Der Wanderfalke

Das Cover des Buches "Der Wanderfalke" mit dem Bild des gesprenkelten Gefieders.„Das ist ein Gedicht“, sagte früher mein Vater, wenn er etwas ganz hervorragend fand. Dabei konnte es sich um ein Stück Sahnetorte, eine sanfte Hügelkette oder einen jungen Hengst handeln. Was ein Gedicht ist, das ist jedenfalls ganz außergewöhnlich: großartig. Genau das empfand ich beim Lesen von Der Wanderfalke.

Der Autor ist im Südosten Großbritanniens einigen Wanderfalken auf der Spur, die dort das Winterhalbjahr verbringen und vor allem dieses tun: jagen, töten, fressen, beobachten, dösen, schlafen. Er folgt ihnen stundenlang, meist im miesen südenglischen Winterwetter.

Über den Buchautor erfahren wir so gut wie nichts, obwohl er es ist, der uns auf seinen Streifzügen mitnimmt. John A. Baker erzählt keine Geschichte oder Geschichtchen, etwa über den einen Wanderfalken und seine Überlebensstrategien. Es gibt auch keinerlei Dramatik oder Spannung, keinen unterhaltsamen Erzählton. Vielmehr verfasst Baker ein zugleich gleichmütiges und betörendes Tagebuch.

Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einem Datum als Überschrift, zum Beispiel so auf Seite 67:

20. Oktober
Groß und glänzend schwebte der Wanderfalke bei kräftigem Südwind und herbstfrischer Morgensonne zwischen dunklen Ringen aus Staren über den Flussauen. In weiten Bögen stieg er in die Höhe, stieß dann gelangweilt kreisend nieder, mit goldenen in der Sonne glitzernden Fängen. Kopfüber trudelnd wie ein Kiebitz, versprengte er im Fall die Stare.

Wer Der Wanderfalke zur Hand nimmt, sollte definitiv keine Story erwarten. Die gibt es nicht. Dafür malt John A. Baker ein wundervolles Gemälde von der englischen Winterlandschaft und setzt die jagenden Wanderfalken mitten hinein. Wer die Vögel und die Marschlandschaft in England und anderswo nahe der Küste liebt, der ist bei diesem Buch richtig. Er kann ein Gedicht erwarten.

Um das zu illustrieren noch ein Zitat, Seite 75:

28. Oktober
Pfeif- und Krickenten trieben mit der Flut herein: Watvögel bevölkerten die hochstehenden Salzwiesen. Lauthals warnend flog ein Bausch Spatzen heran, gefolgt vom Falken, der langsam über tausend am Boden hockende Watvögel hinwegsegelte. Seine ellenbogenartig eingeknickten Handwurzelgelenke standen seitlich ab wie der gespreizte Nackenschild einer Kobra und wirkten ebenso gefährlich.

Der Wanderfalke
Autor: J.A. Baker
Verlag: Matthes & Seitz
Jahr: 2014



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