Stare sind unglaublich fitte und anpassungsfähige Vögel. Kein Wunder, dass sie sich immer wieder neue Lebensräume erobern. So auch meinen Berliner Balkon, wo ich den Winter über einen kleinen Schwarm mit rund 30 Tieren durchfüttere und jeden Sommer das Familienleben von zwei Starenpaaren beobachten kann.
In diesem Frühjahr überraschten mich nun drei Nestgeschwister auf dem Balkon. Das Staren-Trio beschäftigte – beziehungsweise amüsierte – mich von da an Tag für Tag. Sie waren unglaublich unterhaltsam und lassen sich auch noch jetzt, Anfang Juni, immer wieder blicken.
Aber der Reihe nach: Als ich am 17. Mai die Balkontür öffnen wollte, um das reetgedeckt Futterhaus zu befüllen, standen oben auf dessen Spitze drei junge Stare.¹ Dicht gedrängt, also sehr nah beieinander, hatten sie dort Platz genommen.
Unter ihnen, also im Vogelhaus, sah ich ein Elternteil. Von dieser Situation existiert leider kein Foto.
Stattdessen: Ein Foto des geräumigen Futterhauses vom Balkon aus.
Etwas verdattert*
Als ich meine Kamera endlich startklar hatte, waren die jungen Stare auf die Balkonbrüstung geflattert. Sie saßen da etwas verdattert und ziemlich irritiert neben einem Altvogel.² Es schien mir, dass dies von der Nisthöhle im benachbarten Garten aus ihr erster größerer Ausflug war.
Wie für junge Stare üblich, war das Gefieder ungemustert und in einem matten Graubraun getönt. Dass sie noch recht jung und gerade erst flügge waren, lässt sich an dem breiten Mundwinkel, dem rundlichen Körper und dem kurzen Schwanz ablesen. Außerdem bettelten sie auf der Balkonbrüstung stehend den Altvogel um Futter an.
Das war zwar auf der Brüstung nicht erfolgreich, aber als der Altvogel ins Futterhaus flog, folgten die Jungen ihm nach und nach.
Wieder wurde gesperrt. Und nun steckte der Altvogel seinem Nachwuchs Futter – vermutlich die ausgelegten Mehlwürmer – tief in den weit aufgesperrten Rachen.
Info: Wenn junge Stare die Bruthöhle verlassen, sind sie etwa drei Wochen alt. Meistens fliegen die Geschwister gemeinsam aus. Obwohl die schlicht weißen Eier nacheinander gelegt werden – täglich eins – , beginnt die eigentliche Brutzeit erst, wenn das Gelege vollständig ist. Daher sind junge Stare in der Regel gleich weit entwickelt, wenn sie sich selbstständig machen.
Größen- und Gewichtsunterschiede zwischen Geschwistern gibt es dennoch, und manchmal fliegt ein Jungvogel deutlich später aus als die anderen. Er wird dann weiterhin in der Bruthöhle gefüttert, berichten Ornithologen wie Wolfgang Schneider (Der Star. Die Neue Brehm-Bücherei, 1972, S. 58).
Auf unserem Balkon schien mir ein Starenkind weiniger weit entwickelt zu sein als die Geschwister, denn es wirkte kleiner und auf dem Kopf trug es noch ein paar hochstehende Federchen. Es sind Daunen oder Dunen seines ersten Federkleids, die früh abgestoßen werden.
Diese hatten sich zwar schon gelöst, waren aber noch nicht ganz ausgefallen. Das verlieh dem Kleinen im Übrigen dieses etwas keckes Aussehen.
Was mir kurz darauf die jungen Stare auf der Balkonbrüstung boten, war hinreißend und erklärungsbedürftig: Zwei der drei Nestgeschwister³ drängten sich aneinander und das scheinbar ältere Junge schob sich unter den Vorderkörper des anderen. Nicht nur das, es sperrte seinen Schnabel auf. Der Jungvogel erbat sich also von seinem Geschwister Futter. Das konnte ich zweimal beobachten – und staunte nicht schlecht.
Beim Betteln um Futter macht sich der„Bettler” klein, duckt sich. Hier schiebt er sich unter sein Geschwister. Es ist eine Strategie, die junge Stare üblicherweise bei den Altvögeln anwenden.
Info: Zum Anbetteln gehören nicht nur das Aufsperren des Schnabels und die sogenannten Bettellaute oder Futterrufe, sondern auch bestimmte Körperhaltungen. Wie gebettelt wird verändert sich mit der Zeit. Haben junge Stare bereits den Nistkasten oder die Bruthöhle im Baum verlassen und hocken im Geäst der Bäume, dann sieht das Betteln so aus:
Der hungrige Vogel macht sich klein, duckt sich also, und dreht den gesenkten Kopf so, dass der geöffnete Schnabel nach oben – zum Schnabel des Altvogels – weist.
Der angebettelte junge Star fühlte sich allerdings sichtlich bedrängt, schien überfordert und sorgte für Distanz. Das illustriert der nächste Videoausschnitt. Wenig später flogen die Geschwister ab. Ich vermute, sie hatten gesehen, dass ihre Eltern in der gegenüberliegenden Robinie unseres Gartens hockten.
Immer den Eltern nach
Darüber, dass junge Stare unser Futterhaus direkt angeflogen hatten, war ich zunächst erstaunt. Aber des Rätsels Lösung liegt auf der Hand: Die Stareneltern kommen seit Monaten regelmäßig mehrfach am Tag zu dieser Futterstelle, fliegen sie an. Und die Jungen waren ihnen einfach gefolgt.
Dass Alt und Jung vorbeikamen, geschah nun häufig. Und oft spazierten die Jungen noch neugierig auf der Balkonbrüstung herum, wenn ihre Eltern bereits wieder abgeflogen waren.
Die jungen Stare besuchten das Futterhaus zunächst nicht, um drin zu fressen, sondern um sich vor Ort füttern zu lassen. Mit unüberhörbaren Rufen und aufgerissenem Schnabel machten sie auf sich aufmerksam. Waren die Eltern in der Nähe, wurden sie auch von ihnen gefüttert.
Info: Junge Stare betteln etwa vier Wochen mit aufgesperrtem Schnabel um Futter. Dann hört dieser Sperrtrieb auf, lese ich im Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Urs N. Glutz von Blotzheim (Hrsg.) , 1985, Bd. 13, S.228
Alleine fressen
Während zunächst das Geschwister-Trio gemeinsam angeflogen kam, trafen die jungen Stare bald auch einzeln ein. Mal mit, mal ohne einen adulten Vogel. Und entweder ging es von der Balkonbrüstung aus hoch zum Futter, oder sie flogen direkt ins Futterhaus.
Immer häufiger war zu beobachten, dass die jungen Stare selbständig nach Futter pickten. Manchmal waren ihnen eine der getrockneten Trauben zu groß – oft waren auch einige davon miteinander verklebt – und diese versuchten sie dann zu teilen. Oder sie beförderten diese mit Schnabelhieben hinaus. Aber mit dem Angebot aus Mehlwürmern und Rosinen kamen sie offenbar gut zurecht.
Nicht nur ernährungstechnisch wurden die Jungen rasch selbstständig. Auch das Äußere wurde zunehmend erwachsen. Bereits nach zwei Tagen, also am 21. Mai, wirkten sie eleganter: der Schwanz war etwas länger und das Gefieder stärker gemustert.
Junge Stare „machen sich frisch”*
Manchmal konnte ich die munteren Jungvögel in der Robinie beobachten, etwa wenn sie dort nach einem Bad in der Vogeltränke ihr Gefieder putzten.
Viele Vögel haben ein Problem: Schmarotzer besiedeln ihr Gefieder, vor allem wenn nach dem Schlüpfen im Nistkasten allerlei Unrat anfällt. Denn im Gegensatz zur natürlichen Bruthöhle wird dieser mit der Zeit meist unsauber. Da können sich die Altvögel noch so bemühen, die Stube rein zu halten, indem sie Futterreste und Kotpäckchen fliegend abtransportieren.
Nicht nur ein Bad im Wasser hilft gegen blutsaugende Insekten & Co, die sich im Gefieder festsetzen. Auch Sonnenbaden mindert Parasitenbefall. Darum platzieren sich bekanntermaßen Amseln mit ausgebreitetem Gefieder in die pralle Sonne.
Aber Stare machen das offenbar auch. Das konnte ich auf der Balkonbrüstung beobachten. Und wenn junge Stare ein solches Verhalten zeigen, dann liegt dem ein angeborenes, genetisch fixiertes Programm zugrunde.
Jungvögel kommen im Pulk*
In den letzten Maitagen hatte sich die Situation am Futterhaus weiter verändert. Manchmal kamen nun adulte Stare und fraßen wie ein Staubsauger das Häuschen leer. Sicher waren sie bereits mit der zweiten Brut beschäftigt.
Und wenn ein einzelner Jungstar den Balkon anflog, dann hatte er meist ein paar Artgenossen oder Artgenossinnen im Schlepptau. Kaum war er oder sie gelandet und hatte angefangen zu fressen, befanden sich weitere Stare im Anflug. Man tummelte sich im Futterhaus.
Das Gedränge war groß wie im Winter, wenn dort „mein” kleiner Schwarm einfällt. Und wie im Winter gab es nun auch allerlei Geflattere und Gezänk … Wer findet einen Platz? Wer wird vertrieben?
Zunächst hatte ich mich gewundert, dass hin und wieder mehr Stare als „mein” Geschwister-Trio samt der Eltern landeten. Doch im bereits erwähnten Der Star von Wolfgang Schneider lese ich auf Seite 58, dass nach dem Flüggewerden die
… Starengesellschaft sehr bald aus dem engeren Brutgebiet abfliegt und sich in größeren Verbänden in zusagenden Biotopen sammelt …
Es gab also Zuwanderung aus dem Umfeld.
Jungstare sind eine unruhige Gesellschaft, die viel hin und her fliegt und so die nahe und weitere Umgebung erkundet. Im Verlauf von zehn Tagen waren aus den jungen, etwas pummeligen Staren, die gerade erst flügge geworden waren, jedenfalls attraktive Jungstare mit viel Charakter geworden.
Ich würde zu gerne wissen, ob sie den Winter in Berlin verbringen werden und ob sie sich am Futterhaus von mir durchfüttern lassen. Möglich ist das und eine schöne Vision.
* Mir gefällt es, Wörter oder Redewendungen zu nutzen, mit denen ich groß geworden bin und die aus dem Sprachgebrauch zu verschwinden drohen. Sie sind oft besonders griffig, anschaulich.
¹ In der Tat standen sie dort. Ich hätte allerdings auch saßen oder hockten schreiben können, denn im Alltagsdeutsch, der Umgangssprache, nehmen wir es da nicht so genau. Korrekt wäre allerdings: standen. Zur korrekten Bezeichnung sich z.B. der Ornithologe Hans-Heiner Bergmann ein Gedanken gemacht und die Frage gestellt: Sitzt der Vogel auf dem Zweig …
² Fast alle Fotos sind durch Doppelglasfenster aufgenommen. Das beeinträchtigt teilweise ein wenig die Schärfe.
³ Das Wort Nestgeschwister erinnert daran, dass sie zwar aus demselben Nest stammen, aber nicht dieselben Eltern haben müssen. Denn Stare sind relativ promisk.
Star | Étourneau sansonnet | Common Starling | Sturnus vulgaris
Hier „auf dem Land“ sehe ich im Winter keine Stare, aber im Sommer reichlich. Mitte Mai sind die ersten an der Fütterung (Meisenknödel in Gitterröhren) erschienen, nur einzeln. Im Sommer (wohl zweite Brut) kamen sie dann in Familie und das ging nahtlos über in das Kaputtmachen und Runterschmeißen von Pflaumen und Wein durch größere Schwärme. Nachdem die örtlichen Jäger in 2021 viele Waschbären gefangen hatten, wurden diese perfekt durch die Stare ersetzt – wobei die Waschbären die Pflaumen genau zur richtigen Reife wenigstens komplett gefressen haben, während die Stare mehr kaputtmachen als sie fressen. – Aber egal – der liebe Gott lässt die Früchte nicht nur für die Menschen wachsen. Und es sind auch nicht „bloß“ Stare – alle Geschöpfe wollen leben.
Ja, so ist es, lieber Herr Pomplun. Und die anpassungsfähigen Arten kommen uns Menschen natürlich am ehesten zu nahe. Da entstehen Interessenkonflikte. Als Winterquartier haben Stare zuletzt die Berliner Bahnstationen entdeckt, etwa am Alexanderplatz: Dort ist es nicht so kalt und zu futtern gibt es auch eine Menge.