Wer sich gerne den Wind um die Ohren wehen lässt und der Sommerhitze in Berlin oder anderen Großstädten entkommen möchte, der ist an der Nordseeküste genau richtig. Ich hatte einen Besuch der Seevogelkolonien auf der Insel Neuwerk geplant und werde davon noch berichten. Aber gleich am ersten Tag stolperte ich förmlich über diesen hübschen Inselbewohner: einen Buchfink.
Buchfinken kann man in Berlin, etwa im Grunewald oder in Parkanlagen, oft im Grün der Baumwipfel singen hören, bekommt sie aber im Sommer nur selten zu Gesicht. Dass ich einen dieser guten Sänger auf Neuwerk am Boden erwischte, ist nicht wirklich ein Zufall. Aber um das zu erklären, muss ich etwas ausholen.
Nationalpark Wattenmeer
Die Insel Neuwerk liegt im naturgeschützten Wattenmeer vor dem niedersächsischen Cuxhaven, gehört aber zu Hamburg. Drei Wege führen auf das Eiland: Man nimmt das Schiff von Cuxhaven aus, geht zu Fuß bei Ebbe über das Watt oder setzt sich in einen Wattwagen. Der wird traditionell von zwei Pferden gezogen, denen das Wasser in den Prielen manchmal bis an den Hals reicht.
Es war norddeutsches Nieselwetter, und ich hatte mich auf dem Hinweg für den Wattwagen entschieden. Zum Glück: Denn wir konnten zum Beispiel die Silbermöwen beim Zertrümmern von Muscheln und Krebstieren beobachten: Sie ließen sie hoch aus der Luft herabfallen.
Was sind Priele?
Priele sind wie Flüsse im Watt. Sie liegen tiefer als der Wattboden drumherum.
In den größeren Prielen fließt selbst dann noch Wasser in Richtung Meer, wenn der Wattboden bei ablaufendem Wasser bereits zu sehen ist.
Die Strömung ist in Prielen meist sehr hoch – nicht nur bei Ebbe, sondern auch bei Flut, wenn das Wasser landwärts strömt.
Für Wattwanderer, die sich mit den Gezeiten nicht auskennen, sind Priele besonders gefährlich.
Auch die Kutscherin unseres Wattwagens prüfte genau, wie weit das Wasser bei den Pferden – und uns Passagieren – reichen würde.
Nachdem die Wattwagen auf der Insel ihre Gäste abgeladen haben, verweilen sie auf einem Stellplatz am alten Leuchtturm, und die Pferde werden gefüttert, bevor es wieder zurückgeht. An sich ist die Insel platt und überall „ist Wiese“. Doch der Stellplatz vor dem alten Leuchtturm liegt erhöht und ist von hohen Bäumen umgeben. Das ist der Platz des Buchfinken! Namensgebend sind die Bucheckern, die bei ihm weit oben auf dem Speisezettel stehen.
Der Reiterfink
Wenn die Pferde im Watt oder auf dem Festland sind, dann fliegt aus den Baumkronen der Buchfink herab und findet am Boden reichlich Nahrung.
Auf dem Stellplatz gibt es nicht nur Sämereien von Wildkräutern, Getreidekörner und andere Futterreste der kräftigen Braunen, sondern allerlei Insekten, deren Eier und Puppen. Denn die duftenden Hinterlassenschaften der Vierbeiner locken vielerlei Getier an – selbst wenn die Pferdeäpfel hier fleißig entsorgt werden.
In der rororo-Ausgabe der Urania Tierwelt lese ich über den Buchfink (rororo Tierwelt, Reinbek, Vögel Bd. 3, S. 478): Er sei überall da zu finden,
wo wenigstens ein paar Bäume stehen, deren Kronen ihm Samen, Knospen und Insekten spenden, Singwarten und einen Platz für das mit Flechten und Gespinsten von Raupen und Spinnen trefflich getarnte Nest bieten. Die Jungen werden hauptsächlich mit Insekten gefüttert, die der Buchfink besonders am Boden sucht; auch sonst sieht man ihn oft auf ebener Erde.
Darum also traf ich den Buchfink auf Neuwerk, und darum heißt er unter anderem auch der „Reiterfink“. So gesehen, ist es kein Zufall, dass mir der Buchfink gerade hier begegnete. Er hat auf Neuwerk alles was er braucht: die Baumkronen und viel Futter am Boden des Stellplatzes für Wattwagen.
Buchfink | Pinson | Common Chaffinch | Fringilla coeleps
Eine nette Anregung im kommenden Inselurlaub etwas intensiver auf die dortige Vogelwelt zu achten. Wir warten gespannt auf deinen Bericht über die Seevogelkolonien.
Liebe Grüsse
Von den eindrucksvollen Brandseeschwalben hast du nun sicher gelesen. Es folgen später auf jeden Fall die wunderbaren Austernfischer und sicher auch die Eiderente. Aber zuvor geht es demnächst wieder in das Umland von Berlin.