Wenn Rauchschwalben aus dem Ei geschlüpft sind, bleiben sie zunächst im Nest und werden von den Altvögeln dort gefüttert. Die Jungen sind typische Nesthocker. Mit etwa drei Wochen verlassen sie erstmals das Heim, kehren aber zunächst noch abends dorthin zurück.
Rund eine Woche lang werden die jungen Ausflügler in Nestnähe weiterhin mit Nahrung versorgt. Wie Rauchschwalben-Kinder das erreichen, ist amüsant zu beobachten. Davon berichte ich in diesem Beitrag.
Von der Rauchschwalbe habe ich bereits berichtet, dass Alfred E. Brehm sie treffend als innere Hausschwalbe eingeordnet hat – im Vergleich zur Mehlschwalbe als der äußeren Hausschwalbe. Denn die Rauchschwalbe baut ihr Nest gerne innerhalb von Pferde- oder Kuhställen an die Wand. Als Stallschwalbe wird sie daher auch bezeichnet.
Ich werde noch darauf zu sprechen kommen, warum auch der Name Schiffsschwalbe nicht blödsinnig ist …
Praktischer Sperrrachen
Solange die Jungen im Nest hocken, fliegen die Eltern mit Futter durch geöffnete Fenster, Luken oder Türen raus und rein. Es muss kein Stallgebäude sein, wie bei Else Thomé in Die Salzberger Schwalbengeschichte unterhaltsam nachzulesen ist. Die Altvögel sind unermüdlich! Unzählige Fluginsekten stopfen sie in die aufgesperrten Schnäbel, die an den Seiten auffällige, breite Wülste haben.

Schwalben und andere junge Singvögel sind an den hellen Schnabelwülsten zu erkennen. Typisch für die Rauchschwalbe ist ihre rosafarbenen Kehle, die mit der Zeit rostrot wird.
Ein sogenannter Sperrrachen ist typisch für nesthockende Singvögel, die – wie Amsel, Sperling und eben auch Schwalben – eine längere Zeit von den Altvögeln gefüttert werden. Ihre auffällig hellen Wülste ermöglichen ihnen, den Schnabel weit zu öffnen, so dass die Nahrung tief in den Schlund gesteckt werden kann.
Das ist wichtig, denn anders als etwa beim Habicht, der die Beute für seine Nachkommen anfangs mundgerecht zerkleinert und den Nachwuchs zuächst im Horst füttert, fliegen Schwalben das Nest nur kurz an und stopfen in den aufgesperrten Schnabel, was hineinpasst.
Von biologischen und sozialen Eltern
Mit Eltern sind in diesem Text die männlichen und weiblichen Rauchschwalben gemeint, die am Nest und später die Ausflügler füttern. Die Herren sind jedoch nicht immer die biologischen Väter wie genetische Analysen gezeigt haben: ein variabler Prozentanteil der Eier wurden von fremden Herren befruchtet. Die Damen sind also – umgangssprachlich formuliert – fremdgegangen, nahmen es nicht so genau oder wurden überrumpelt.
Dass sich verpaarte Tiere auch außerhalb der Partnerschaft paaren (also: kopulieren) ist in der Zoologie kein Aufreger, längst bekannt und biologisch betrachtet sinnvoll.
Rauchschwalben sind jedenfalls nicht total auf eine Partnerin oder einen Partner fixiert. Eine solche Festlegung würde bedeuten, dass eine oder einer von beiden im Frühjahr oft vergeblich auf die Ankunft der Ehemaligen oder des Ehemaligen wartet und sich nicht verpaart. Denn viele Schwalben überleben den Zug ins ferne Winterquartier und von dort zurück nicht.
Manchmal wechseln die Partner bereits nach der ersten Brut in einer Saison, so dass bei der Zweitbrut in derselben Saison das Paar am selben Nest anders zusammengesetzt ist. Daher sprachen schon die Heinroths in dem vierbändigen Werk „Die Vögel Mitteleuropas” von einer Brutehe, die meist nur für eine Brut hält.¹ Aber wie wir eben heute wissen, ist selbst diese Ehe vor der Eiablage offener als gedacht.
Gefüttert wird zwar in der Regel von den biologischen Eltern, aber nicht alle Nestlinge gehen unbedingt auf das genetische Konto des fütternden Männchens. Für manche Nestjunge ist der Versorger „nur“ der soziale Vater.
Angeboren: sperren und betteln
Im Nest sperren die Jungen ihren Schnabel weit auf. Das ist ihnen angeboren, und nicht nur diese Bewegung, sondern auch die Richtung. Diese weist anfangs einfach nach oben, wird aber rasch präziser. Sobald Augen und Ohren funktionieren, richten die Nestlinge ihren Schnabel gleich in Richtung der ankommenden Eltern aus.²

Wo Kühe weiden und ihre Fladen hinterlassen, leben viele Insekten. Ein Altvogel jagt sie – die Jungen warten.
Wenn die Jungen mit etwa drei Wochen das Nest verlassen, suchen sie sich einen Platz, an dem sie sich festkrallen können und wo sie für die fütternden Altvögel gut erreichbar sind. Sie sitzen dann auf den Zäunen einer Viehweide oder der Umzäunung eines Bauerngartens, aber wir finden sie auch am Wasser: auf der Bespannung einer Segeljacht oder auf den Leinen beziehungsweise Trossen, mit denen ein Schiff am Hafen festgemacht ist.
An zwei unterschiedlichen Landeplätzen konnte ich in diesem Sommer die bettelnden Jungvögel beobachten: Ende Juni auf Zäunen an einer Kuhweide auf Neuwerk und Anfang August in einem kleinen Hafen an der Somme, in der französischen Region Picardie.
Junge Rauchschwalben, die sich gerade selbständig machen, sind auffällig:
Sie sitzen etwas hilflos auf Drähten, Leinen oder Bretterzäunen und fallen – wie erwähnt – durch ihre breiten hellen Mundwinkel, die Schnabelwulst, auf. Diese bildet sich bei den jungen Ausflüglern erst nach und nach zurück.
Außerdem schwirren in ihrer Nähe adulte Schwalben herum, zischen heran und wieder davon. Nicht jedes Mal gelingt die Futterübergabe. Manchmal gibt es Störungen, etwa wenn auf dem gepflasterten Weg Menschen per Rad oder zu Fuß unterwegs sind.
Die für Rauchschwalben typischen Schwanzspieße haben die Jungen noch nicht. Sie entstehen bei der Mauser im Winterquartier und werden mit der Zeit 3 bis 6,5 cm lang.

Plankenzaun am Wegrand: Manchmal gelingt die Futterübergabe nicht. (Der Altvogel fliegt rechts oben.)
Sind die Altvögel in der Nähe, schauen die Jungen ständig nach links und rechts. Sie sind unruhig und flattern auffällig mit den Flügeln: Es sind rasche Aufwärts- und Abwärtsbewegungen, die aber nicht dazu führen, dass die Jungen abheben.
Eltern gesucht: Der Jungvogel scannt permanent die Umgebung.
Mit ihren Krallen halten sich die Jungen, so gut es eben geht, fest. Immer wieder lässt sich beobachten, dass sie leicht aus der Balance geraten.
Das ganze Gehabe wirkt wie ein gerichtetes Ausdrucksverhalten nach dem Motto: “Hey, hier bin ich, und ich habe Hunger“. Als bettelndes Signal ist das Flügelschlagen zudem hochfunktional.
Kommt nämlich der Altvogel mit Futter angesaust, um es in Sekundenschnelle an den Jungvogel zu übergeben, würde dieser vermutlich rasch das Gleichgewicht verlieren, wenn er mit seinen zarten Füßen festgeklammert – und passiv wie eine Schießbudenfigur – dasitzt. Die ausgebreiteten, schlagenden Flügel halten ihn hingegen in der Balance. (Nicht umsonst breiten Seilakrobaten die Arme aus. Und die Turnerinnen auf dem Schwebebalken halten sich mit derselben Technik in der Balance.)
Der Zug der Rauchschwalben
Die Funktion der Flügel wird getestet und die Balance geprobt.
Rauchschwalbeneltern stellen das Füttern nach und nach ein. Die Jungen müssen nun sehen, wie sie klarkommen und verlieren auch an Gewicht. Man sieht sie permanent bei Flugübungen, bevor sie selbst Fluginsekten ergattern. Aller Anfang ist schwer. (Wer diese Fotos am PC vergrößert und mit ← zurück geht, muss einen Moment Geduld haben. Dann steht die Fotogalerie wieder.)
Wichtig ist darum, dass Rauchschwalben ein Fettpolster anlegen, bevor sie ausfliegen und von den Altvögeln die Versorgung heruntergefahren wird. Die Heinroths, die als erste die Entwicklung von Nestlingen der Vögel Mitteleuropas umfassend dokumentiert haben, geben für die Gewichtsentwicklung der Rauchschwalbe interessante Werte an.¹
Einige Stunden alt: 1,6 -1,7 Gramm
5. Tag: 9,5 Gramm
10. Tag: 22,5 Gramm (schwerer als ein Altvogel mit knapp 20 Gramm)
15. Tag: 23 Gramm (Energie wird in die Ausbildung der Schwingen gesteckt)
ab 20. Tag: erste Ausflüge und Gewichtsabnahme
Bereits Ende Juli verlassen Rauchschwalben ihre Brutgebiete, lese ich in Das große Buch vom Vogelzug von Franz Baierlein auf Seite 76.³ Aber viele machen sich erst später auf den Weg – vor allem, wenn sie eine zweite Brut begonnen haben und noch abschließen müssen. Und Vögel, die weiter südlich brüten, können sich sowieso mit dem Abzug mehr Zeit lassen. Das gilt auch für die Rauchschwalben in Frankreich.
Der Zugweg geht von Deutschland aus mehrheitlich nach Südwesten. Meist fliegen sie über die Iberische Halbinsel, aber sie nutzen auch die Route via Italien. Von dort geht es weiter längs der oder über die Sahara hinweg bis in den äquatorialen Regenwald. Nur manche der hiesigen Vögel steuern – wie es für britische Rauchschwalben belegt ist – Südafrika an.
Anders als der Weißstorch, der auf dem Weg ins afrikanische Winterquartier die Aufwinde an der Straße von Gibraltar braucht, um die Meerenge zu überqueren, schrecken Rauchschwalben weder vor den Alpen zurück noch vorm Überfliegen des Mittelmeeres. Hin und wieder gibt es Berichte, dass sie sich zum Pausieren, teils offenkundig erschöpft, auf kleineren und großen Schiffen niederlassen.
Speziell Liaison: Schwalben und Schiffe
Auf einen anderen Aspekt solcher Seereisen stieß ich beim Stöbern im Werk der Heinroths¹: Rauchschwalben begleiteten demnach die Getreidefrachter, die bereits vor rund 100 Jahren das Mittelmeer befuhren. Vermutet wird, dass sie sich auf der Fahrt von den zahlreichen, ständig schlüpfenden Mehlmotten ernährten.
Die Verbindung von Schwalben und Schiffen ist in der Tat eine innige und vielleicht erklärungsbedürftig: Rauch- und Mehlschwalben sind ursprünglich Felsenbrüter. Sie haben die Behausungen von Mensch und Tier als geeignete Nistplätze entdeckt, und wenn sie Insekten jagen, dann finden sie diese nicht nur auf Wiesen und Feldern, sondern auch an Flussläufen – also über dem Wasser.
Wenn sich eine passende Gelegenheit bietet, brüten Schwalben konsequenterweise in unmittelbarer Nähe zum Wasser. Es gibt nicht nur viele Berichte über Brutplätzen unter Brücken, sondern auch auf Schiffen. Ein Schiffshalter in der Picardie, wo ich am Hafen die Jungen beobachten konnte, hatte definitiv ein Herz für Schwalben – zweifellos für die Rauchschwalben mit ihren langen Spießen, die seine Taue nutzen.
Besonders kurios ist der Bericht über die kleine Mehlschwalbenkolonie auf einem Ausflugsschiff, das regelmäßig in die Ostsee startet. Diese Info wurde mir von einem Leser des Vogelblogs zugespielt. Danke dafür!
Der Schiffshalter und zugleich Kapitän unterstützt seine Schwalben beim Nestbau und sorgt dafür, dass die Jungen satt werden – auch dann, wenn er ablegt und die Altvögel an Land zurückbleiben. Kaum zu glauben, aber überzeugt euch selbst in dem ndr-Beitrag. Einfach wunderbar!
Und wie ich eingangs schon sagte: „Schiffsschwalbe wäre keine blödsinnige Bezeichnung“ für die Rauchschwalbe. Leider ist die Einordnung nicht eindeutig, denn offenbar lieben sowohl die Rauch- wie auch Mehlschwalben die Schiffe.
¹ Oskar Heinroth und Magdalena Heinroth: Die Vögel Mitteleuropas in allen Lebens- und Entwicklungsstufen photographisch aufgenommen und im Seelenleben bei der Aufzucht vom Ei ab beobachtet, Hugo Bermühler-Verlag, Berlin-Lichterfelde, 1926, Bd. 1, Seite 67 ff.)
² Mit Fragen solch angeborener Verhaltensweisen oder Instinkthandlungen und ihrer Ausrichtung hat sich insbesondere der Nobelpreisträger Nikolaas Tinbergen beschäftigt, z.B. in dem Aufsatz Taxis und Instinkthandlung in der Eirollbewegung der Graugans (1938), in: Konrad Lorenz, Über tierisches und menschliches Verhalten, Piper, München 1973 (16. Aufl.), S. 343-379
Oder: N. Tinbergen und D.J. Kuenen: Über die auslösenden und richtunggebenden Reizsituationen der Sperrbewegung von jungen Drosseln (Turdus m. merula L.und T.e.ericetorum Turton), Z. f. Tierpsychologie, 1939, 3, S. 37-60
³ Franz Baierlein, Das große Buch vom Vogelzug, Aula-Verlag, Wiebelsheim, 2022, S. 76 ff
Rauchschwalbe | Hirondelle de chimnée oder des granges | Barn Swallow | Hirundo rustica








































0 Kommentare