Federnlesen

Auf dem Cover des Vogelbuches "Federlesen" sitzt ein Grünspecht mit roter Haube am Stamm.Welch ein Buch! Johanna Romberg, die feinsinnige Autorin von Federnlesen, ist für die Zeitschrift GEO seit langem in Sachen Natur unterwegs, und Artikel von ihr lese ich neuerdings regelmäßig auf der Website der Flugbegleiter. Und nun dieses außergewöhnliche Sachbuch, für das ich endlich Zeit hatte. – Ich will es gleich vorweg sagen: Mit den Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken habe ich ab sofort kein Problem. Von nun an gibt es Federnlesen zum Lesen. Sei es als Printausgabe oder als E-Book.

Ich muss diese Begeisterung natürlich begründen. Und das ist ganz einfach: Johanna Romberg schreibt mir aus dem Herzen. Und, sie komponiert einen wunderbar fließenden Text, indem sie uns einfach mitnimmt, etwa auf ihren Balkon in einem Örtchen in der Lüneburger Heide, zu Ausflügen in die Schorfheide bei Chorin oder an den Niederrhein, zu vielen kundigen Interviewpartnern. Und dann erzählt sie uns über das Vogelleben all das, was sie bereits weiß oder gerade dazugelernt hat, greift dabei mal den einen, mal den anderen Aspekt auf.

So verrät sie, wie sich ihre Faszination für Vögel entwickelt hat und welche Bedeutung ihr erstes Bestimmungsbuch „Was fliegt denn da?“ dabei hatte. Wir erfahren, wie sich das Glück beim Vogelbeobachten einstellt und welche Pfade ihr Vater, ein Lehrer, mit seinen akribischen Aufzeichnungen von den gemeinsamen Wanderungen vermutlich gelegt hat.

Während die Autorin einerseits von einem Vogel wie der Feldlerche erzählt, liefert sie ganz nebenbei vielfältige Sachinformationen. Nützlich für alle, die mehr über ihre Vögel vor der Haustür erfahren möchten. Ich nenne nur den Brutvogelatlas ADEBAR, www.ornitho.de für die tagesaktuelle Verbreitung von Vogelarten und xeno-canto.org für die Identifikation von Vogelstimmen.

Neben der Faszination auch Kritik

Unverzichtbar sind die durchaus kritischen Anmerkungen der Autorin zu der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft – und vor allem die Politik – in der Agrar- und Energiewirtschaft den Fokus auf schnellen Profit setzt. Johanna Romberg beschreibt bei all ihrem Herzschmerz bewundernswert entspannt und anschaulich, was das für die Natur insgesamt und für die Vogelwelt insbesondere bedeutet. Und sie zeigt Wege auf, wie wir aus dem Dilemma der Interessenkonflikte herauskommen könnten.

Aber keine Angst, dieses ist kein Buch, in dem uns ständig vorgerechnet wir, wie viele Rotmilane alljährlich von Windkraftanlagen zerschreddert werden, warum die Population der Kiebitze so stark zurückgegangen ist oder dass Schwarzspechte kein Zuhause finden, wenn dafür die mächtigen Stämme alter Baumriesen fehlen. Nein, hier geht es vornehmlich um das Glück, Vögel zu beobachten, ihrem Gesang zu lauschen und sie im Garten oder auf einer Wanderung wiederzuerkennen.

Um den Reichtum dieses Buches zu illustrieren, ein paar Passagen.

Am Beispiel von Amsel und Star führt Johanna Romberg vor, wie wichtig die Verhaltensweisen bei der Vogelbestimmung sind (Seite 93):

Beide Vögel sehen sich auf den ersten Blick und von Weitem, ziemlich ähnlich: Sie sind fast gleich groß, haben mehr oder weniger tiefschwarzes Gefieder, und einen gelben Schnabel. Trotzdem … Schwarzdrosseln, wie die Amseln auch heißen, bewegen sich fast nur hüpfend vorwärts, in Schlusssprüngen, bei denen beide Beine gleichzeitig abheben und landen. Und nach jeder Hüpfserie verharren sie eine Moment fast regungslos, den Kopf wachsam erhoben, während der Schwanz sich langsam hebt und wieder senkt. Stare dagegen sind fast ständig in Bewegung; sie hüpfen nie, sondern schreiten ein Bein vors andere, gemächlich, aber stetig, den Blick zu Boden gerichtet, und sie halten nur inne, um mit dem Schnabel kurz nach einer Insektenlarve zu stochern.

Ein andermal geht es der Autorin darum, dass Vögel durchaus individuelle Persönlichkeiten sind, die je nach Lebensraum und Herkunft unterschiedliche Dinge lernen und anwenden – wie zum Beispiel der Mäusebussard (Seite 193):

Es gibt Bussarde, die ihren Hauptjob, das Mäusejagen, teilweise aufgegeben haben, und sich auf das Einsammeln verendeter Fische spezialisieren, weil es in der Nähe ihrer Horste gut bestückte Teiche gibt. Andere leisten lieber Wachdienste an der Autobahn, weil sie dort (…) „ihr Gulasch frisch serviert kriegen“. So der O-Ton des Bussard-Experten Oliver Krüger, den Johanna Romberg interviewt hat.

In einem anderen Passus beschreibt sie das, was ich mal als meditatives Element der Vogelbeobachtung bezeichnet habe (Seite 287):

Beim Beobachten, ob mit Augen oder Ohren, lenkt man ja die eigene Aufmerksamkeit zwangsläufig nach außen, weg von den eigenen Befindlichkeiten hin zu dem, was gerade neben dem Weg singt oder aus dem nächsten Busch auffliegt. Man ist auf wunderbare Weise ganz bei sich. Und doch völlig woanders, abgelenkt und abgehoben von allem, was einem gerade auf der Seele liegt. Etwas Wohltuenderes, Heilsameres kann ich mir kaum vorstellen.

Natürlich geht es in Federnlesen immer wieder um den Vogelgesang und wie man sich die arttypischen Rufe und Melodien merken kann. Dazu eine Passage, die mich schmunzeln ließ (Seite 33):

Wenn man den Dompfaff in einem Busch hocken sieht, bullig, schwarzköpfig, dickschnabelig, das Männchen mit leuchtend kardinalrotem Bauch, dessen Farbe es den Namen „Dompfaff“ verdankt und der aufgeplustert fast wie ein Wamst aussieht – wenn man das sieht, erwartet man einen Ruf, der schmetternd und sonor klingt, so wie das Organ eines Domherren, das von der Kanzel bis in die hintersten Kirchenbänke dringt. Stattdessen kommen zwei zarte Pfeiftönchen, denn der Vogel hat geradezu eine Fistelstimme.

Auch die Gesangsartisten kommen bei Johanna Romberg zu Wort. Betörend findet sie den Gesang der Heidelerche (Seite 261):

Er ist so flötenhaft klar und melodisch, dass man ihn, anders als die meisten Vogelstimmen, ohne Weiteres in Notenschrift aufzeichnen könnte: eine Reihe ebenmäßiger Achtelnoten, die in zickzackförmigen Terzsprüngen sanft abwärts fällt.

Hier offenbart sich, dass die Autorin von Federnlesen nicht nur langjährige GEO-Reporterin ist, sondern außer Hispanistik auch Schulmusik studiert hat.

Den Verlag möchte ich unbedingt auch loben. Dieses Buch ist wunderbar illustriert, eingesprenkelt sind kleine, dezent abgesetzte Kapitel mit der Überschrift „Zugeflogen“ und am Ende sogar noch das: gutsortierte Lesehinweise und ein zuverlässiges Schlagwortregister mit allen gefiederten Kumpanen dieses 300 Seiten starken Sachbuchs. Merci!

 

Federnlesen
Vom Glück, Vögel zu beobachten
Autorin: Johanna Romberg
Verlag: Lübbe Köln
Jahr: 2018 (1. Aufl.)



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