In der Reihe Das will ich wissen! ist ein empfehlenswertes Buch über die Biologie der Vögel erschienen. Verfasst hat es Hans-Heiner Bergmann, ein außergewöhnlicher und vielseitiger Zoologe mit einem Fokus auf das Verhalten von Vögeln und bioakustische Fragen.
Ihm ging es während seiner langjährigen Tätigkeit als Hochschullehrer nicht nur um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern zugleich – und bis heute – auch darum, den Wissensstand der Biologie verständlich weiter zu geben.
Wer mehr über das Vogelleben erfahren will, ist beim ihm daher genau richtig. Davon spricht bereits der Titel seines Buches: Wie funktioniert ein Vogel?
Sich über einen attraktiv gefiederten Vogel zu freuen, eine Rarität in der heimischen Vogelwelt zu entdecken oder einen Greif, der sich gerade auf Beute stürzt, zu beobachten, ist an sich schon etwas Tolles und bereichert unseren Alltag. Mit der Zeit tauchen beim Vogelbeobachten oder neudeutsch „Birding“ jedoch allerlei – und mit der Zeit immer neue – Fragen auf. Viele davon kann dieses Büchlein auf rund 150 Seiten anschaulich beantworten.
Damit der Vogel fliegt
Ein zentrales Thema ist selbstverständlich der Vogelflug. Wie funktioniert er, und welche anatomischen Voraussetzungen machen ihn überhaupt möglich? Davon berichtet Hans-Heiner Bergmann ausführlich und erklärt die Zusammenhänge in lesenswerten Texten, die mit Fotos und Grafiken angereichert sind.
Ohne Frage macht es Sinn, leichte Knochen zu haben, wenn man wie ein Vogel vom Erdboden oder vom Wasser aus abheben will. Wie dieses Erfordernis bei Vögeln umgesetzt ist, beschreibt der Autor äußerst griffig: Ihre Knochen sind luftiger als Säugetierknochen. Viele sind gewissermaßen hohl und nicht mit Knochenmark ausgefüllt – wie bei uns Menschen. Stabil sind sie dennoch, und zwar durch allerlei Verstrebungen. Festigkeit muss unbedingt sein, denn kräftige Muskeln setzten an Knochen wie dem Brustbein an und sorgen dafür, dass die Flügel auf- und abschwingen.
Wir erfahren beim Lesen, dass Vögel unterschiedliche Arten des Fliegens entwickelt haben, wobei manche mehr Kraft erfordern als andere.
Wer zum Beispiel wie Adler, Geier und Bussarde den Segelflug nutzt, verbraucht beim Fliegen wenig Energie. Aber um überhaupt segeln zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein; zum Beispiel sind große, breite Flügel günstig. Auch muss der segelnde Vogel lernen, die Thermik geschickt zu nutzen. Er lässt sich von Aufwinden hochtreiben.
Auch der Gleitflug ist eine „bequeme Art des Vorwärtskommens in der Luft“ schreibt Hans-Heiner Bergmann. Dabei wird die Form des leicht gebogenen Flügels ausgenutzt, wodurch ein Sog nach oben entsteht. Weil der in der Regel nicht dauerhaft ausreicht und allmählich Höhe verloren geht, muss der Vogel von Zeit zu Zeit mit den Flügeln auf- und abschlagen. Man nennt dies auch Schlagflug, Aktivflug oder Kraftflug.
Der Rüttelflug lässt sich am besten bei Turmfalken beobachten. Der Vogel steht praktisch in der Luft und schlägt permanent mit den Flügeln. Sofern möglich, positioniert er sich gegen die Windrichtung und gleicht Verdriftungen mit der Körperhaltung aus. Nur der Kopf hält seine Position und steht absolut fest. Auch den Kolibriflug erwähnt der Zoologe Bergmann. Und als eine weitere Technik, beim Fliegen Energie zu sparen, stellt er den Formationsflug vor. Der ist bei ziehenden Kranichen und Gänsen besonders gut zu beobachten. Die Linien- und V-Formation hilft, die Herausforderung ausgedehnter Flugstrecken in der Gruppe Kräfte schonend zu verteilen.
Eingehend beschäftigt sich Hans-Heiner Bergmann auch mit dem Federkleid der Vögel, etwa dem Aufbau, den Farben und dem Wechseln der Federn. Das verwundert nicht, denn er hat mit Das große Buch der Vogelfedern ein Fachbuch für Interessierte verfasst.
Wie der Vogel lebt
Das Verhalten der Vögel wirft viele Fragen auf. Im Winter möchte man zum Beispiel gerne wissen, „Warum dem Vogel die Füße nicht erfrieren“. So und nicht anders lautet auch eine Kapitelüberschrift in Wie funktioniert ein Vogel? Trockener klingt hingegen die Kapitelüberschrift „Die Nahrung der Vögel“, und doch ist auch hier viel Spannendes zu entdecken. Wir erfahren etwa, wie Vögel hartschalige Nüsse knacken, wie sie Fische fangen, das Fleisch aus einer Schnirkelschnecke lösen, und was der Speiballen einer Eule verrät.
Jedes Tier braucht Sinnesorgane, um in seinem jeweiligen Lebensraum klar zu kommen. Wie also sind sie beim Vogel ausgebildet, was leisten sie – auch im Vergleich zum Menschen? Hans-Heiner Bergmann erklärt an vielen Beispielen, wie und was Vögel sehen, auf welche Entfernung ihre Augen scharf stellen können, ob sie riechen können und was es mit dem Magnetkompass beziehungsweise Magnetsinn auf sich hat. Manche Themen werden nur gestreift, andere ausführlicher behandelt.
In dem Kapitel „Geschicklichkeit, Gedächtnis, Verstand, Einsicht“ fokussiert der Zoologe auf die Krähenverwandtschaft. Denn Arten wie Dohlen, Kolkraben und Eichelhäher gelten – neben den Papageien – schon lange als die klügsten Vögel. Was das heißt, leuchtet rasch ein: Werkzeuge herstellen und gebrauchen, Vorräte anlegen und verstecken, wenn Zeit ist spielen und gegebenenfalls leidenden Artgenossen Empathie entgegenbringen.
Vom Singen und Rufen
Der bioakustisch versierte Autor räumt den Lautäußerungen von Vögeln aus gutem Grund viel Raum ein. Denn die innerartliche Verständigung erfolgt bei ihnen weitgehend akustisch, da die Mimik als Signalgeber ausfällt. Zwar spielen Körperhaltungen durchaus eine Rolle, aber vor allem der Gesang und die Rufe dienen der Kommunikation. Während die gesangliche Aktivität von der Jahreszeit abhängt, hormonell getriggert ist und der Verpaarung inklusive der Revierbesetzung dient, sorgen Rufe hauptsächlich für die rasche Information, etwa bei Gefahr.
Die Grundstrukturen des arttypischen Gesangs sind jedem Vogel in die Wiege gelegt, werden aber durch Lernen weiter entwickelt und verfeinert. Darum lassen sich Singvögeln wie Nachtigall und Amsel individuell am Gesang unterscheiden. Die Rufe der Vögel sind hingegen in ihrer jeweiligen Form starrer, arttypisch und weitgehend angeboren. Allerdings gebe es regionale Unterschiede, betont Hans-Heiner Bergmann.
An vielen Beispielen macht das Buch deutlich, wie sich Vögel verständigen, übrigens auch über Artgrenzen hinweg. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit der Fortpflanzung, mit der Körperpflege, dem Weg- und Heimzug, dem Schutz und der Gefährdung von Vögeln. Und es bleibt die bange Frage: Wie können wir die Gefiederten schützen, statt ihre Existenz weiter durch Vogelfang und Jagd, durch Pestizide, Glasfronten, Lärm und Licht zu bedrohen.
Hans-Heiner Bergmann ist ein kondensierter und zugleich anschaulicher Überblick über die Biologie der Vögel gelungen. Schön, dass am Ende des Buches spezielle Literatur genannt wird und ein Stichwortverzeichnis mit Schlagwörtern sowie den Namen der erwähnten Vogelarten zu finden ist.
Wie funktioniert ein Vogel?
Autor: Hans-Heiner Bergmann
Verlag: Quelle & Meyer
Jahr: 2022
0 Kommentare