Von der Nachtigall

22. April 2022 | Vogelbücher | 2 Kommentare

grau-weiß gezeichnete Nachtigall auf blauem Grund. Der Titel in einem Orangeton.Es ist eigentlich überfällig: Ein Buch über die Nachtigall, das unterhaltsam von der Biologie des kleinen Singvogels berichtet und en passant die zahlreichen Legenden, die sich um die Nachtigall ranken, erörtert. Und wer ist denn besser geeignet, davon zu schreiben, als Silke Kipper. Sie ist eine der Forscherinnen aus dem langjährigen Nachtigall-Projekt an der Freien Universität Berlin, das die Verhaltensbiologen Dietmar Todt und Henrike Hultsch ins Leben gerufen und über Jahrzehnte mit unzähligen Beobachtungen, Tonaufnahmen, Videos und gezielten Experimenten gefördert und flankiert haben.

Das Büchlein Die Nachtigall ist keine schwülstige Hommage an die großartige Sängerin, stattdessen bietet die Autorin uns einen eher nüchternen, manchmal auch schalkhaften Blick auf den äußerlich unscheinbaren Vogel mit beeindruckender Stimme. Übrigens ist er ein Vertreter der Familie der Fliegenschnäpper oder Muscicapidae.

Und da geht es schon los mit der Nüchternheit, der ungemein wertvollen Sachlichkeit: Die Nachtigall ein Fliegenschnäpper wie etwa der Trauerschnäpper? Früher wurde sie in die Familie der Drosseln Turdidae eingereiht, aber das ist seit 2010 Geschichte. Gleich im ersten Buchabschnitt – einem von drei – erfahren wir, dass als Folge von modernen DNA-Analysen die Verwandtschaftsbeziehungen von Vogelarten vielfach neu gedacht werden müssen. Und wir erfahren, wie sich das ganze Umsortieren wegen neuer genetischer Daten auf die biologisch-wissenschaftliche Namensgebung, die Nomenklatur, auswirkt.

Immerhin konnte die Nachtigall aus guten Gründen ihren deutschen Artnamen behalten und den wissenschaftlichen, Luscinia megarhynchos, auch. Aber was ist mit der Bezeichnung Philomele? Um das zu erklären, nimmt uns Silke Kipper mit in die irritierende Mythologie der griechischen Antike. Warum auch nicht!

Bevor es im letzten Buchabschnitt um das Zusammenspiel von Mensch und Nachtigall geht, zumal um die Rolle ihres Gesangs in Musik und Dichtung, handelt der Mittelteil von nichts weniger als der Biologie des Vogels, seinem Gesang und den Möglichkeiten biologischer Forschung.

Langstreckenzieher: einmal Westafrika und zurück

Unauffällig ist der 22 Gramm leichte Zugvogel, der Ende April in Berlin und anderswo eintrudelt. Attraktiv für Menschen und Vogelweibchen macht ihn sein Gesang. Aber wer hätte das vermutet: Die Vögel, die mit so viel Engagement ein Weibchen anlocken, haben in ihrem Eheleben mehr Abwechslung als gedacht. Davon kann Silke Kipper gewissermaßen ein Lied singen. Über 20 Jahre war sie zusammen mit anderen Biologen und Biologinnen dem Gesangs-, Paarungs- und Brutverhalten der Nachtigall auf der Spur; vor allem im Treptower Park von Berlin und nahe Potsdam. Von wegen monogam

Die Biologin führt uns den typischen Jahreszyklus einer Nachtigall, die nur ein Drittel des Jahres bei uns verbringt, beispielhaft vor Augen, und sie erklärt in diesem Zusammenhang, wie weit die Zugvogelforschung dank Miniaturisierung der Technik heute bereits ist. Natürlich sind auch die Risiken des Langstreckenziehers auf seinem Weg nach Westafrika und zurück ein Thema. Und ebenso natürlich: Silke Kipper kritisiert die unsägliche

… Aufräumwut in städtischen Parks und privaten Kleingärten.

Denn die Nachtigall braucht das buschige, unübersichtliche Gewirr von Zweigen und Blattwerk für sich und ihr bodennahes Nest.

Wie die Nachtigall singt

Der ausführliche Abschnitt zum Gesangsverhalten der Nachtigall ist überschrieben mit Gesang – von wegen Liebesduett … Hier wird also keinesfalls nur geflötet und gewehklagt, sondern das Buch bleibt informativ und sachlich.

Vogel mit weit geöffnetem Schnabel auf einem Ast

Nachtigall (Luscinia megarhynchos, Foto: © Elke Brüser)

Wir erfahren so Spannendes über die physikalischen Eigenschaften des Gesangs, über seine Produktion, den regelhaften Aufbau und auch darüber, wie Forschende es schaffen, die vielen komplex strukturierten Strophen der Nachtigall zu analysieren und zu identifizieren.

Das wiederum ist nicht nur nötig, um zu ermitteln, welche Gesänge die Weibchen bei der Gattenwahl bevorzugen und wie die männlichen Rivalen untereinander vokal interagieren – also gegeneinander ansingen, bevor es zu „Handgreiflichkeiten” kommt –, sondern es ist auch nötig, um zu untersuchen Wie die Nachtigall ihre Lieder lernt.

Genauso lautet ein eigenes Kapitel, in dem Silke Kipper von raffinierten Lernexperimenten mit handaufgezogenen, Tag und Nacht umsorgten Nachtigallen berichtet. Die Ergebnisse lassen erahnen, wie komplex so ein kleines Vogelgehirn strukturiert ist und arbeitet. Und es wird deutlich, wie unterschiedlich das Lautrepertoire und Gesangsverhalten von diversen Vogelarten ist.

Während die Blaumeise nur sehr schlichte Strophen aus wenigen Elementen zuwege bringt, sind es bei der Nachtigall an die 200 Strophentypen, die ihrerseits vielschichtig strukturiert sind. Gute Sänger haben ein Repertoire von sogar 220 Strophen, die sie auf die eine oder andere Weise aneinanderreihen können. Um so weit zu kommen, müssen Jungvögel jedoch dem Vater und anderen Männchen unbedingt gut zuhören. Denn wer nicht lernt bleibt dumm – oder singt nur nach Kaspar-Hauser-Art, also nur was vererbt ist und ohne sozialen Input möglich ist.

Dies und noch viel mehr steht in dem von Nils Hoff anregend illustrierten Buch Die Nachtigall. Silke Kipper hat zum Gesang der Nachtigall, wie er verfeinert wird und welche Faktoren ihn beeinflussen, jahrelang geforscht. Solcherlei Fragen waren auch das Thema ihrer Habilitation an der FU Berlin. Und, der variable und kraftvolle Gesang begeistert sie bis heute.


Bis 1986 habe ich an demselben FU-Institut gearbeitet wie Silke Kipper, die mehr als 10 Jahre später in die Bioakustik-Arbeitsgruppe kam. Kennengelernt habe ich sie daher nicht. Und mein Arbeitsbereich innerhalb der Verhaltensbiologie hatte damals – außer im Konzeptionellen – wenig mit dem Vogelgesang zu tun.


Die Nachtigall
Autorin:  Silke Kipper
Jahr:      2022
Verlag:   Insel

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare

  1. Danke für die Rezension des Buches von Silke Kipper – ich werde es gleich morgen bei meinem Buchhändler bestellen. Gerade habe ich mir die Ausführungen Kippers zu ihren Forschungen in der (großartigen !!) Langen Nacht über Singvögel des Deutschlandfunks nochmals angehört. Dass Kipper über ihre langjährige Arbeit jetzt ein illustriertes Buch herausgegeben hat (zum Beginn der Nachtigallensaison) freut mich sehr. Ich kann kaum erwarten, es zu erhalten und zu lesen.
    Dank für diese Anregung!!

    Antworten
    • Das passt ja alles wunderbar. Danke für Ihre Rückmeldung!

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Abo-Werbung für den Blog "Flügelschlag und Leisetreter" mit einem Specht, ein Kunstwerk von M. Garff

Vogelthema gesucht?

Gut sortiert

5 von 796 Kommentaren

Alle sind vollständig unter dem zugehörigen Blogbeitrag zu lesen.

  • Claudia zu Zwitschernde BlattwächterSind Waldlaubsänger als Bodenbrüter - wie die bodenbrütenden Nachtigallen - ebenfalls von frei laufenden Katzen bedroht, wenn sie im Umfeld von Siedlungen am Rand der Katzen-Reviere brüten? Welche and…
  • Annegret Völpel - König zu Schneewittchen & Co.Hallo, ich hatte gestern das Glück und konnte von meinem Wohnzimmerfenster aus einen weißen Mäusebussard sehen und fotografieren. Als er angeflogen kam, dachte ich erst an eine Eule. Beim näheren Hins…
  • Elke Brüser zu Wenn der Kranich ruftLeider kenne ich mich mit Krankheiten bei Vögeln wenig aus. Vielleicht können Sie einen Arzt oder eine Ärztin für Vogelkrankheiten erreichen, oder Sie versuchen es beim Kranichschutz Deutschland: +49…
  • Claudia Wegner zu Wenn der Kranich ruftBei uns im Oderbruch gibt es ein Kranichpaar, welches hier überwintert, jedes Jahr ein bis zwei Junge bekommt, auch jetzt sind sie wieder ganz nahe auf einer Brache bei der Futtersuche. Eines der beid…
  • Claudia Lochmann zu Die bodenständige AmmerSchöne Fotos und nun weiß ich, wer heute meine Futterstelle besucht hat. Fallen auf, nicht nur durch die Färbung, sondern auch, weil sie am liebsten am Boden herum picken. Nun kann ich 8 Exemplare mei…

Birding

Du ahnst es vielleicht schon: Im Wort Birding steckt der englische „bird“. Unter Vogelfreunden ist das ein Schlagwort für die Beobachtung der gefiederten Tierwelt – im Feld, wie man so schön sagt. Also draußen. Ein paar Anmerkungen dazu findest du → hier.

Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Drei dunkle Hausrotschwänze in einer Grafik. Links der weibliche Vogel rechts davon der männliche, beide mit roten Schwanzfedern. Der männliche Vogel ist an weißen Federn am Kopf und auf den Flügeln zu erkennen. Ganz rechts auf der Grafik und neben den Eltern ein dunkelbraun-grauer Jungvogel.

2025 Der Hausrotschwanz

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Drei schwarzköpfige Möwen im sogenannten Prachtkleid oder Brutkleid. In der Mitte steht die Lachmöwe mit orangerotem Schnabel und ebensolchen Beinen.

2025  Die Lachmöve

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

Cookie Consent mit Real Cookie Banner