Von der Nachtigall

grau-weiß gezeichnete Nachtigall auf blauem Grund. Der Titel in einem Orangeton.Es ist eigentlich überfällig: Ein Buch über die Nachtigall, das unterhaltsam von der Biologie des kleinen Singvogels berichtet und en passant die zahlreichen Legenden, die sich um die Nachtigall ranken, erörtert. Und wer ist denn besser geeignet, davon zu schreiben, als Silke Kipper. Sie ist eine der Forscherinnen aus dem langjährigen Nachtigall-Projekt an der Freien Universität Berlin, das die Verhaltensbiologen Dietmar Todt und Henrike Hultsch ins Leben gerufen und über Jahrzehnte mit unzähligen Beobachtungen, Tonaufnahmen, Videos und gezielten Experimenten gefördert und flankiert haben.

Das Büchlein Die Nachtigall ist keine schwülstige Hommage an die großartige Sängerin, stattdessen bietet die Autorin uns einen eher nüchternen, manchmal auch schalkhaften Blick auf den äußerlich unscheinbaren Vogel mit beeindruckender Stimme. Übrigens ist er ein Vertreter der Familie der Fliegenschnäpper oder Muscicapidae.

Und da geht es schon los mit der Nüchternheit, der ungemein wertvollen Sachlichkeit: Die Nachtigall ein Fliegenschnäpper wie etwa der Trauerschnäpper? Früher wurde sie in die Familie der Drosseln Turdidae eingereiht, aber das ist seit 2010 Geschichte. Gleich im ersten Buchabschnitt – einem von drei – erfahren wir, dass als Folge von modernen DNA-Analysen die Verwandtschaftsbeziehungen von Vogelarten vielfach neu gedacht werden müssen. Und wir erfahren, wie sich das ganze Umsortieren wegen neuer genetischer Daten auf die biologisch-wissenschaftliche Namensgebung, die Nomenklatur, auswirkt.

Immerhin konnte die Nachtigall aus guten Gründen ihren deutschen Artnamen behalten und den wissenschaftlichen, Luscinia megarhynchos, auch. Aber was ist mit der Bezeichnung Philomele? Um das zu erklären, nimmt uns Silke Kipper mit in die irritierende Mythologie der griechischen Antike. Warum auch nicht!

Bevor es im letzten Buchabschnitt um das Zusammenspiel von Mensch und Nachtigall geht, zumal um die Rolle ihres Gesangs in Musik und Dichtung, handelt der Mittelteil von nichts weniger als der Biologie des Vogels, seinem Gesang und den Möglichkeiten biologischer Forschung.

Langstreckenzieher: einmal Westafrika und zurück

Unauffällig ist der 22 Gramm leichte Zugvogel, der Ende April in Berlin und anderswo eintrudelt. Attraktiv für Menschen und Vogelweibchen macht ihn sein Gesang. Aber wer hätte das vermutet: Die Vögel, die mit so viel Engagement ein Weibchen anlocken, haben in ihrem Eheleben mehr Abwechslung als gedacht. Davon kann Silke Kipper gewissermaßen ein Lied singen. Über 20 Jahre war sie zusammen mit anderen Biologen und Biologinnen dem Gesangs-, Paarungs- und Brutverhalten der Nachtigall auf der Spur; vor allem im Treptower Park von Berlin und nahe Potsdam. Von wegen monogam

Die Biologin führt uns den typischen Jahreszyklus einer Nachtigall, die nur ein Drittel des Jahres bei uns verbringt, beispielhaft vor Augen, und sie erklärt in diesem Zusammenhang, wie weit die Zugvogelforschung dank Miniaturisierung der Technik heute bereits ist. Natürlich sind auch die Risiken des Langstreckenziehers auf seinem Weg nach Westafrika und zurück ein Thema. Und ebenso natürlich: Silke Kipper kritisiert die unsägliche

… Aufräumwut in städtischen Parks und privaten Kleingärten.

Denn die Nachtigall braucht das buschige, unübersichtliche Gewirr von Zweigen und Blattwerk für sich und ihr bodennahes Nest.

Wie die Nachtigall singt

Der ausführliche Abschnitt zum Gesangsverhalten der Nachtigall ist überschrieben mit Gesang – von wegen Liebesduett … Hier wird also keinesfalls nur geflötet und gewehklagt, sondern das Buch bleibt informativ und sachlich.

Vogel mit weit geöffnetem Schnabel auf einem Ast
Nachtigall (Luscinia megarhynchos, Foto: © Elke Brüser)

Wir erfahren so Spannendes über die physikalischen Eigenschaften des Gesangs, über seine Produktion, den regelhaften Aufbau und auch darüber, wie Forschende es schaffen, die vielen komplex strukturierten Strophen der Nachtigall zu analysieren und zu identifizieren.

Das wiederum ist nicht nur nötig, um zu ermitteln, welche Gesänge die Weibchen bei der Gattenwahl bevorzugen und wie die männlichen Rivalen untereinander vokal interagieren – also gegeneinander ansingen, bevor es zu „Handgreiflichkeiten” kommt –, sondern es ist auch nötig, um zu untersuchen Wie die Nachtigall ihre Lieder lernt.

Genauso lautet ein eigenes Kapitel, in dem Silke Kipper von raffinierten Lernexperimenten mit handaufgezogenen, Tag und Nacht umsorgten Nachtigallen berichtet. Die Ergebnisse lassen erahnen, wie komplex so ein kleines Vogelgehirn strukturiert ist und arbeitet. Und es wird deutlich, wie unterschiedlich das Lautrepertoire und Gesangsverhalten von diversen Vogelarten ist.

Während die Blaumeise nur sehr schlichte Strophen aus wenigen Elementen zuwege bringt, sind es bei der Nachtigall an die 200 Strophentypen, die ihrerseits vielschichtig strukturiert sind. Gute Sänger haben ein Repertoire von sogar 220 Strophen, die sie auf die eine oder andere Weise aneinanderreihen können. Um so weit zu kommen, müssen Jungvögel jedoch dem Vater und anderen Männchen unbedingt gut zuhören. Denn wer nicht lernt bleibt dumm – oder singt nur nach Kaspar-Hauser-Art, also nur was vererbt ist und ohne sozialen Input möglich ist.

Dies und noch viel mehr steht in dem von Nils Hoff anregend illustrierten Buch Die Nachtigall. Silke Kipper hat zum Gesang der Nachtigall, wie er verfeinert wird und welche Faktoren ihn beeinflussen, jahrelang geforscht. Solcherlei Fragen waren auch das Thema ihrer Habilitation an der FU Berlin. Und, der variable und kraftvolle Gesang begeistert sie bis heute.


Bis 1986 habe ich an demselben FU-Institut gearbeitet wie Silke Kipper, die mehr als 10 Jahre später in die Bioakustik-Arbeitsgruppe kam. Kennengelernt habe ich sie daher nicht. Und mein Arbeitsbereich innerhalb der Verhaltensbiologie hatte damals – außer im Konzeptionellen – wenig mit dem Vogelgesang zu tun.


Die Nachtigall
Autorin:  Silke Kipper
Jahr:      2022
Verlag:   Insel



Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare zu “Von der Nachtigall

  1. Danke für die Rezension des Buches von Silke Kipper – ich werde es gleich morgen bei meinem Buchhändler bestellen. Gerade habe ich mir die Ausführungen Kippers zu ihren Forschungen in der (großartigen !!) Langen Nacht über Singvögel des Deutschlandfunks nochmals angehört. Dass Kipper über ihre langjährige Arbeit jetzt ein illustriertes Buch herausgegeben hat (zum Beginn der Nachtigallensaison) freut mich sehr. Ich kann kaum erwarten, es zu erhalten und zu lesen.
    Dank für diese Anregung!!

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