Zierlicher Sänger im Schilf

Kleiner Vogel mit geöffnetem Schnabel klammert sich ans Schilfrohr.

Auf der Suche nach einem Braunkehlchen war ich kürzlich wieder einmal im Nuthe-Nieplitz-Naturpark unterwegs, wo übrigens das Storchenpaar „Tristan und Isolde“ dieses Jahr zwar durchaus liebevoll, aber ohne Nachwuchs den Sommer verbringt.¹

Mein Weg zum Braunkehlchenrevier führte an einem breiten Graben mit Schilfbestand entlang, und plötzlich hörte ich das typische Schmatzen und Schnarren eines Rohrsängers.

Aber wo mochte der kleine Kerl sitzen?

Verräterische Töne

Zunächst konnte ich den fleißigen Sänger nicht entdecken und hielt schließlich einfach die Kamera in seine Richtung.

Blick auf eine grüne Wiese, der Pfad zwischen Wiese und Schilf ist kaum erkennbar.
Zwischen Schwarzerlen und der Wiese wächst links der Schilfstreifen.

Das ergab dann folgende etwas unruhige Videoaufnahme aus der Hand, die noch zwei Anmerkungen braucht: Hoch oben dröhnt ein Flugzeug auf dem Weg zum Flughafen Berlin-Schönefeld, und am Ende des Vidoeausschnitts ruft ein nerviger Vogel, auf den ich noch zu sprechen komme.

Dass man diesen Sänger im Schilf zwar hört, aber nicht sieht, ist der Normalfall. Denn es handelt sich um den Teichrohrsänger. Wie sein großer Bruder, der Drosselrohrsänger, singt er meist verdeckt zwischen Schilfhalmen oder in dichtem Gebüsch. Ich hatte dann aber doch Glück und der kleine Kerl mit seinen federleichten 11 Gramm zeigte sich.

Kleiner Vogel im Schilf sitzend, der kaum identifizierbar ist.

Kleiner heller Vogel lugt aus dem Schilf hervor.
Ein unermüdlich singender Teichrohrsänger

Eine Frage der Anpassung

Rohrsänger sind wunderbar an das Leben im Schilf angepasst. Was das bedeutet, hat Günter Olberg schon vor Jahrzehnten sehr anschaulich beschrieben (Vögel im Schilf, Neue Brehm-Bücherei, 1952, Heft 61, Geest&Portig/Verlag Wolf KG, Seite 4):

Ein Schilfhalm ist lang, dünn und unverzweigt. Unten steht er im Wasser. Hier ist kein Platz, auf dem ein normaler Baum- oder Bodenvogel sitzen oder gar ein Nest bauen kann. Wer hier leben will, muss Spezialist sein.

Teichrohrsänger hält sich an Schilfhalm fest und trällert mit weit geöffnetem Schnabel.
Welch eine Haltung: festgeklammert und körpernah das eine Bein, eine stabile Stütze das andere Bein.

Wie der Teichrohrsänger sich da am Halm hält, ist schon beeindruckend und wirkt so ganz anders als bei der Rohrammer, die ich meist auf der Halmspitze schaukeln sah. Nochmals Günter Olberg (Seite 4):

Das halmseitige Bein ist scharf eingewinkelt, sein Fuß befindet sich etwa in Höhe des Vogelschwerpunktes und ist auf Zug belastet. Das andere ist lang ausgestreckt und steht unter Druckbelastung… Zwar kann ein Rohrsänger auch auf einer waagerechten Unterlage sitzen, aber er kommt nicht oft in die Lage, es zu tun.

Selbst das Singen mit geblähter Kehle gelingt dem Teichrohrsänger in seiner Klammerhaltung wunderbar. Aber was uns unbequem und wackelig erscheint, ist für ihn eben normal.

Teichrohrsänger von vorne im Schilf.

Teichrohrsänger blickt nach links beim Singen und die Kehle ist gebläht.
Bei Singen bläht sich die weiße Kehle.

In Deutschland leben fünf verschiedene Rohrsängerarten, die rein äußerlich vor allem ein Merkmal gemeinsam haben: Ihr Schnabel ist erstaunlich lang und geht absatzlos in den Kopf über. Der wissenschaftliche Gattungsname lautet dem entsprechend Acrocephalus, das heißt Spitzkopf. Und der zierliche Vertreter, um den es hier geht, ist Acrocephalus scirpaceus, in dessen Artname die Binse (lat. scirpus) steckt.

singender Drosselrohrsänger im gelb-braunen Schilfbestand.
Ein weißrussischer Drosselrohrsänger Anfang Mai, als noch das Schilfrohr aus dem Vorjahr stand.

Der Teichrohrsänger (11 Gramm) und der etwas größere Drosselrohrsänger (15 Gramm) leben vornehmlich im Schilf. Der Schilfrohrsänger bevorzugt hingegen sumpfige Wiesen oder auch Grabenränder. Und der Sumpfrohrsänger lebt lieber im Weidengestrüpp als im Schilfrohr.

Der Seggenrohrsänger brütet auf Flächen mit Riedgras (auch Segge genannt) und ist in Deutschland als Brutvogel ausgestorben, weil sein typischer Lebensraum zerstört wurde.

Nur gezielte Schutzmaßnahmen könnten dazu führen, dass sich wieder Paare aus Osteuropa – wo sie in den großflächigen Moorgebieten noch brüten – bei uns ansiedeln. Wie kompliziert es ist, den Seggenrohrsänger zu retten, hat Christiane Habermalz von den Flugbegleitern zusammengefasst.

Der Lebensraum, das Habitat

Was das Fliegen und ruhende Sitzen angeht, stellt ein Schilfgürtel Vögel vor besondere Herausforderungen und ist daher nicht für alle Arten geeignet. Das hat andererseits für die Schilfbewohner Vorteile, erklärt Günter Olberg (Seite 5):

Raubvögel können hier keine Beute machen, weshalb die Schilfvögel ein verhältnismäßig ungestörtes Dasein führen.

Das bedeutet: Blaumeisen schaffen pro Jahr meist zwei Bruten und füttern etwa 10 Jungvögel durch, von denen viele von Raben- oder Greifvögeln erbeutet werden. Hingegen brütet der Teichrohrsänger nur einmal. Seine 4 oder 5 Eier reichen in der Regel aus, um genügend Nachkommen zu haben und die Art zu erhalten.

Voraussetzung ist natürlich, dass das Biotop zu Verfügung steht, das der kleine Insektenjäger zum Überleben und zur Fortpflanzung braucht, wenn er im Mai aus seinem afrikanischen Winterquartier zu uns kommt: breite Schilfgürtel. Und noch etwas ist nötig: angrenzende naturbelassene Wiesen oder Weideflächen für die Insektenjagd. Denn das Schilf ist arm an Insekten, nur einige Blattläuse und Käferarten leben hier.

Blühende wiese und dahinter eine dunkle Erlenreihe.
Ein solches Biotop ist für Teichrohrsängers ideal: Vor den Schwarzerlen wächst am Graben das Schilfrohr und daran schließt sich nach vorne eine „wilde“ Wiese an.

Raffinierter Nachbar

Zum Schluss komme ich nochmals auf den kleinen Videoausschnitt zurück: am Ende rief der Kuckuck. Und das ist kein Zufall. Denn bekanntlich brütet er seine Eier nicht selbst aus, sondern legt sie ins gemachte Nest, lässt sie von artfremden Vogeleltern ausbrüten und durchfüttern. Raffiniert.

Kuckuck sitzt auf der Spitze eines Ahorns.
Problem eines Kuckucks: In welches Nest soll mein Kuckucksei?

Der Kuckuck ist also das, was man einen Brutparasiten nennt. Und wer ist besonders häufig das „Opfer“? Die Teichrohrsänger!

Darum also hört man dort, wo der Teichrohrsänger singt, oft den Kuckuck rufen. Ob an diesem Zufluss zur Nuthe die Sänger ihre eigenen Nachkommen hochgezogen haben oder einen jungen Kuckuck, konnte ich leider nicht verfolgen.

Teichrohrsänger | Rousserolle effarvatte | Reed Warbler | Acrocephalus scirpaceus

 

¹ Möglicherweise ist es nicht mehr das Paar der letzten Jahre, denn nicht nur die Damen wechseln den Horst, auch die männlichen Tiere können andere sein, wenn sie den Winter nicht überstanden haben oder im Frühjahr durch einen Rivalen von ihrem angestammten Horst vertrieben wurden.



Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare zu “Zierlicher Sänger im Schilf

  1. Hallo Elke,
    danke für den tollen Beitrag.
    Im Nuthe-Nieplitz-Naturpark ist es einfach wunderschön. Leider hab ich immer noch so meine Probleme mit den Vogelstimmen, ich krieg die kleinen Sänger einfach nicht alle auseinander gehalten.
    Die beiden Bücher „Federnlesen“ und „Im Herzen des Tals“ habe ich auch gelesen, sie sind sehr schön und ersteres sehr hilfreich beim „Birding“.
    Liebe Grüße aus Treuenbrietzen
    Angela

    1. Vogelstimmen zu unterscheiden, das ist wirklich eine Herausforderung. Mir gefällt die APP von Hans-Heiner Bergmann gut: Stimmen der Vögel Europas. Die Qualität der Aufnahmen und die Erläuterungen sind gut! Ich grüße euch vom Sambesi, bin bald zurück und freue mich immer über eure Kommentare.

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