Welcher Vogel kann das sein, auf den so gegensätzliche Zuschreiben passen wie „Frühlingsbote” und „Parasit”? Der also einerseits mit Freude wahrgenommen wird, und dessen Verhalten andererseits durchaus Abscheu erregt? Natürlich der Kuckuck, genauer Cuculus canorus. Ihm haben vier Kuckucksexperten ein phantastisches Buch gewidmet: Der Kuckuck. Gauner der Superlative.
Der Kuckuck, den wir in Deutschland als Frühlingsboten ab Ende April begrüßen, ist nur eine Art von weltweit 150 verschiedenen Kuckucksarten. Sie bilden eine eigene systematische Ordnung, die Cuculiformes.
Rund 50 dieser Kuckucksarten vermehren sich parasitisch, das heißt sie schieben anderen Vogelarten, die auch gerade dem Brutgeschäft nachgehen, ihre Eier unter und überlassen diesen unfreiwilligen Wirtsarten das Ausbrüten der fremden Eier. Zugleich müssen die Wirtseltern die Rundumversorgung der Kuckucksjungen übernehmen; sie können quasi nicht anders.
Hören ist leicht, sehen schwierig
Es gibt viele Menschen, die schon einen Kuckuck gehört haben, aber vergleichsweise wenige haben ihn gesehen. Meist schießt er dann als grauer Pfeil aus einer Baumgruppe heraus und in die nächste hinein. Und es bleibt nur der Eindruck: Da war was!
Manchmal haben wir Glück und entdecken einen Kuckuck auf einer Baumspitze oder einer anderen Warte sitzen. Vermutlich ist er auf Brautschau. Ansonsten bleibt uns das sporadische Eheleben des Frühlingsboten verborgen.
Nur wenige Menschen haben beobachtet, wie ein Kuckuckspaar in Sekundenschnelle kopuliert, wie das Weibchen ein fremdes Nest für seine Eier auswählt, wie es bei der Eiablage den Wirtsvogel austrickst, und wie später das frisch geschlüpfte Kuckuckskind störende Eier und Jungen seines Wirtes aus dem Nest befördert. Nach getaner Arbeit ist dieser blinde, nackte Vogel der Kronprinz beziehungsweise die Kronprinzessin und wird förmlich bis zum Umfallen von den Wirtseltern gefüttert.
Von all dem erzählt das Buch Der Kuckuck. Gauner der Superlative und führt uns Vieles, was normalerweise verborgen bleibt, mit exzellenten Fotografien vor. Oldrich Mikulica hat sie gemacht. Er ist ein Kenner des Kuckucks sowie seiner Wirtsvögel, und ein begnadeter Tierfotograf ist er auch. Fast alle Fotos entstanden an traditionsreichen Fischteichen in Südmähren – über Jahre hinweg.
Kuckuck: seltene Fotos vom Brutparasit
Und so sehen wir nun endlich, wie ein Kuckucksweibchen im Schilf auf seine Gelegenheit wartet, ein Ei in das Nest eines Teich- oder Drosselrohrsängers zu legen, wie sie kurz vor der eigenen Eiablage ein bereits gelegtes Ei des Wirtes frisst oder anderweitig mit dem Schnabel entsorgt (siehe Foto auf dem Buchdeckel), wie der junge Kuckuck sich aus dem Ei quält, und wie er kurz darauf die Eier und Jungvögel seiner Wirtseltern ins Jenseits befördert.
Es sieht geradezu gespenstisch aus, wenn dieser kleine, alienartige Vogel die Konkurrenz rückwärts über den Nestrand schiebt. Allein die Vorstellung löst bei vielen Menschen Abscheu aus; und in diesem Buch haben wir sogar die Bilder dazu.
Aber dafür, dass es nicht bei der Abscheu bleibt, sorgt der kluge Begleittext, hinter dem drei Namen stehen: der Zoologieprofessor Tomáš Grim aus Tschechien, der Norweger Bård Gunnar Stokke mit seiner Expertise in Naturschutzbiologie und Evolutionsökologie, schließlich der Ornithologe und Mediziner Karl-Schulze-Hagen aus Mönchengladbach, der nicht nur die Kuckucke und ihre Wirtsvögel jahrelang studiert hat, sondern durch viele Publikationen die deutsche Ornithologie bereichern konnte.
Spannende, verständliche Informationen
Bei so viel Fachwissen droht eine Überfrachtung des Textes und unverständliches Formulieren. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Es ist gelungener Wissenschaftsjournalismus, wie uns in diesem Buch der Kuckuck vorgeführt und der Brutparasitismus als Überlebensstrategie diverser Vogelarten – nicht nur der Kuckuck kann das – nahegebracht wird.
Dass dort, wo der Kuckuck ruft – singt muss es eigentlich heißen, erklären die Autoren – oft Schilf und also Rohrsänger in der Nähe sind, ist keine neue Information, aber wir erfahren eben auch, dass es in unserer Kuckuckspopulation verschiedene Linien gibt, auch Gens (Pl. Gentes) genannt. Die Zugehörigkeit legt mehr oder minder fest, welcher Vogelart die Kuckucksdame versucht, ihre Eier unterzujubelt.
Das wiederum hat damit zu tun, dass die Kuckuckseier in dem Nest der Wirte ja möglichst so aussehen sollen, wie deren eigene Eier. Und das tun sie in der Tat: Bei manchen Kuckuckslinien sind die Eier gesprenkelt und ähneln schon dadurch den Eiern des parasitierten Wirtes, etwa dem Drossel-, Schilf- oder Teichrohrsänger. Bei einer anderen Linie ist das Ei so schlicht blau gefärbt wie beim Gartenrotschwanz.
Um das zu illustrieren, hat Oldrich Mikulica zahlreiche Fotos zur Verfügung gestellt, die gemischte Gelege zeigen. Immer ist das Kuckucksei etwas größer als die Wirtseier, aber farblich – also im Musterzauber – ist es optimal angepasst. Das ist der Evolution geschuldet und klappt deshalb, weil die Eifärbung genetisch programmiert ist. Sie wird von Weibchen zu Weibchen vererbt.
Aber woher weiß die Kuckucksdame, welcher Vogel welche Eier legt und in welches Gelege ihre Eier passen? Beruht das auf Gesangsprägung in den ersten Lebenstagen? Oder auf einer Habitatprägung? Diese und andere Fragen werden von den Autoren ausführlich und spannend erörtert.
Nachdenkliche Anschlussfragen
Natürlich enthält das Buch auch wunderbare Fotos von dem „fetten“ jungen Kuckuck und seinem orange-roten Sperrrachen, der die vergleichsweise zarten Wirtseltern animiert, ihn zu füttern. Warum das gelingt, was ein überoptimaler Reiz ist und warum die Wirtseltern nicht einfach abhauen oder, grob gesagt, denken: „Leck mich am Arsch, du sonderbares Riesenkind“, das vermitteln die Autoren übrigens auch.
Vielleicht abschließend noch das, und es ist ein Punkt, der mich beschäftigt hat: Das Buch erschien bereits 2017, und leider hat es der Kosmos-Verlag aus dem Programm genommen. Doch es ist wissenschaftlich höchst aktuell. Nur: Wenn ich heute – in diesen verstörenden Kriegszeiten – bei evolutionsbiologischen Themen von Wettrüsten lese, macht mich das nachdenklich.
Allerdings ist dieser Sprachgebrauch in der Evolutionsbiologie üblich und die Wortwahl nicht völlig falsch. Es geht im Rahmen der Evolution um die beste Strategie. Es geht um Leben und Tod. Der Kuckuck versucht, seine Fortpflanzungsstrategien zu optimieren, denn die Wirtsarten wehren sich auf vielerlei Weise dagegen, parasitiert zu werden: Zum Beispiel kommt es zu Kämpfen und Verletzungen, wenn etwa Drosselrohrsänger ein legebereites Kuckucksweibchen verscheuchen.
Manchmal lassen Wirtseltern einen jungen Kuckuck sogar verhungern. Erkennen sie ihn als fremd? Bemerken sie, dass der artfremde Zögling viel länger braucht als eigene Kinder, um flügge zu werden? Und weiter: Warum entdecken Wirtseltern manchmal das gefährliche Kuckucksei in ihrem Nest und manchmal nicht? Warum betreuen sie den anspruchsvollen jungen Kuckuck weiter, wenn es das Nest verlassen hat …
Das und vieles Andere sind Fragen, die in Der Kuckuck. Gauner der Superlative gestellt und erörtert werden. Sachkundig und anschaulich berichten die Autoren auch überblicksartig von biologischen Experimenten. Und wir staunen!
Der Kuckuck
Autoren: O. Mikulica, T. Grim, K. Schulze-Hagen, B. G. Stokke
Jahr: 2017
Verlag: Kosmos (erhältlich in Bibliotheken, im Internet, bei spezialisierten Anbietern, im Antiquariat)
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