Es war einer dieser nebligen Wintertage, an dem mir kürzlich ein Sumpfbiber – auch als Nutria oder Biberratte bekannt – über den Weg lief. So lassen sich meine Begegnungen mit diesem wasserliebenden Nagetier wohl am besten beschreiben: Es läuft mir hin und wieder über den Weg. Ich suche es jedenfalls nicht gezielt auf. Freue mich aber jedes Mal über seinen Anblick.
- Die Nutria im Visier
- Havelaue im Winter
Das passiert etwa, wenn ich im Winterhalbjahr auf Vogeltour bin, um zum Beispiel die Singschwäne in der Havelniederung oder die Kraniche im Naturpark Nuthe-Nieplitz zu beobachten. Von solchen zufälligen Begegnungen möchte ich berichten und auch erklären, warum ich es nicht mit der Bisamratte oder dem Biber zu tun hatte.
Ein Neozoon: nicht eingewandert, sondern hergeholt
Eigentlich gehört die Nutria nicht in unsere Landschaft. Ihre ursprüngliche Heimat sind die Niederungen der großen Ströme in Südamerika. Sie ist in Argentinien, in Uruguay, dem südlichen Brasilien und in Chile zu Hause. Nutrias – ein Begriff, der sich mittlerweile durchgesetzt hat, obgleich er ursprünglich nur den Pelz bezeichnete – zählen hierzulande zu den Neozoen. Sie sind allerdings nicht selbstständig zu uns gekommen, sondern als lukrative Pelztiere „eingebürgert“ worden.

Verbreitungsgebiet in Südamerika (nach Grzimek a.a.O.)
Dass Nutrias seit langem in weiten Teilen von Nordamerika und Eurasien leben, geht auf eine gezielte und auch ungezielte Ansiedlung zurück: Seit dem 18. Jahrhundert wurden sie u.a. nach Europa geholt und etwa in Frankreich und in Deutschland in Pelztierfarmen gezüchtet.
Einige Tiere entkamen aus den Züchtanalgen, andere wurden sicherlich gezielt in der Natur ausgesetzt.
Der Grund war nicht nur das Fell, das als weicher, warmer Pelz¹ lange Zeit in Deutschland und anderen europäischen Staaten äußerst begehrt war, auch das Fleisch des Pflanzenfressers gilt als schmackhaft. Kein Wunder, dass der Sumpfbiber als Pelz- und Fleischlieferant in seiner ursprünglichen Heimat im letzten Jahrhundert kurz vor der Ausrottung stand.
Als Gegenmaßnahme wurde in Argentinien und Uruguay ein Fangverbot erlassen und der Handel mit dem Fell verboten.
Heute ist die Nutria in Europa eher unbeliebt. Denn wie die etwas kleinere Bisamratte unterhöhlt sie Ufer und Deiche. Besonders konsequent bekämpft werden beide Tierarten von der Wasserwirtschaft in den Niederlanden. Aber auch bei uns werden Nutria und Bisamratte gezielt bejagt. Eine Schonzeit gibt es zwar für Elterntiere, ansonsten – je nach Bundesland – in der Regel nicht.
In der Havelniederung
Zu allen Jahreszeiten lockt mich die Havelniederung an, wo der Sommer sehr schön, aber der Winter bei Sonnenschein oder mit Nebel, Schnee oder überfrorenen Eisflächen oft sogar noch attraktiver ist.
Es ist kein Wunder, dass mir die Nutria dort mehrfach begegnete. Denn über den bevorzugten Lebensraum des Sumpfbibers² schreibt Helmut Kraft in Grzimeks Enzyklopädie (1988, Kindler, München, Bd.3) auf Seite 351
Er bevorzugt abgelegene seichtere, seenartige Gewässer mit einer reichen Vegetation an Wasserpflanzen, die ihm als reinem Pflanzenesser die Nahrung liefert.
Wenn die Winter mild sind und das Wasser nicht dauerhaft gefriert, kommen Nutrias bei uns gut zurecht. Zu ihrer rasanten Vermehrung in den letzten Jahrzehnten haben die milderen Wintermonate beigetragen, denn sobald es knackig kalt ist und eine feste Eisdecke entsteht, überleben viele von ihnen nicht. Bei Helmut Kraft lese ich, Seite 357
In unseren Breiten aus Farmen entflohene Tiere können sich den Sommer über sehr gut halten, im Winter bedeutet neben Nahrungsmangel die Kälte eine große Gefahr. Zum einen können durch Erfrierungen Schwänze und Zehen absterben, zum anderen ertrinken in zugefrorenen Gewässern die Tiere unter der Eisdecke.
Ein paar Sonnenstrahlen aktivieren die hungrigen Nager, und sie suchen an Land nach genießbarem Grünzeug. Wenn es kühl wird und gegen Abend der Nebel aufzieht, begeben sie sich meist in ihren Bau. Der hat einen Zugang an der Wasseroberfläche und ist ufernah angelegt.
Kleines Who is who: Nutria – Biber – Bisamratte
Um die drei Nagetiere auseinander zu halten, gilt es, etwas genauer hinzuschauen und die Tageszeit zu berücksichtigen. Größe, Schwanzform und Zähne spielen eine Rolle, allerdings zeigen die pelzigen Nager ihre Kennzeichen nicht unbedingt.
Die Nutria ist ein tagaktives Tier, das oft auch in der Dämmerung nach Nahrung sucht, aber nachts nur ausnahmsweise unterwegs ist. Darum begegnet sie uns häufiger als der nachtaktive Biber mit seinem platten Schwanz.
Sowohl der runde Schwanz der Nutria als auch das Zeitmanagement hilft Biber und Nutria zu unterscheiden. Und mit etwas Glück erkennt man bei der knabbernden Nutria auch die orangefarbenen Zähne.
Die Bisamratte ist zwar auch tagsüber im und am Wasser zu sehen, aber mit 20 – 40 cm Körperlänge ist sie deutlich kleiner als die massige Nutria mit ihren 40 bis 60 cm. Am größten unter den wasserliebenden Nagern ist der Biber, der es auf 80 – 100 cm bringt.
Auch an der Nuthe
Einmal begegnete mir eine Nutria, als ich im Winter im Naturpark Nuthe-Nieplitz Erlenzeisige fotografieren wollte, die sich am Feldweg herumtrieben. Da war es sogar möglich, den runden, kaum behaarten Schwanz in Augenschein zu nehmen. Ruhig und langsam bewegte sich das Tier nahe des Fahrwegs und knabberte an dem Grünzeug.
- Erlenzeisig im Flug
- … und gelandet
Was es dort Schmackhaftes beziehungsweise Hungerstillendes gab, blieb mir verborgen. Jedenfalls zeigen die Tiere eine gewisse Flexibilität im Hinblick auf die Nahrung. Aus Pelztierenfarmen ist bekannt, dass sie nicht nur Grünfutter, sondern auch Knollenfrüchte mögen. Sie verspeisen übrigens nicht nur die Blätter, Stängel und Wurzeln von Wasserpflanzen, sogar Muscheln und Schnecken sollen ihnen schmecken.
Die Nutria gehört in die Familie der Stachelratten oder Echimyidae und mit den Meerschweinchen und Stachelschweine in die Stachelschweinverwandtschaft. Einer anderen Familie wird der Biber zugerechnet, der Familie der Castroidae, während die Bisamratte mit Goldhamster und Lemmingen näher verwandt ist. Sie bilden zusammen mit anderen Arten die Familie der Cricetidae.
Unter den Stachelratten ist die Nutria insofern etwas Besonderes als sie die einzige schwimmende Art ist. An Land bewegen die Tiere sich recht unbeholfen und suchen bei Gefahr in der Regel ihren Bau auf – zumindest das Wasser. Einige Male konnte ich beobachten wie sie elegant ins Wasser gleiten. Als Illustration dieses kleine Video.
Immer wieder höre und lese ich, dass die Tiere in Familienverbänden und größeren Kolonien leben. Aber leider habe ich bisher nur Einzeltiere gesehen. Das lag vermutlich daran, dass mir die Sumpfbiber in der kalten Jahreszeit über den Weg liefen. Und nicht in der Fortpflanzungszeit.
Nutria = Sumpfbiber | Ragondin = Myoptame coypou | Nutria = South American beaver | Myocastor Coypus
¹ Das Fell der Nutria ist bräunlich-olivgrün. Daneben gibt es schwarze, weiße, silbergraue und pastellfarbene Felle aus der Zucht. Zu einem Pelz wird das Fell erst durch eine aufwendige Verarbeitung, bei der die größeren Grannenhaare entfernt werden. Es bleibt danach der samtene, dichte Nutriapelz.
² Bitte immer mit Nutria gleichsetzen.
Hallo,
ja in der DDR gab es Nutriafarmen und daraus wurden nach der Wende viele Tiere freigelassen.
Deshalb sind die meisten Nutrias auch nicht sehr scheu.
Ich beobachte seit vielen Jahren Nutrias entlang der Nieplitz und in einigen Teichen und Seen in deren Umgebung.
Leider sieht man sie zurzeit tatsächlich eher als Einzeltiere, nachdem sie gezielt bejagt wurden.
Vor einigen Jahren gab es in der Nieplitz etliche Familien mit Jungtieren, die sich sehr gut beobachten ließen.
Ich mag diese Tiere genau wie alle anderen Nagetiere sehr gern und bin froh, dass sie trotz Bejagung immer wieder ein Schlupfloch finden.
LG Angela
Hallo Elke!
Du scheinst wieder aus dem Oman zurück zu sein!?
Bestimmt mit vielen Eindrücken.
Scheibst Du auch später in Deinem Vogelblog darüber. Selber habe ich einen Nutria noch nie in der Natur gesehen, aber auch noch keinen Biber.
In der DDR gab es glaube ich mehrere Nutria Farmen.
L.G. Sabine
Ja, ich bin voller Eindrücke zurück und über die eine oder andere Vogelbeobachtung werde ich sicher berichten. Schön, dass dich die fernen Arten auch interesseiren, liebe Sabine.