Im Winter kann es in der norddeutschen Landschaft äußerst trübe sein und auf den ersten Blick wenig einladend aussehen. Doch einerseits trügt oft der Schein und andererseits besuchen uns zu dieser Zeit viele hungrige Singschwäne und andere Wintergäste aus Nord- und Nordosteuropa. Und die sind unbedingt sehenswert.
Ein Höhepunkt sind Jahr für Jahr die Singschwäne, die offene Gewässer sowie Nahrung auf Wiesen und Feldern suchen. Mit den Singschwantagen, die leider auch dieses Jahr wieder ausfallen müssen, werden die weitgereisten Vögel etwa vom Nationalparkhaus in Criewen an der Oder gefeiert.
Mitte Januar hatte ich das große Glück, in der Oberen Havelniederung auf zwei Trupps von rund 100 beziehungsweise 150 Singschwänen zu treffen, die auf Äckern nahe der Havel ruhten beziehungsweise auf Futtersuche waren. Sicher kein Zufall, denn das angrenzende Gebiet untersteht dem Naturschutz.
Von Berlin war ich morgens gestartet, denn der Nebel sollte sich im Laufe des Tages auflösen – was allerdings nur ein Versprechen der Wetterdienste war. Dennoch: Die Landschaft war zauberhaft.
Erst als ich mich spätnachmittags auf die Heimfahrt machte, glühte eine silbrige Sonne am Himmel. Die Landschaft im Havelgebiet von Brandenburg blieb daher im weichzeichnenden Dunst; und die Singschwäne auch. Die Vögel waren offenbar erschöpft und hungrig, denn die strahlend weißen, gelbschnäbligen Altvögel mit ihren grau-weißen Jungen aus dem Vorjahr haben eine weite Reise hinter sich, wenn sie bei uns ankommen. Manche brüten jenseits des Urals!
Nahrungspalette der Singschwäne
Tagsüber sieht man Singschwäne häufig auf Ackerflächen, entweder im Raps, im sprießenden Wintergetreide oder dort, wo zuvor Kartoffeln wuchsen oder Mais gestanden hat. Manchmal mischen sich auch Höckerschwäne in einen Singschwantrupp oder es lassen sich – wie hier – Scharen von Wildgänsen bei ihnen nieder.¹
Der Schnabel von Schwänen ist zahnlos, aber kräftig. Daher können sie problemlos über und unter der Wasseroberfläche Pflanzen abrupfen. Zerkleinert wird das Grünzeug, von dem sie sich fast ausschließlich ernähren, in ihrem Muskelmagen mit Hilfe von verschlucktem Kies und Sand.
Höckerschwäne verbringen den Tag meist gründelnd oder ruhend auf dem Wasser, kopfüber suchen sie dort ihre Nahrung. Alfred Hilprecht beschreibt in Höckerschwan, Singschwan, Zwergschwan (Neue Brehm-Bücherei 1970, Wittenberg/Magdeburg) den Unterschied zu den Singschwänen so, Seite 99
Die Nahrung des Singschwans ist ähnlich der des Höckerschwans. Er sucht sie aber mehr am Ufer und im Morast. Hier gräbt und wühlt er den Boden mit dem Schnabel sichtbar auf, um Pflanzenteile und Wurzeln herauszuziehen.
Recht vielfältig ist das Nahrungsspektrum der Singschwäne, so dass sie sich wechselnden Gegebenheiten durchaus anpassen können. Im Wasser fressen sie unter anderem Armleuchteralgen, Wasserpest und Laichkräuter, auf den Feldern suchen sie nach Hafer und Gerste, fressen auch Eicheln und Obst. Und dort, wo Singschwäne – wie die Höckerschwäne unserer Parklandschaften – mit Brot gefüttert werden, nehmen sie auch das.
Ein paar klare Worte
Über den Sinn der Fütterung wildlebender Tierarten mag man streiten. Richtig ist aber, dass deren Lebensraum auch außerhalb von Städten längst durch Bodenversiegelung, Industriebauten, Warenlager, Eigenheimbau und etwa Wassersport erheblich eingeschränkt ist. Agrarflächen sind vielfach durch Gülle und Pestizide belastet. Und Erntemaschinen arbeiten heute so gründlich, dass immer weniger Reste als Futterreserve auf den Feldern verbleiben.
Die beiden Singschwangruppen, die ich beobachten konnte, hatten sich jedenfalls auf weitläufigen Maisfeldern niedergelassen. Viele Hundert Wildgänse – ich sah außer Grau- und Saatgänsen auch Blässgänse – fraßen und ruhten hier ebenfalls. Auch sie sind Wintergäste, die die kalten Monate bei uns verbringen und bei Kälteeinbrüchen weiter westwärts ziehen.
Hungrige Singschwäne suchen mit dem Schnabel ober- und unterirdisch nach genießbaren Pflanzenteilen, während sie gemächlich über das Feld schreiten. Davon vermittelt der folgende Videoausschnitt einen ersten Eindruck. Laut zu hören ist zugleich das permanente Geschnatter der Wildgänse.
Aufmerksam und störungsanfällig
Wilde Schwäne sind immer aufmerksam und zudem störungsanfällig, weil sie überall mit Jägern oder Jägerinnen rechnen. Wenn einige Vögel fressen, übernehmen andere eine Wächterfunktion und lassen „ungebetene Gäste“ nicht aus den Augen. Das betrifft auch Vogelbegeisterte und zeigt sich auch dann, wenn man einigermaßen weit entfernt ist und meint, hinter Zweigen gut verborgen zu sein.²
Obwohl ich den PKW nicht verlassen hatte und nur durch das offene Fenster beobachtete, zogen sich die Schwäne kaum merklich etwas zurück. Da steht mal der eine auf und entfernt sich ein paar Schritte, dann der nächste … Es bleibt das Gefühl, das menschliche Auge sei ihnen unangenehm.
Der nächste Videoabschnitt illustriert das Verhalten der Vögel in der Gemeinschaft: Links kontrollieren Altvögel die Beobachterin. Rechts wird gewühlt und gefressen. Mittig ruhen ein Altvogel und ein Jungvogel, der an seinem grauen Jugendkleid und dem noch fleischfarbenen Schnabel zu erkennen ist.
Dieser Ausschnitt lässt erahnen, wie hungrig und erschöpft die Vögel sind: Alle knabbern hier und da an den Strünken, ein Jungvogel frisst im Sitzen.
Hungrige Singschwäne in der Forschung
Biologen und Biologinnen, die sich mit einer Vogelart beschäftigen, untersuchen und messen alles, was möglich ist – beim Nahrungsspektrum etwa, was noch im Kropf, im Magen oder dem Darm eines toten Vogels steckt. Kein Wunder, dass auch bei der Futtersuche diverse Daten erhoben wurden, und das bereits 1939. Niederländische Wissenschaftler vermaßen damals die Kuhlen, die Schwäne beim Graben produzieren. Dazu nochmals Alfred Hilprecht, Seite 100
Beim Graben nach den Wurzeln entstehen kreisrunde Löcher. Nach Brouwer und Tinbergen (1939) maßen die Kuhlen 20 – 30 cm in der Breite und waren fast 10 cm tief, größte Maße waren 100 bis 150 x 40 – 50 cm bei einer Tiefe von 20 bis 25 cm.
Sehr schön zu erkennen ist diese Wühlarbeit, mit der hungrige Singschwäne angeblich ganze Felder umgraben, bei diesem Jungschwan. (Wie üblich lassen sich alles Fotos durch Wischen oder Anklicken vergrößern.)
Die Altvögel wühlen natürlich besonders effektiv. Und was wir im Hintergrund hören, sind die charakteristischen Lautäußerungen – auch Vokalisationen genannt – der Singschwäne. Davon habe ich schon einmal berichtet und komme ein anderes Mal ausführlich darauf zurück.
Fürsorge bei Singschwänen
Abschließend möchte ich auf die Fürsorge der Altvögel aufmerksam machen: Im Winterquartier bleiben Jung und Alt zunächst noch als Familie innerhalb größerer Trupps zusammen. Erst allmählich lösen sich beim Rückzug in den Norden oder Nordosten die Familienverbände auf. Und im Brutgebiet angekommen, werden dann die einjährigen Schwäne von den Altvögel „weggebissen“, also vertrieben.
Bereits im Januar beziehungsweise Februar lockern sich jedoch erkennbar die familiären Bande innerhalb der Kleinfamilie aus Eltern und Jungen. Aber der Nachwuchs bleibt in der Obhut der Altvögel und wird von meist männlichen Aufpassern bewacht³ – so wie diese ruhenden Jungvögel. Wer denkt da nicht an Kindergarten!
¹ Manche Wildgänse, Wildenten und auch die Höckerschwäne dürfen im Winter geschossen werden – auch bei uns. Die Jagd ist zeitlich begrenzt und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Sing- und Zwergschwäne sind jedoch ganzjährig geschützt. Vielleicht lassen sich Höckerschwäne und Wildgänse deshalb schutzsuchend in ihrer Nähe nieder.
² In Bezug auf die Kraniche habe ich schon beschrieben, wie wichtig es ist, ruhig abzuwarten, bis Wildvögel die Gefahr einschätzen können und ihrem „Alltagsgeschäft“ wieder nachgehen. Mehr dazu auch unter Birding.
³ Das entnehme ich dem wunderbaren Bildband Schwäne von dem Japaner Teiji Saga, Schirmer/Mosel, München 1990
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