Winterstörche nah und fern

24. Dezember 2016 | Große Vögel, Storchenleben | 1 Kommentar

Storchennest mit einem sitzenden. Darüber der Halbmond der Moschee. Storch

Storchennest unter dem Halbmond

Karte von Afrika, in der mit Vogelsymbolen eingetragen ist, wohin die Zugvögel ziehen. Der Storch ist z.B. in Südafrika eingezeichnet.

Der Weißstorch ist auf der Karte nahe Kapstadt eingezeichnet.

Was treiben unsere Störche im Winter, wenn die Brutzeit hierzulande beendet ist und die Jungstörche schon gut fliegen, starten und landen können?

In der Schule lernte ich, dass hiesige Störche im Herbst über die Straße von Gibraltar oder über den Bosporus nach Südafrika ziehen und im Frühjahr auf derselben Route zu uns zurückkommen. Das klang, als gäbe es daran wirklich nichts zu rütteln.

Später erfuhr ich jedoch, dass viele Störche, die Afrika auf der Westroute ansteuern, in Spanien überwintern, andere nicht weiter als bis Marokko fliegen.

Sie ergänzen dort die einheimischen Adebars, die im Frühjahr auf imposanten Moscheen, sterilen Elektromasten und vieltürmigen Berberburgen brüten. Häufig nistet dort nicht nur ein Storchenpaar pro Gebäude, sondern es wurden viele Nester nah beieinander gebaut. Ein solches kolonieartiges Brüten kennen wir bei uns nicht.

Alte und neue Reiseunlust

Und nun das: Mitten im Dezember veröffentlichen deutsche Tageszeitungen Bilder von Störchen im bayerischen Schnee, also von Störchen, die nicht wirklich nach Süden gezogen sind, sondern den Winter wohl diesseits der Alpen verbringen werden.

Solche Fotos und Titel wie „Schluss mit reiselustig“, sorgen derzeit für einiges Staunen. Auch bei mir. Allerdings ist das keine ganz neue Entwicklung. Schon 2015 blieben rund 200 Störche in Süddeutschland hängen. Dieses Jahr sind es 250, weiß der bayerische Landesverband für Vogelschutz (LBV), der die Geschichte von den Weißstörchen im Schnee publik gemacht hat.¹

Jetzt werden all die Storchexperten natürlich immer wieder gefragt, wie sie sich die neue Reiseunlust erklären können: Unter welchen Umständen lohnt es sich, einige tausend Kilometer Flug und eine Menge Energie zu sparen und sich diesseits der Alpen durchzuschlagen? Aber nichts Genaues weiß man. Außer … mehrere Faktoren spielen eine Rolle, wobei wohl mal die einen, mal die anderen bedeutsam sind.

  • Es wird nur selten dauerhaft so kalt wie früher. Und wenn der Frost nicht lange anhält, reicht das eigene Federkleid als Kälteschutz. Störche sind ja keine kleinen Singvögel, die rasch viel Wärme verlieren.
  • Auch im Winter finden Störche oft genug Fressbares, weil an milderen Tagen zum Beispiel viele Feldmäuse unterwegs sind.
  • Der Drang, Ende Juli nach Südosten oder Südwesten zu ziehen, hängt auch von sozialen Faktoren ab: Was machen die Kollegen und Kolleginnen? Bleiben einige Tiere am Standort, schließen sich andere oft an.
  • Störche aus Aufzuchtstationen wissen außerdem, wo es notfalls Futter gibt, und lassen sich womöglich nicht so stark von Artgenossen mitreißen, wenn der Wegzug ins Winterquartier beginnt.
Auf einer rosa-weißen Moschee steht ganz oben ein Storchennest.

Horst auf einer Moschee in Marokko

Man kennt die sogenannte Zugunlust auch umgekehrt: Manche Störche bleiben im Frühjahr in Afrika, südlich des Äquators und brüten dort.

Das schrieb der berühmte Ornithologe Erwin Stresemann bereits im Jahr 1943, berichtet Rudolf Mell (Der Storch, Neue Brehm-Bücherei, 1951), und es zeigt, wie flexibel dieses angeborene Verhalten ist.

Ich könnte an dieser Stelle eine lange Abhandlung darüber schreiben, wie falsch und wie verkürzt es ist, immer wieder einen Gegensatz von „angeboren“ und „erlernt“ aufzumachen.

Meist handelt es sich um angeborene Verhaltenstendenzen. Und es gibt eine Menge Schrauben, an denen die Umwelt drehen kann.

Dieser Einfluss von aktuellen Erfahrungen auf das angeborene Verhalten passen ein Tier erst richtig in seine Umwelt ein. Und das Zusammenspiel zählt zu den Kernfragen von Verhaltensbiologen, auch der ganz frühen wie Konrad Lorenz und Niko Tinbergen.

Diese jeweilige Feinjustierung macht Tiere in einer nicht-normierten Umwelt überlebensfähig und macht zugleich aus ihnen Individuen mit Eigenarten, Vorlieben, einer Geschichte.

Jedes Tier ein Individuum

Dass nicht alle Störche im Winter in den meist angenehm temperierten und nahrungsreichen Süden fliegen müssen, dämmerte mir das erste Mal, als ich Anfang Februar – wiedereinmal im Nuthe-Nieplitz-Niederung unterwegs – einem Storch begegnete. Er stand auf einem Horst, wohl in Erwartung eines Partners oder einer Partnerin.

Dieser frühe Horstbesetzer war Paulchen – wie ihn Einheimische nennen. Gerechterweise muss man sagen, es könnte auch eine Paula sein. Denn bei Schreitvögeln sind sich die Geschlechter sehr ähnlich, vor allem außerhalb der Brutzeit.

Jedenfalls hat dieser Storch eine besondere Geschichte, die mit einer Verletzung seines Schnabels begann. Denn weil ihm fast drei Zentimeter seiner Schnabelspitze fehlten, hat ein Falkner den Weißstorch in seiner Auffangstation für Wildvögel durchgefüttert. Das ist einige Jahre her und nicht weit entfernt von dem Ort, wo der frühe Horstbesitzer mir auffiel.

Paulchen-Paula verbringt das ganze Jahr in „seinem Dorf“ oder der weiteren Umgebung, wo er offenbar leicht ein warmes Plätzchen findet und sich in der Auffangstation Fressbares abholen darf. Sein Ziehvater hält übrigens nichts davon, Wildvögel längerfristig durchzufüttern oder an menschliche Nähe zu gewöhnen. Bei seinem früheren Pflegling macht er – aus guten Gründen – eine Ausnahme.

Porträt eines Weißstorchs, bei dem die obere Hälfte des langen Schnabels noch kürzer ist als die untere.

Der Oberschnabel ist noch etwas kürzer.

Solche Lebenserfahrungen haben Folgen: Paulchen-Paula zieht nicht weg, verpaart sich offenbar nicht erfolgreich und seine Fluchtdistanz zu Menschen ist geringer als üblich. Als ich ihm letzten Sommer begegnete, musste ich mein Teleobjektiv abschrauben, so nah ließ er mich an sich heran. Dass sein Schnabel inzwischen gut zurechtgewachsen ist, ist offensichtlich – aber auch, dass der Oberschnabel noch leicht verkürzt ist.

¹ Der LBV hat hier neuere Beobachtungen zusammengetragen: Überwintern in Bayern.

Storch = Weißstorch | Cigogne blanche | White stork | Ciconia ciconia

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

1 Kommentar

  1. Liebe Elke, wieder tolle Beobachtungen und interessante Informationen. Ich freue mich schon auf die nächsten Einblicke in die Vogelwelt im nächsten Jahr!

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Du ahnst es vielleicht schon: Im Wort Birding steckt der englische „bird“. Unter Vogelfreunden ist das ein Schlagwort für die Beobachtung der gefiederten Tierwelt – im Feld, wie man so schön sagt. Also draußen. Ein paar Anmerkungen dazu findest du → hier.

Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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