Der Graureiher ist vielen als Fischreiher bekannt, obgleich das nicht sein offizieller Artname ist. Mit Fokus auf die Gefiederfarbe heißt er Graureiher oder wissenschaftlich Ardea cinerea. Allerdings: Am Ufer oder auf einem toten Ast im Wasser zu stehen und sich blitzschnell einen vorbeischwimmenden Fisch zu schnappen, das ist gewissermaßen die Profession dieses langbeinigen, grauen Reihers.
Als ich kürzlich in einem Berliner Stadtpark unterwegs war und zum einen nachschauen wollte, was die mausernden Mandarinenten treiben, und zum anderen einen Eisvogel suchte, kam wieder einmal alles anders als gedacht: Die Mandarinenten waren nicht mehr vor Ort, und der Eisvogel ließ sich an diesem Tag nicht blicken.
Stattdessen demonstrierte der Graureiher des Volksparks Mariendorf, was er alles kann. Der städtisch sozialisierte Vogel steht hier manchmal im Geäst der Weiden, manchmal auf toten Ästen im Wasser und manchmal am Ufer – nahe der Bank, auf der sich gerne Jung und Alt niederlassen.
Dieses Mal war die Bank frei, und ich setzte mich hin. Mit Blick auf den Schilfgürtel des Eckerpfuhls schaute ich eine ganze Weile dem Graureiher dabei zu, wie er die Wasserfläche kontrollierte, um einen Fisch zu erwischen. Immer wenn sich potenzielle Beute näherte, schob er den Hals langsam vor, damit er gegebenenfalls blitzschnell zustoßen kann.
Aus dem Fischfang wurde allerdings nichts, obwohl hin und wieder ein kleiner Schwarm Fische am Ufer vorbeizog.
Doch was beim Vogelgucken keine Ausnahme ist, passierte auch diesmal: Die Tiere werfen zunächst unsere Pläne über den Haufen und sorgen dann für schöne Überraschungen.
Der Graureiher macht kuriose Verrenkungen
Erstaunlich und belustigend waren all die Verrenkungen, die der Graureiher mit seinem langen Hals machte. Aber warum? Irritierten ihn Insekten, die am Schilfrand vorbeisausten und um ihn herumflogen? Wollte er sie vertreiben?
Eher nicht. Seine Bewegungen waren jedenfalls nicht zufällig, sondern schnell zeigte sich: Sie zielten auf die Fluginsekten über dem stillen Gewässer ab – vor allem auf die stattlichen Libellen.
Sobald diese in Kopfnähe an ihm vorbeischwirrten, bog sich der lange Hals in alle möglichen Richtungen. Ich hatte den Eindruck, die Libellen nervten ihn schrecklich. Aber Reiher schauen mit ihrem eingezogenen Hals ja sowieso oft verdrießllich in die Welt – jedenfalls in den Augen von uns Menschen.
Libellen „foppen” den grauen Reiher
Es dauerte nicht lange, da sah ich, wie er sich tatsächlich eine dieser Libellen schnappte. Zunächst dachte ich, das zappelnde Insekt habe Glück im Unglück. Doch bei genauerem Hinsehen wurde klar, dass nur das flügeltragende Vorderteil entkam. Das Hinterteil wurde vom Graureiher verspeist. Das zeigen die beiden folgenden Videoschnipsel.
Libelle mit dem Schnabel erwischt.
Nur das Vorderteil der Libelle entkommt.
Der Reiher auf Insektenfang hat folgendes Problem: Fängt er die Libelle mit der Spitze seines Schnabels, so muss er das Insekt noch irgendwie in den weiter entfernten Schlund befördern. Das bedeutet: Schnabel öffnen, Beute kurz freigeben und erneut „festmachen“.
In diesem Fall gelang das Festmachen dem Vogel nicht wirklich. Das Vorderteil der Libelle schwirrte davon.
Endlich Erfolg
Kurz darauf erwischte der Graureiher eine leuchtend rote Libelle. Ich vermute, es handelte sich um einen männlichen Vertreter aus der Gruppe der Heidelibellen. Denn mehrere dieser rötlichen Libellenarten sind noch im Oktober aktiv, zumal wenn das Wetter milde und sonnig ist. Um welche Art es sich genau handelte, ließ sich aufgrund der erheblichen Entfernung nicht entscheiden. Schade!
Das Insekt war übrigens chancenlos und wurde kurz darauf verspeist.
Es dauerte anschließend nicht lange, da zappelte schon die nächste Libelle an der Schnabelspitze des Graureihers. Eigentlich wünschte ich ihr die Freiheit. Aber der Libellenfänger stellte es klug an. Er wartete lange auf den richtigen Moment, knetete den Insektenkörper durch, und schwupps verschwand das eben noch energisch zappelnde Tierchen in seinem Schlund.
Dass eine Libelle nicht so rasch und problemlos durch die Speiseröhre rutscht, ist in diesem Videoschnipsel offensichtlich. Es drängt sich da geradezu der Eindruck auf, die sperrige Beute könnte dem Vogel im Hals steckenbleiben. Und wen wundert‘s: Nach der trockenen Libellenkost, spülte der Graureiher erstmal mit einem Schluck Wasser nach.
Trockene Kost verlangt nach einem Schluck Wasser.
Graureiher | Héron cendré | Grey heron | Ardea cinerea
Et en français: Curieux chasseur de libellules
*DER REIHER*
Wenn spazieren geht der Reiher,
Denkt er über manches nach:
Ob sich’s besser fischt am Weiher
Oder besser noch am Bach.|
Endlich hat er sich entschlossen,
Geht zum Weiher hin und fischt,
Und da weilt er unverdrossen,
Bis er einen Fisch erwischt.|
Warten, das versteht er prächtig,
Langeweile kennt er nicht;
Was er tut, er tut’s bedächtig,
Und Geduld ist seine Pflicht.|
Willst du irgendwas erringen,
Lern vom Reiher mancherlei,
Und Geduld vor allen Dingen
Bestens dir empfohlen sei.|
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Was für ein ungemein passendes Gedicht.
Danke Seeschwalbe!