Ausstellungskuratorin des schönen Deutschen Meeresmuseums.
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