Im Oktober, da muss ich wenigstens einmal von Berlin in Richtung Linum fahren, um im Rhinluch oder dem benachbarten Havelländischen Luch die Kraniche bei ihrer Rast zu beobachten. Sie kommen zu uns aus dem Norden oder Nordosten Europas und ziehen weiter nach Südwesten.
In diesem Jahr hatten Ehrenamtliche dort schon über 55.000 rastende Kraniche gezählt, als ich mich auf den Weg machte. Und welche Freude, als ich Jung und Alt an einem Wassergraben entdeckte. Sie erfrischten sich dort beziehungsweise machten sich frisch.
Die stattlichen Vögel hatten definitiv Durst, und außerdem wollten sie offenbar ihr Gefieder reinigen. Beides konnte ich aus der Ferne beobachten – und war fasziniert. Das lag durchaus auch an der wunderbaren, herbstsonnigen Landschaft rund um das brandenburgische Linum.
Es zeigte sich bald, dass der tiefliegende Wassergraben an die Vögel besondere Herausforderungen stellte. Sie schlafen, nisten und baden in der Regel im eher seichten Flachwasser ohne Böschung. Dazu zählen unter anderem überflutete Gebiete eines Erlenbruchs oder – auf dem Zug – die Boddenregion an der Ostseeküste und Seen mit flachem Ufer.¹
An diesem Wassergraben mussten die Vögel nun eine steile Böschung hinunter und wieder hinauf. Manchen diesjährigen Jungvögeln – zu erkennen an dem braunen Kopf – war das ganz offensichtlich nicht angenehm. Sie zögerten, taten aber später das, was die Eltern ihnen vormachten.
Im folgenden Videoausschnitt sind am Rand der Böschung Jungvögel zu erkennen, die sich nicht hinabtrauen und vor den aus dem Graben hochkommenden Kranichen zurückschrecken.
Fressen und Trinken
Die Kranichgruppe am Wassergraben zu entdecken, war Glücksache – wie es so schön heißt. Denn als ich ankam, waren zunächst nur wenige Kraniche zu sehen, dann wurden es langsam mehr. Und als ich zwei Stunden später zum Graben zurückkehrte, war die ganze Gruppe verschwunden.
In der Gegend von Linum sind es vor allem die abgernteten Maisfelder, auf denen die majestätischen Vögel nach Nahrung suchen. Man sieht die majestätischen Vögel daher vor allem auf abgeernteten Feldern, wo sie Mit tiefgebeugtem Kopf graben sie nach übriggebliebenen Maiskörnern und Wurzeln.² Von frischer, grüner Saat, die im Herbst bereits sprießt, werden Kraniche mit Alarmschussanlagen vertrieben.*
Vieles ist im Herbst eher trockene Kost. Da wundert es nicht, dass die Vögel vom abgeernteten Maisfeld zum unmittelbar angrenzenden Wassergraben schritten: Wer durstig ist, kann sich dort laben. Manche Kraniche nahmen viele Schlucke, andere nur wenige. Um zu trinken, tauchen sie den Schnabel ins Wasser und müssen dann den Hals hochstrecken, damit die Flüssigkeit in den Magen gelangt.
Das Trinken hat der langjährige Kranichforscher Hartwig Prange in Der graue Kranich (Die Neue Brehm-Bücherei, 1989, Lutherstadt Wittenberg/Magdeburg, Bd. 229) so beschrieben, Seite 96
Beim Trinken wird das Wasser in den flach eingetauchten Schnabel gefüllt, um nach schnellem Anheben und Vorwärtsführen des Kopfes abzulaufen… Ein einzelner Trinkakt dauert etwa 5 sec und kann bis zu 7mal wiederholt werden.
Badende Kraniche: Ab- und Aufstieg
Zum erfrischenden Nass geht es an diesem Wassergraben ziemlich steil hinunter. Wie schon erwähnt, zögerten manche Jungvögel lange, bevor sie abstiegen, und fast alle setzten ihre Füße vorsichtig voreinander. Unten angekommen wurde dann nicht nur getrunken, sondern meist auch gebadet.
Anschließend ging es zügig wieder hinauf. Dabei unterstützten die meisten Vögel ihre Schritte mit kräftigen Flügelschlägen. Und wer oben angekommen war, bewegte sich rasch in die zweite Reihe. Dort hieß es flügelschlagend überschüssiges Nass loswerden, das Gefieder trocknen und sich putzen.
Badende Kraniche sind eine Freude. Sehr entschieden tauchen sie den Kopf ins Wasser und lassen das Nass über Flügel und Rücken fließen. Dazu ein weiteres Zitat von Hartwig Prange, Seit 52
Das Baden ist nicht häufig und erfolgt eher stehend als sitzend. Dabei werden Kopf, Hals, Brust und die schlagenden Flügel eingetaucht und das Wasser durch Wellenbewegungen über den Körper geleitet. Dem Bad folgt ein Schütteln und ausgiebige Gefiederpflege …
Offenbar wissen trinkende beziehungsweise badende Kraniche, wie gefährlich ein tiefer Graben sein kann und halten sich nicht lange darin auf. Kommt nämlich ein Beutegreifer, sind sie dort praktisch gefangen. Ein schnelles Abheben ist unmöglich. Die Vögel befinden sich also in einem Dilemma, denn Sicherheit ist wichtig und das Bad als Teil der Gefiederpflege eben auch.
Ihr Gefieder auf die eine oder andere Art zu putzen, ist für alle Vögel notwendig. In der Biologie sprechen wir auch vom Komfortverhalten. Da werden abgenutzte Federn und lästige Parasiten entfernt, aber auch das Federkleid in Ordnung gebracht. Ein Bad im Wasser, im Staub oder in der Sonne ist also kein Komfort im Sinne von Luxus, sondern eine Hygienemaßnahme und unerlässlich.
Das steht sehr schön im Abschnitt Feather Care in dem Handbook of Bird Biology³, das ich Biologisch-Interessierten mit guten Englischkenntnissen nur empfehlen kann, auf Seite 130
However wetting the body, even for bathing, must occur within limits; a thoroughly wet bird can be quite helpless, and many are unable to fly efficiently when soaked, making them particularly vulnerable to predators. Because birds must dry as soon as possible, certain behaviors are common place: after bathing, a bird typically shakes its body and throw off extra water, whirs its wings, fluffs its feathers to promote evaporation, and preens vigorously. In favorable circumstances, a soaked bird can dry itself in a matter of minutes.
Kronenkraniche beim Baden
Der Kranich – oder Grauer Kranich – gehört zu den wenigen großen Vögeln, die hierzulande saisonal und teils ganzjährig wild leben, ohne sonderlich bedroht zu sein. Auch wenn sie bei uns nicht (mehr) bejagt werden, sind sie äußerst menschenscheu. Ihre Fluchtdistanz liegt in der Regel bei mindestens 200 Metern, meist ist sie deutlich größer.
Bei einem Ausflug badende Kraniche einmal ganz in der Nähe zu entdecken, ist dementsprechend unwahrscheinlich. Und falls es der Zufall doch so wollte, würden wir sie aufschrecken und ungewollt vertreiben. Will man Baden und Gefiederpflege aus der Nähe betrachten, bietet sich ein Blick auf verwandte Arten an, die in Zoos oder Vogelgärten leben. Darum folgen hier nun Anmerkungen zum Grauhals-Kronenkranich, der auch als Südafrika-Kronenkranich bezeichnet wird, und seinem Komfortverhalten.
Es ist schon eine Weile her, aber da beobachtete ich diese Kranichart im Zoologischen Garten Berlin und staunte nicht schlecht über das putzige Bild, das dort badende Kraniche abgaben. So hatte ich sie als Biologiestudentin in ihrer afrikanischen Heimat nie gesehen. Pudelnass waren die Vögel nach ihrer Spritzerei im Wasserbecken des Zoos. (Auch bei dieser Fotogalerie lassen sich die einzelnen Fotos vergrößern. Je nach System dann mit ← zurück.)
Da wird der Kopf eingetaucht und beim Hochkommen läuft manchmal auch Wasser über den Rücken des Grauhals-Kranichs, während er mit den Flügeln schlägt und sich schüttelt … Genauso hat es auch Hartwig Prange in der oben zitierten Passage für den hiesigen Kranich beschrieben.
Und gleich nochmal …
Ist er pudelnass, dann sieht der hübsche Vogel etwas zottelig aus. Doch das gibt sich rasch, denn an Land schlägt er oder sie kräftig mit den Flügeln und breitet diese eine Weile weit aus, so dass das Gefieder besser trocknen kann.
Verwandtschaftlich betrachtet, stellen der Kranich (Grus grus) und der Grauhals-Kronenkranich (Balearica regulorum) nicht nur unterschiedliche Arten dar, sondern gehören auch verschiedenen Gattungen innerhalb der Familie der Gruidae an.
Auch wenn hiesige Kraniche in Nordeuropa brüten und Grauhals-Kronenkraniche ganzjährig südlich der Sahara leben, ähneln die Arten einander nicht nur äußerlich, sondern in vielen Verhaltensweisen – so auch im Komfortverhalten, wenn sie etwa ein Bad nehmen und sich im wahrsten Sinne des Wortes: frischmachen.
* Diesen Abschnitt habe ich nach einer Intervention von Hubert Pomplun (siehe Kommentare) neu formuliert.
¹ Interessant ist, dass junge Kraniche schwimmen können. Das ist überlebenswichtig, wenn im Brutgebiet das Wasser steigt oder Prädatoren sich dem Nest nähern. Auch adulte Kraniche schwimmen bei Gefahr.
² Ihre Nahrung ist vielfältig: Kartoffeln, Kohlköpfe, Hülsenfrüchte, Mais und anderes Getreide, Frösche, Mäuse und Insekten…
³ Handbook of Bird Biology, Hrsg. I.J. Lovette und J.W. Fitzpatrick, Chichester 2016 (Wiley, 3. Aufl.)
Kranich = Grauer Kranich | Grue cendrée | Common crane | Grus grus
Grauhals-Kronenkranich = Südafrika-Kronenkranich| Grue royale | Grey crowned crane | Balearica regulorum
Et en Français: Grues cendrées au bord d’un fossé
Einspruch, Euer Ehren. Die Kraniche gehen nicht in noch stehenden Mais – auch ohne Schussanlagen. Sie wollen immer rundum freie Sicht haben und gehen deshalb erst nach der Ernte auf die Maisäcker. Die Schussanlagen werden von manchen Landwirten zum Schutz frisch eingesäter Äcker betrieben. Aber das ändert nichts daran, dass das ein sehr schöner Bericht über das Baden der Kraniche ist. Wenn diese das Glück hatten, noch einen „klassischen“ Brutplatz im Erlenbruchwald zu finden – mit flachem Wasser drumherum – schwimmen die Küken ohne Probleme, wenn sie mit den Eltern im Alter von 1-2 Tagen das Nest verlassen.
Lieber Herr Hubert Pomplun, danke für die Aufmerksamkeit und den wichtigen Hinweis. Ja, mit den Schussanlagen werden Kraniche z.B. vom Wintergetreide vertrieben, das im Herbst bereits auskeimt. Ich habe diese Passage rasch umformuliert.
Hallo Elke, Dein Bericht über badende Kraniche fand ich höchst interessant. Habe ich noch nie beobachten können. Ich war jetzt sehr viel unterwegs und muß sagen, so viele Kraniche rund um Linum/Kremmen/ Radensleben wie in diesem Jahr habe ich noch nie gesehen. Konnte mich also sattsehen und -fotografieren 🙂
Was mich bei meinen Touren aber besonders verärgert hat, waren die „Vogelfreunde“, die sich rücksichtslos den Kranichkolonien – meist mit Auto – genähert haben und die Kraniche zur Flucht zwangen. Im Zeitalter der langen Brennweiten wäre das nicht mehr nötig. In meinen Augen sind das Naturkonsumenten und keine Freunde der Natur.
Interessant ist, daß sich oft viele Rehe zwischen den Kranichen aufhalten – ungestört. Die Kraniche reagieren ja wesentlich sensibler auf Störung als sie selbst. Wenn die Kraniche auffliegen, wird es auch für sie Zeit zu fliehen. Dem Instinkt folgend verhalten sich die Rehe entsprechend. Das ist meine Vermutung.
War vor ein paar Tagen bei Linum – aber der große Schwarm war verschwunden – bis zum nächsten Jahr – uns
zur Freude.
Liebe Gabriele,
wir sind uns lange nicht mehr „draußen“ begegnet. Aber du hast recht: Es sind zuviele Menschen unterwegs, denen es nicht um die Vogelbeobachtung und das Wohlfühlen in der Natur geht, sondern um das optimale Foto. Das ist wirklich traurig – oder auch ärgerlich. Aus dem Auto heraus zu fotografieren ist ja nicht falsch, das beunruhigt viel Tiere weniger als der sich nähernde Zweibeiner mit mächtigem Objektiv. Aber es gilt unbedingt, Abstand zu wahren, damit die weitgereisten Vögel in Ruhe fressen, trinken, baden oder ruhen können.
Viele Grüße und erfreuliche Winterbeobachtungen wünscht dir,
Elke