Der Kiebitz verdankt seinen deutschen Namen dem etwas schrillen Ruf „kju-wit“. Die Franzosen gaben ihm den Beinamen „huppé“, was – wie beim Wiedehopf „Huppe fasciée“ – auf die fesche Haube (huppe) anspielt. Manchmal wirkt sie wie ein Krönchen.
Die Briten hingegen tauften den schwarz-weißen, oft zauberhaft schillernden Vogel „Lapwing“. Und tatsächlich wirken seine Flügel (wings), deren Enden nicht spitz zulaufen, sondern erstaunlich breit sind, im Flug wie Lappen (laps).
Am Rande der Hauptstadt
Als ich kürzlich nachschauen wollte, ob „meine Störche“ schon im Gebiete des Nuthe-Nieplitz-Naturparks eingetroffen sind, überraschte mich ein ansehnlicher Schwarm dunkler Vögel. Für Stare waren sie zu groß, und Krähen fliegen anders.
Erst als ich an der Landstraße endlich eine Parkmöglichkeit fand, sah ich im Fernglas die breiten Flügel-Lappen: Kiebitze!
Ich konnte es kaum glauben, denn so viele hatte ich lange nicht gesehen. Es waren weit über 200. Nach und nach landeten sie auf einer grünen Ackerfläche.
Die Vögel beachteten mich – angelehnt an einen Alleebaum – bald nicht mehr und begannen zu fressen. Ich tippe auf Regenwürmer. Kiebitze ernähren sich nämlich bevorzugt von Würmern, auch von Insekten und deren Larven. Selbst Pflanzensamen schmecken ihnen.
Die Vögel waren allerdings recht unruhig und flogen mehrfach auf: Mal ratterte hinter der Wiese ein Güterzug vorbei, mal brauste ein Motorrad über die Landstraße. Zunächst kam der Schwarm – darunter einige Stare – immer wieder zurück und ließ sich zum Fressen nieder. Aber irgendwann zog er ab.
Kiebitze bei Berlin: Rast zum Auftanken
Im März kommen die Kiebitze, die in Skandinavien und in Osteuropa bis nach Russland hinein brüten, aus ihren südlichen Überwinterungsgebieten zurück und überfliegen dann unter anderem Deutschland. In Westeuropa sind viele Kiebitze hingegen Standvögel oder Kurzstreckenzieher. Das heißt, wer von ihnen beispielsweise in den Niederlanden brütet, verbringt dort auch den Winter – solange es nicht zu eisig wird.
Manchmal fliegen Zugvögel nonstop in ihr Zielgebiet – oder in dessen Nähe. Manchmal legen sie zum Auftanken Zwischenstopps ein, weil sie erschöpft sind und/oder Nahrung brauchen. Artunterschiede und viele andere Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Ziemlich sicher ist, dass der Kiebitzschwarm nahe der Berliner Stadtgrenze noch eine gute Wegstrecke vor sich hatte. Denn im Nuthe-Nieplitz-Gebiet habe ich in den letzten Jahren nur vereinzelt Kiebitze gesehen.*
Zum Beispiel diese beiden vor zwei Jahren, die wunderbar in der Luft schaukelten, nachdem sie den Konflikt mit einem Artgenossen hinter sich hatten.
Fesche Tolle
Gerne würde ich wissen, wo die Brutgebiete der Kiebitze liegen, die Ostdeutschland überfliegen. Vielleicht dort, wo ich bereits 2015 einen dieser stattlichen Vögel mit fescher Tolle – Holle oder Haube – fotografieren konnte: in Weißrussland. (Durch Anklicken lassen sich auch diese Fotos vergößern.)
Die Landschaft ist in Weißrussland besonders einladend für Kiebitze, denn es gibt noch große Flächen, die feucht sind und nicht bewirtschaftet werden. Auch die dortige Viehhaltung und eine Feldwirtschaft mit vielen Rüben- und Kartoffelfeldern sowie einer Menge Getreideanbau kommen ihnen entgegen. „Der taubengroße Kiebitz bevorzugt offenes, feuchtes Grünland. Wo dieses fehlt, weicht er auch auf Ackerflächen aus“, lese ich im Artenporträt des NABU.
Bestand gefährdet
In Deutschland brüteten im Jahre 2016 rund 42.000 bis 67.000 Brutpaare, so der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA). Das klingt nach viel, aber der Kiebitz gehört zu den Feldvögeln, die – wie die Lerche – immer seltener werden. Zwischen 1992 und 2016 ist der Bestand an hierzulande brütenden Kiebitzen laut NABU um 88 Prozent zurückgegangen.
Das muss sich ändern und liegt nicht nur daran, dass bei den Jungvögeln die Verluste durch Beutegreifer wie Füchse, Greifvögel, Krähen oder Möwen hoch sind. Ein Hauptproblem ist die intensive Bewirtschaftung von Agrarflächen: Wiesen und Weiden werden trockengelegt und statt Sommergetreide wird Wintergetreide angebaut. Das aber steht schon im Frühjahr so hoch, dass Kiebitze keine geeigneten Brutplätze finden. Auch sonst sind die Bodenbrüter vielen Gefahren ausgesetzt, zum Beispiel werden im Grünland insbesondere beim Schleppen, Walzen und Mähen zahlreiche Gelege zerstört.
„Bauern müssten wieder Naturschützer werden“ schrieb Johanna Romberg, die Autorin von Federnlesen, in Warum wir Natur brauchen (Geo 2018, Nr. 9, S. 28). Und darum wäre es schön, wenn Landwirte nur einige der Tipps berücksichtigen würden oder es notfalls per Gesetz müssen, die der Nabu kürzlich im Praxishandbuch. Kiebitzschutz zusammengestellt hat. Zum Beispiel:
Werden Wiesen gemäht, langsam fahren (bis 8 km). Auffliegende Kiebitze beobachten, denn sie zeigen, wo ein Nest ist. Dieses markieren und umfahren.
Größere feuchte Senken im Ackerland, die ohnehin schwer bestellbar sind, bei der Einsaat auslassen, damit Kiebitze hier brüten können und die Jungen drumherum Nahrung finden.
Kiebitzinseln schaffen: Solche Flächen im Acker sollten von Mitte März bis Mitte Juli nicht bewirtschaftet und nicht gespritzt werden. Außerdem sollte der Landwirt durch entsprechende Bodenbearbeitung für eine niedrige Vegetation sorgen. Denn das mögen Kiebitze.
Europaweit haben sich die Kiebitzbestände seit 1980 mehr als halbiert. Die Art gilt daher in Europa als gefährdet und in Deutschland sogar als stark gefährdet. Umso unverständlicher ist, dass sie in mehreren europäischen Ländern gejagt werden darf: Immer noch werden pro Jahr rund eine halbe Million Kiebitze erlegt.
* Ergänzung: Im Herbst 2022 begegnete mir in demselben Gebiet allerdings ein großer Schwarm. Wunderbar! Nochmals Kiebitze bei Berlin. Auch sie waren auf der Durchreise, aber es ging ins Winterquartier.
Kiebitz | Vanneau huppé | Northern Lapwing | Vanellus vanellus
Und nun ist es doch auch der „Tagesspiegel“ geworden, und auf diese Weise kommt die Vergangenheit ein wenig zurück. Zu der Zeit, als Sie noch vornehmlich Wissenschaftsredakteurin waren. Ihre neue Leidenschaft hat mich zwar nicht gänzlich überrascht, aber ein wenig schon. Vor allem die Intensität, mit der Sie sie betreiben. Offenbar zur Freude und zum Nutzen Ihrer Leserinnen und Leser. Was ich nachvollziehen kann, nachdem ich ein bisschen hineingelesen habe.
Ingrid Burghardt-Falke
Wow, du bist im Tagesspiegel!
https://leute.tagesspiegel.de/steglitz-zehlendorf/unter-nachbarn/2019/03/14/75316/
„Im Tagesspiegel“ ist etwas übertrieben. Aber mit einem kleinen Interview im Steglitz-Zehlendorf-Newsletter des Tagesspiegels.