Mitte März stieß ich gleich zweimal auf Drosselarten, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte: Singdrossel und Rotdrossel. Ein Trupp Rotdrosseln überraschte mich in Brandenburg und eine Singdrossel mitten in Berlin. Beide Arten kommen um diese Zeit aus dem „Winterurlaub“ in Mittelmeerländern zurück. Sie sind Zugvögel, doch sie haben unterschiedliche Ziele.
Auf den ersten Blick sehen sich die beiden an Brust und Bauch gesprenkelten beziehungsweise gestrichelten Vogelarten sehr ähnlich,¹ aber den hellen Streifen über den Augen der Rotdrosseln, den haben die Singdrosseln nicht. Und während für die Rotdrosseln Deutschland üblicherweise ein Transitland auf dem Weg nach Skandinavien ist, brüten viele Singdrosseln bei uns.
Drosseltage: Verräterischer Gesang
Kürzlich war ich zweimal am Schäfersee in Berlin Reinickendorf, um die Rothalstaucher bei der Balz zu beobachten.
Beim ersten Mal stolperte ich über eine Krähenhybride, die Brekkies hortete, und beim zweiten Mal über eine Singdrossel, die es gesangtechnisch mit den Jumbos Richtung Flughafen Tegel auf sich nahm.
Obwohl Singdrosseln gern erhöht sitzen und singen, braucht es manchmal etwas Zeit, um einen Sänger ausfindig zu machen. Ich nahm mir diese Zeit, vernachlässigte die Rothalstaucher, über die ich noch berichten werde, und hörte der Drossel zu, die in diesem Stadtpark tagsüber immer von dem Geschnatter der Handytelefonierer oder den rauen Rufen der Krähen begleitet wird:
Singdrosseln sind wirklich laut. Ihr Gesang ist trotz Hundegebell und lautem Telefonieren unüberhörbar und sehr verräterisch.
In der Einflugschneise
Vor allem war ich total fasziniert, wie dieser kleine Vogel mit seinen rund 68 Gramm gegen den Fluglärm am Schäfersee ansang. Sein Revier liegt in der Einflugschneise nach Berlin Tegel (TXL).* Bedrohlich tief und laut waren da Anfang März die landenden Jumbos aus aller Welt unterwegs.
In diesem Videoausschnitt hat man den Eindruck, dass es dem Drosselmännchen irgendwann doch zu bunt wird mit dem Lärm – genaugenommen zu laut. Es duckt sich sogar:
Und dann wartet der Sänger offenbar ab, bis das schlimmste Getöse vorüber ist. Danach setzt er – nachdem er seinen Kopf gedreht hat und dem Jumbo nachschaut – aber wieder ein:
Womöglich wird diese Singdrossel zu den Stadtbewohnern gehören, die von der aktuellen Corona-Epidemie (COVID19) profitieren. Denn gestartet und gelandet wird auf Berliner Flughäfen mittlerweile viel weniger.
Verwunderlich ist aber, dass der muntere Sänger sich trotz Fluglärm am Schäfersee niedergelassen hat. Vielleicht liegt es daran, dass er als Nestling hier aufgewachsen ist und – zurück aus dem Süden – damit kein Problem hat. Oder es liegt am Biotop. Denn obwohl mitten in der Stadt gelegen, findet er hier Vieles, was bereits vor 150 Jahren der angesehene Ornithologe Johann F. Naumann als attraktiv für die Singdrossel beschrieben hat: Bäume, Dickicht und Wasser (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd I, S. 204):
Ihr Wohnort ist der Wald, er mag aus Laub- oder Nadelholz bestehen, wenn es im selbigen nur Dickichte von jungem Holze und hin und wieder Wasser giebt, mag übrigens die Gegend eben oder gebirgig sein.
Anstrengendes Überleben
Zurück aus dem Winterquartier, müssen Singdrosselmännchen nicht nur kräftig singen, um zunächst mal eine Partnerin auf sich aufmerksam zu machen, sondern sie müssen sich immer auch vor Feinden schützen. Darum halten sie sich oft im Verborgenen auf. Dieser Sänger schaut mal sichernd, mal neugierig nach oben, weil in diesem Gelände Nebelkrähen für Unruhe sorgen und manchmal ein Mäusebussard über dem Schäfersee kreist.
Nahrung finden Singdrosseln am Boden, wo sie nach Regenwürmern, Insektenlarven und Schnecken suchen. Aber gefahrlos ist auch das nicht. In der Stadt müssen sie immer mit freilaufenden Katzen rechnen, und für Eier, Nestlinge und die Jungvögel sind außer den Krähen auch die Eichelhäher eine Gefahr.
Drosseltage: Scheuer Transitflieger
Auf einen Trupp Rotdrosseln machte mich am frühen Morgen ein Fotograf aufmerksam, der wie ich am Blankensee in Brandenburg Vögel beobachtete. „Am besten Sie stellen sich hinter den Baum, rechts am Weg“, gab er mir noch mit, „denn die Vögel sind sehr scheu.“ Da hatte er Recht, und egal, ob man in alten Aufzeichnungen nachliest oder in den aktuellen Kosmos-Vogelführer schaut, dieser Hinweis fehlt nie.
In den Efeu-berankten Schwarzerlen saßen etwa 20 – 30 Rotdrosseln und taten sich an den Beeren gütlich. Sie waren nach einer längeren Reise, überwintert wird meist im südlichen Europa, sicher hungrig. Und ständig hörte ich ihr munteres Zwitschern, das gerade auf dem Frühjahrszug typisch ist.
Ein Gelände zum Wohlfühlen
Dass sie hier auf dem Weg in den Norden² Zwischenstation gemacht hatten, ist nicht verwunderlich, denn außer den Beeren bot sich ein passendes Gelände. Schon Johann F. Naumann beschreibt, dass diese Drosseln sumpfige Birken- und Erlenwaldungen lieben. Genau das bot das naturgeschützte Gelände am Blankensee, das übrigens zum Nuthe-Nieplitz-Niederung gehört.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich eine Rotdrossel mit ihrem namensgebenden Merkmal zeigte: den rostroten Unterflügeln. Wenn man diese nicht sieht, dann hilft oft der helle Überaugenstreif. Den hat weder die Singdrossel, noch die an Brust und Bauch ebenfalls gesprenkelte Misteldrossel.
Gefundenes Fressen
Rotdrosseln habe ich bislang nie gesehen. Umso schöner war es, sie bei gutem Licht beobachten zu können. Aber die Vögel sind unglaublich unruhig, reagieren auf kleinste Störungen, und kaum haben sie sich niedergelassen, um ein paar Beeren zu fressen, sind sie schon wieder ein paar Zweige weiter oder im Efeu verschwunden. (In dieser Fotogalerie lassen sich wieder – wie auch sonst im Blog – alle Fotos per Klick oder Wischen vergrößern.)
Kleines Fazit: Rotdrosseln sehen wir meist als Trupps, die bei uns durchziehen. Sie gelten als sehr gesellig und oft mischen sich auch Mistel- oder Wachholderdrosseln darunter. Auch wenn Rotdrosseln ihre Brutplätze in Südschweden, Finnland oder Russland erreicht haben, leben sie näher beieinander als etwa die Singdrossel. Diese macht sich lauthals durch ihren Gesang bemerkbar, der ab Mitte März und das ganze Frühjahr über erklingt.
¹ Das gilt übrigens auch für die Wacholderdrossel, die in diesem Vogelblog mal einen kleinen Auftritt hatte.
² Das Brutgebiet der Rotdrosseln liegt in der „borealen Zone“ – also der Waldzone – zwischen Island und Ostsibirien. Die größeren Trupps, die beim Frühjahrs- und beim Herbstszug Deutschland überfliegen, brüten meist in Schweden und Finnland (Fennoskandien) und verbringen den Winter vornehmlich in Südfrankreich und Spanien. Dieses und mehr über den Vogelzug findet sich in Atlas des Vogelzugs (F. Bairlein u.a., Aula Verlag, 2014).
*Am 8. Nov. 2020 wurde der TXL-Flugbetrieb eingestellt (ergänzt 27.3.2021)
Singdrossel | Grive musicienne | Song Trush |Turdus philomelos
Rotdrossel | Grive mauvis | Red-winged Trush | Turdus iliacus
Liebe Elke,
herzlichen Dank für Ihren Hinweis und Informationen zur Singdrossel. Heute war zum wiederholten Mal eine Singdrossel da, badete ausgiebig in unserem Vogelbad, um dann im Schutz einer Eibe ausführlich Federnpflege zu betreiben. Schön, diesen Vogel mithilfe eines Fernglases so genau zu beobachten.
Vielen Dank auch für Ihren Blog zu dem Grünspecht, den wir häufiger vom Küchenfenster aus beobachten können.
Wenn ich schon beim Bedanken bin, muss ich noch erwähnen, dass ich nach dem wunderbaren „Federnlesen“ ohne zu zögern auch J. Rombergs zweites Buch aufgrund Ihrer Empfehlung kaufte. Ich freue mich auf die Lektüre.
In Vorfreude auf Weiteres K. Herring
Lieben Dank für die freundlichen Worte. Da leben Sie sicher in einer schönen Umgebung! Und ja, Johanna Romberg ist eine wunderbare Autorin, und immer liegt ihr daran, positive Seiten und Entwicklungschancen für die Natur aufzuzeigen. Ich wünsche Ihnen und allen, die in diesem Blog stöbern, schöne Osterfeiertage.
Liebe Elke,
wie schön, dass die Singdrosseln am Schäfersee nun nicht mehr gegen den Fluglärm aus Tegel ansingen müssen …
Herzlich
Irma
Liebe Elke, das wird eine ganz persönliche Erinnerung; aber wenn Du meinst, kannst du sie auch gerne veröffentlichen.
Zum Schäfersee in Reinickendorf sind die Leute aus den „besseren“ Bezirken auch früher nicht gekommen; nicht nur wegen des Sozialgefälles, sondern weil es im Südwesten von Berlin natürlich viel mehr Grün gab. Den Schäfersee habe ich als „Ersatz“ziel für Fußmärsche in Erinnerung; wenn zum Radfahren nach Tegel/Frohnau das Wetter nicht passte. Nach meiner Erinnerung war der kleine See nur von einem relativ schmalen Grünstreifen mit Weg und einer Baumreihe umgeben; vielleicht auch noch Folge des Holzklaus in den Nachkriegsjahren. An vogelfreundliche „Dickichte“ kann ich mich nicht erinnern. Als Junge hatte ich mit meiner 6×9-Kamera mal ein Wettbewerbsfoto vom Schäfersee gemacht, mit einem romantisch ins Wasser gekippten Baum. Aber das Negativ finde ich nicht mehr. – So ist das, wenn man alten Leuten ein Stichwort gibt.
Liebe Elke, der schöne Bericht vom Schäfersee war auch wieder herzerfrischend. Vor 60 Jahren bin ich da öfter in strammem Tempo zu Fuß gewesen; „Walken“ für die winterliche Kondition. Und der Dialog zwischen Drossel und Fluglärm – große Klasse des Naturjournalismus! Während ich das eintippe, sehe ich den kleinen Starentrupps zu, die sich Efeubeeren holen. Wegen der Waschbären, die im Winter an meinen Vogelfütterungen artiistische Kletterübungen vollbracht haben, habe ich meine Starenkästen jetzt aus den Bäumen herausgeholt und an eigens in den Boden gesteckten 4 m hohen Stahlrohren montiert. Ich hoffe, dass das den Staren gefällt und dass die Waschbären an diesen Kletterstangen nicht mehr hochkommen.
Schöne Grüße vom Beetzsee.
Lieber Hubert, und ich lebe schon über 40 Jahre in Berlin und war nun erstmals am Schäfersee. Und wie gut, dass es dort Menschen gibt, die sich sehr um den Erhalt des sehr artenreichen Geländes kümmern. Leider wird das Grün von manchen missbraucht – und am Wochenende sollte man als naturliebender Mensch nicht hingehen. Aber wir sehen uns am neuen Beobachtungsstand von Beetzsee!