Hungrige Wintergäste

30. Januar 2022 | Große Vögel, Schwan & Schwan | 0 Kommentare

Eine Handvoll Singschwäne stehen auf einem bräunlichen feld, dahinter Gänse und Bäume.Im Winter kann es in der norddeutschen Landschaft äußerst trübe sein und auf den ersten Blick wenig einladend aussehen. Doch einerseits trügt oft der Schein und andererseits besuchen uns zu dieser Zeit viele hungrige Singschwäne und andere Wintergäste aus Nord- und Nordosteuropa. Und die sind unbedingt sehenswert.

Ein Höhepunkt sind Jahr für Jahr die Singschwäne, die offene Gewässer sowie Nahrung auf Wiesen und Feldern suchen. Mit den Singschwantagen, die leider auch dieses Jahr wieder ausfallen müssen, werden die weitgereisten Vögel etwa vom Nationalparkhaus in Criewen an der Oder gefeiert.

Mitte Januar hatte ich das große Glück, in der Oberen Havelniederung auf zwei Trupps von rund 100 beziehungsweise 150 Singschwänen zu treffen, die auf Äckern nahe der Havel ruhten beziehungsweise auf Futtersuche waren. Sicher kein Zufall, denn das angrenzende Gebiet untersteht dem Naturschutz.

Naturschutzschild vor einem Gewässer, das vorne mit Schilf und hinten mit Bäumen bestanden ist

Die Wasserfläche des Sees ist teils zugefroren.

Von Berlin war ich morgens gestartet, denn der Nebel sollte sich im Laufe des Tages auflösen – was allerdings nur ein Versprechen der Wetterdienste war. Dennoch: Die Landschaft war zauberhaft.

Eine Lange Baumreihe im dunst, davor auf einem bräunlichen Maisfeld lagern sehr viele weiße Singschwäne

Vormittags: Blick auf die Singschwäne bei Hochnebel

Lange Baumreihe und ein bräunliches Maisfeld, auf dem viele Singschwäne ruhen

Nachmittags: Der Nebel gelichtet, aber die Sonne kommt nicht durch (Foto aus der Gegenrichtung)

Erst als ich mich spätnachmittags auf die Heimfahrt machte, glühte eine silbrige Sonne am Himmel. Die Landschaft im Havelgebiet von Brandenburg blieb daher im weichzeichnenden Dunst; und die Singschwäne auch. Die  Vögel waren offenbar erschöpft und hungrig, denn die strahlend weißen, gelbschnäbligen Altvögel mit ihren grau-weißen Jungen aus dem Vorjahr haben eine weite Reise hinter sich, wenn sie bei uns ankommen. Manche brüten jenseits des Urals!

Nahrungspalette der Singschwäne

Tagsüber sieht man Singschwäne häufig auf Ackerflächen, entweder im Raps, im sprießenden Wintergetreide oder dort, wo zuvor Kartoffeln wuchsen oder Mais gestanden hat. Manchmal mischen sich auch Höckerschwäne in einen Singschwantrupp oder es lassen sich – wie hier – Scharen von Wildgänsen bei ihnen nieder.¹

Singschwäne und Gänse auf einem braunen Maisfeld vor hohen Bäumen

Singschwäne und Wildgänse auf einem abgeernteten Maisfeld

Der Schnabel von Schwänen ist zahnlos, aber kräftig. Daher können sie problemlos über und unter der Wasseroberfläche Pflanzen abrupfen. Zerkleinert wird das Grünzeug, von dem sie sich fast ausschließlich ernähren, in ihrem Muskelmagen mit Hilfe von verschlucktem Kies und Sand.

Höckerschwäne verbringen den Tag meist gründelnd oder ruhend auf dem Wasser, kopfüber suchen sie dort ihre Nahrung. Alfred Hilprecht beschreibt in Höckerschwan, Singschwan, Zwergschwan (Neue Brehm-Bücherei 1970, Wittenberg/Magdeburg) den Unterschied zu den Singschwänen so, Seite 99

Die Nahrung des Singschwans ist ähnlich der des Höckerschwans. Er sucht sie aber mehr am Ufer und im Morast. Hier gräbt und wühlt er den Boden mit dem Schnabel sichtbar auf, um Pflanzenteile und Wurzeln herauszuziehen.

Recht vielfältig ist das Nahrungsspektrum der Singschwäne, so dass sie sich wechselnden Gegebenheiten durchaus anpassen können. Im Wasser fressen sie unter anderem Armleuchteralgen, Wasserpest und Laichkräuter, auf den Feldern suchen sie nach Hafer und Gerste, fressen auch Eicheln und Obst. Und dort, wo Singschwäne – wie die Höckerschwäne unserer Parklandschaften – mit Brot gefüttert werden, nehmen sie auch das.

Ein paar klare Worte
Über den Sinn der Fütterung wildlebender Tierarten mag man streiten. Richtig ist aber, dass deren Lebensraum auch außerhalb von Städten längst durch Bodenversiegelung, Industriebauten, Warenlager, Eigenheimbau und etwa Wassersport erheblich eingeschränkt ist. Agrarflächen sind vielfach durch Gülle und Pestizide belastet. Und Erntemaschinen arbeiten heute so gründlich, dass immer weniger Reste als Futterreserve auf den Feldern verbleiben.

Die beiden Singschwangruppen, die ich beobachten konnte, hatten sich jedenfalls auf weitläufigen Maisfeldern niedergelassen. Viele Hundert Wildgänse – ich sah außer Grau- und Saatgänsen auch Blässgänse – fraßen und ruhten hier ebenfalls. Auch sie sind Wintergäste, die die kalten Monate bei uns verbringen und bei Kälteeinbrüchen weiter westwärts ziehen.

Zwei Singschwäne, die mit gebogenem Hals Futter zwischen den trockenen Maisstrünken suchen.

Futtersuchende Singschwäne und dahinter sehr viele Gänse

Hungrige Singschwäne suchen mit dem Schnabel ober- und unterirdisch nach genießbaren Pflanzenteilen, während sie gemächlich über das Feld schreiten. Davon vermittelt der folgende Videoausschnitt einen ersten Eindruck. Laut zu hören ist zugleich das permanente Geschnatter der Wildgänse.

 

Aufmerksam und störungsanfällig

Wilde Schwäne sind immer aufmerksam und zudem störungsanfällig, weil sie überall mit Jägern oder Jägerinnen rechnen. Wenn einige Vögel fressen, übernehmen andere eine Wächterfunktion und lassen „ungebetene Gäste“ nicht aus den Augen. Das betrifft auch Vogelbegeisterte und zeigt sich auch dann, wenn man einigermaßen weit entfernt ist und meint, hinter Zweigen gut verborgen zu sein.²

vorne Zweige, dahinter auf dem Feld sitzten rund 40 Singschwäne

Mein Blick auf hungrige Singschwäne und Gänse

etwa ein Dutzend singschwäne und viele Graugänse auf einem Stoppelfeld von Mais

Identischer Standort: dieselbe Gruppe, aber etwas herangezoomt

Obwohl ich den PKW nicht verlassen hatte und nur durch das offene Fenster beobachtete, zogen sich die Schwäne kaum merklich etwas zurück. Da steht mal der eine auf und entfernt sich ein paar Schritte, dann der nächste … Es bleibt das Gefühl, das menschliche Auge sei ihnen unangenehm.

In der Mitte des BIldes sitzt ein junger singschwan, drum herum Altvögel und Graugänse auf dem abgeernteten Maisfeld

Dieselbe Gruppe mit 800 mm Objektiv herangeholt und als Ausschnittsvergrößerung

Der nächste Videoabschnitt illustriert das Verhalten der Vögel in der Gemeinschaft: Links kontrollieren Altvögel die Beobachterin. Rechts wird gewühlt und gefressen. Mittig ruhen ein Altvogel und ein Jungvogel, der an seinem grauen Jugendkleid und dem noch fleischfarbenen Schnabel zu erkennen ist.

Dieser Ausschnitt lässt erahnen, wie hungrig und erschöpft die Vögel sind: Alle knabbern hier und da an den Strünken, ein Jungvogel frisst im Sitzen.

 

Hungrige Singschwäne in der Forschung

Biologen und Biologinnen, die sich mit einer Vogelart beschäftigen, untersuchen und messen alles, was möglich ist – beim Nahrungsspektrum etwa, was noch im Kropf, im Magen oder dem Darm eines toten Vogels steckt. Kein Wunder, dass auch bei der Futtersuche diverse Daten erhoben wurden, und das bereits 1939. Niederländische Wissenschaftler vermaßen damals die Kuhlen, die Schwäne beim Graben produzieren. Dazu nochmals Alfred Hilprecht, Seite 100

Beim Graben nach den Wurzeln entstehen kreisrunde Löcher. Nach Brouwer und Tinbergen (1939) maßen die Kuhlen 20 – 30 cm in der Breite und waren fast 10 cm tief, größte Maße waren 100 bis 150 x 40 – 50 cm bei einer Tiefe von 20 bis 25 cm.

Sehr schön zu erkennen ist diese Wühlarbeit, mit der hungrige Singschwäne angeblich ganze Felder umgraben, bei diesem Jungschwan. (Wie üblich lassen sich alles Fotos durch Wischen  oder Anklicken vergrößern.)

Die Altvögel wühlen natürlich besonders effektiv. Und was wir im Hintergrund hören, sind die charakteristischen Lautäußerungen – auch Vokalisationen genannt – der Singschwäne. Davon habe ich schon einmal berichtet und komme ein anderes Mal ausführlich darauf zurück.

 

Fürsorge bei Singschwänen

Abschließend möchte ich auf die Fürsorge der Altvögel aufmerksam machen: Im Winterquartier bleiben Jung und Alt zunächst noch als Familie innerhalb größerer Trupps zusammen. Erst allmählich lösen sich beim Rückzug in den Norden oder Nordosten die Familienverbände auf. Und im Brutgebiet angekommen, werden dann die einjährigen Schwäne von den Altvögel „weggebissen“, also vertrieben.

Bereits im Januar beziehungsweise Februar lockern sich jedoch erkennbar die familiären Bande innerhalb der Kleinfamilie aus Eltern und Jungen. Aber der Nachwuchs bleibt in der Obhut der Altvögel und wird von meist männlichen Aufpassern bewacht³ – so wie diese ruhenden Jungvögel. Wer denkt da nicht an Kindergarten!

Zwei adulte Singschwäne stehen und mit langem Hals und bewachen sechs sitzende Jungvögel

Von den Altvögeln gut bewacht!

¹ Manche Wildgänse, Wildenten und auch die Höckerschwäne dürfen im Winter geschossen werden – auch bei uns. Die Jagd ist zeitlich begrenzt und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Sing- und Zwergschwäne sind jedoch ganzjährig geschützt. Vielleicht lassen sich Höckerschwäne und Wildgänse deshalb schutzsuchend in ihrer Nähe nieder.
² In Bezug auf die Kraniche habe ich schon beschrieben, wie wichtig es ist, ruhig abzuwarten, bis Wildvögel die Gefahr einschätzen können und ihrem „Alltagsgeschäft“ wieder nachgehen. Mehr dazu auch unter Birding.
³ Das entnehme ich dem wunderbaren Bildband Schwäne von dem Japaner Teiji Saga, Schirmer/Mosel, München 1990

Singschwan | Cygne chanteur | Whooper swan | Cygnus cygnus

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

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Birding

Du ahnst es vielleicht schon: Im Wort Birding steckt der englische „bird“. Unter Vogelfreunden ist das ein Schlagwort für die Beobachtung der gefiederten Tierwelt – im Feld, wie man so schön sagt. Also draußen. Ein paar Anmerkungen dazu findest du → hier.

Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Drei dunkle Hausrotschwänze in einer Grafik. Links der weibliche Vogel rechts davon der männliche, beide mit roten Schwanzfedern. Der männliche Vogel ist an weißen Federn am Kopf und auf den Flügeln zu erkennen. Ganz rechts auf der Grafik und neben den Eltern ein dunkelbraun-grauer Jungvogel.

2025 Der Hausrotschwanz

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Drei schwarzköpfige Möwen im sogenannten Prachtkleid oder Brutkleid. In der Mitte steht die Lachmöwe mit orangerotem Schnabel und ebensolchen Beinen.

2025  Die Lachmöve

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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