Im Oktober tauchen sie zu zigtausenden in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg auf: Kraniche aus dem hohen Norden. Wenn Grus grus, der Graue Kranich, hier rastet, schlägt mein Herz höher. Alle Jahre wieder!
Manchmal starte ich morgens um 6 Uhr in Berlin, um dabei zu sein, wenn die „Vögel des Glücks“ – wie sie auch genannt werden – bei Sonnenaufgang von ihren Schlafplätzen in den seichten Fischteichen bei Linum starten. Manchmal fahre ich zum Einflug der Kraniche bei Sonnenuntergang dorthin.
Kürzlich habe ich einen sonnigen Oktobertag genutzt, um die Kraniche zu beobachten, wenn sie tagsüber auf einem abgeernteten Maisfeld nach Ernteresten und anderem Futter suchen.
Auftanken mit Vorsicht
Bei meinem Ausflug Richtung Linum, nordwestlich von Berlin, war ich von der herbstlichen Landschaft wieder total fasziniert, obwohl auch hier die Agrarindustrie auf Mais und Biogas setzt.
Anderseits bieten abgeerntete Maisfelder und Grünland den rastenden Kranichen, die primär aus Finnland und der russischen Tundra zu uns kommen, wichtige Nahrung.
Allerdings werden die Vögel des Glücks von den Landwirten auf neueingesäten Ackerflächen häufig mit lauten Warnschüssen verjagt.
Dafür sorgen Kranichfreunde beim NABU und von Kranichschutz Deutschland für Futter auf ausgewählten Nahrungsflächen – und freuen sich über Spenden. Bei Linum steht aber genug Mais.
Die beeindruckenden Vögel, die immer seltener die angestammten Überwinterungsgebiete in Andalusien und Nordafrika aufsuchen und als Folge des wärmeren Klimas zum Teil sogar in Deutschland überwintern, meist aber bis nach Frankreich oder Spanien fliegen, tanken bei uns auf. Übrigens spricht man auch in englischsprachigen Fachpublikationen von „refuel“. Das heißt, die Vögel fressen möglichst viel, um für die Fortsetzung ihres Herbstzugs nach Süden gerüstet zu sein.
Schaut man den Tieren länger zu, fällt auf, dass die jungen Kraniche – erkennbar an dem braunen Kopf – hier von den Eltern und anderen Altvögeln lernen, mit den Anforderungen des Lebens in der Gruppe und diversen Stressfaktoren umzugehen.
Stressfaktor Mensch
Zu diesen Faktoren gehören heute übrigens auch alle, die beim sonntäglichen Familienausflug, als passionierte Fotografen oder engagierte Vogelguckerin etwa im Rhin-Havelluch bei Linum unterwegs sind. Viele Wege dürfen in dieser Gegend daher derzeit nicht befahren oder betreten werden.
Umso besser, dass der NABU von Berlin aus und zusätzlich in der Storchenschmiede von Linum Touren anbietet, die uns einerseits durch Informationen den Kranich nahe bringen und uns andererseits relativ nah zum Kranich bringen.
Als ich kürzlich in der Gegend von Linum war, hab ich aus Erfahrung ein Auge auf jene Maisfelder geworfen, die ganz offensichtlich gerade abgeerntet worden waren. Diese Flächen sehen auf den ersten Blick ziemlich öde aus – und von Kranichen keine Spur. Wer mit dem Rad oder dem offenen PKW unterwegs ist, der kann aber in der Regel die weitschallenden Kranicherufe hören. Lange bevor – oder ohne dass – man sie sieht.
Kraniche sind klug und vorsichtig. Darum halten sie eine Fluchtdistanz von 250 – 300 m ein. Das heißt, wer näher herangeht oder heranfährt, beunruhigt die Vögel und scheucht sie womöglich auf. Und nicht nur das: Er gefährdet die Gäste auf ihrem anstrengenden Herbstzug. Denn sie werden davonfliegen, und statt zu fressen werden sie Energie verlieren.
Es ist darum gut, dass Kranichschutz Deutschland für Vogelbeobachter ein paar Tipps zusammengestellt hat. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang außer unauffälliger Kleidung, ein gutes Fernglas oder ein Spektiv. Denn ein Kranichrastplatz ist kein Streichelzoo.
Nähe durch Technik
Zum Fotografieren nutze ich das beste Objektiv, das es für meine Kamera gibt (Brennweite 200 – 800 mm bezogen auf Kleinbild), den eingebauten Stabilisator und achte auf gute Beleuchtung. Dann kann ich später die Fotos am PC bearbeiten und die Tiere näher heranholen. Zwar ist die Bildschärfe manchmal suboptimal, weil Vögel sich bewegen und ich mich meist für kurze Belichtungszeiten entscheide, aber sei’s drum. Ich möchte die Herbstgäste beim Auftanken nicht stören.
Es hat sich übrigens tatsächlich bewährt, den PKW als Tarnzelt zu benutzen, wie es Kranichschutz Deutschland empfiehlt. Ich rate zudem, mit offenen Fenstern zu fahren, wenn möglich mit geöffnetem Verdeck, und für längere Zeit an einer Stelle stehen zu bleiben. Wenn man nämlich Kraniche entdeckt hat, dann abwartet und sich ruhig verhält, akzeptieren die großen Vögel mit der Zeit die fremden Beobachter. Das heißt: Auch wenn sie zunächst die Köpfe heben und die Lage sondieren, entspannen sie sich allmählich, senken die Köpfe und beginnen wieder zu fressen.
Genau so erging es mir jetzt: Je länger ich mit meinem PKW am abgeernteten Maisfeld stand, desto ruhiger wurden die Vögel. Erst als ich langsam davonfuhr, schauten wieder alle auf und blickten neugierig hinter mir her. Aufgeflogen ist keiner.
Grauer Kranich | Grue cendrée | Common crane | Grus grus
aktualisiert 28.09.2021
Liebe Elke, das ist ein wunderbarer Artikel über die Kraniche. Ich liebe diese majestätischen Vögel sehr und habe auch einmal einen Tag beim Kranich-Beobachten in Mecklenburg verbracht. In Japan werden sie als Glücksvögel sehr verehrt. Auf Bildern und als Origami-Figuren sind sie dort überall präsent. Ich habe noch einen 25 Jahre alten Papierkranich aus Japan, der nur leider langsam zerfällt. Viele Grüße. Tina
Wie schön, dass du auch dieses erhebende Gefühl kennst, wenn die Kraniche fliegen. Manchmal ziehen sie ja auch über unser Haus hinweg, und ich hoffe immer, dass sie Berlin unbeschadet hinter sich lassen. Erst kürzlich habe ich gelernt, dass man die Jungen und die Altvögel an den Kontaktrufen unterscheiden kann. Die diesjährigen Jungen rufen in einer höheren Frequenz.