Ende April bis Mitte Mai kommen die Mehlschwalben aus ihren Winterquartieren im südlichen Afrika oder Indien zurück, um bei uns zu brüten und wenn möglich zwei- bis dreimal Junge großzuziehen. Alles beginnt mit der Paarung und dem Nestbau.
Dafür brauchen sie einen passenden Nistort und spezielles Nistmaterial, das sie Klümpchen für Klümpchen an eine steile Wand heften.
Doch das eine wie das andere aufzutreiben, ist gerade in ihren deutschen Brutgebieten leichter gesagt als getan.
Den richtigen Ort finden
Was die Ortswahl angeht, sind die Felsenbrüter bei uns längst von natürlichen Angeboten auf menschengemachte Nistgelegenheiten umgestiegen. Aber im Gegensatz zur Rauchschwalbe brütet die Mehlschwalbe nicht in Scheunen, Ställen oder Häusern, sondern außen an der Hauswand. Als „äußere Hausschwalbe“ wird sie daher auch bezeichnet.
Mehlschwalben bauen ihre Nester bevorzugt an Hauswände aus Stein und achten darauf, dass diese überdacht und nach oben geschlossen sind. Das heißt: Die Vögel nisten nah am Dachüberstand und ziehen das napfförmige Nest nach und nach an den Seiten hoch. Nur das Flugloch nach vorne bleibt frei.
Wie hoch ihre Flexibilität bei der Ortswahl ist, zeigt sich daran, dass Mehlschwalben nicht nur unter Dächern, Balkonen und in Hauseingängen bauen, sondern unter Brücken, sogar in Straßenlampen, an Neonröhren und selbst auf Fähren, die in Betrieb sind. All das lese ich Die Mehlschwalbe von Heinz Menzel. (Neue Brehm-Bücherei, 1986, 2. Aufl., Magdeburg, S. 63)
Passendes Baumaterial auftreiben
Schwieriger als einen Nistort zu finden, ist aber die Suche nach dem Baumaterial. Denn Mehlschwalben brauchen dafür dünnflüssigen Lehm, feuchte Erde, das ein oder andere kleine Steinchen, Torf und andere Pflanzenfasern.
Passendes Baumaterial finden die Schwalben am Rand von Pfützen und an Gräben. Aber beides ist in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden, denn Schotterstraßen wurden asphaltiert, Wege gepflastert, Gräben begradigt, vertieft oder gleich ganz vernichtet. Und Baumaterial am Boden aufzunehmen, ist für den eleganten Flieger mit tiefblau- schillerndem Rücken sowieso ein heikles Unterfangen, denn dort unten ist er ungeschützt, kann von einer Katze oder – beim Auffliegen – von einem Sperber erbeutet werden. Mehlschwalben benötigen daher einige Meter freie Sicht.
Der Nestbau ist für Mehlschwalben auch deshalb zu einem schwierigen Unterfangen geworden, weil die im Schnabel herangetragenen Portionen nicht an jedem Untergrund haften und weil Hausbesitzer noch immer Nestanlage zerstören. Sie stört der Vogel“schmutz“ vor ihrem Haus oder das Nest an der Wand.
Dabei ist jeglicher Eingriff bei den geschützten Vögeln streng verboten – und übrigens ist es ein Leichtes, unter Schwalbennestern ein Kotbrett anzubringen.
Völlig überrascht war ich, als ich vor zwei Jahren an den Kreidefelsen von Rügen beobachten konnte, wie eine Gruppe von Mehlschwalben laut und aufgeregt Baumaterial vom weißen Fels klaubte.
Dabei ist unter Ornithologen längst bekannt, dass die verschiedenen Kreidefelsen in der Ostsee für die Baumeister mit mehliger Unterseite höchst attraktiv sind – und auch, dass sie dort brüten.
An der Steilküste von Rügen holen sich Mehlschwalben…
… gut formbares, klebriges Kalk- und Kreidematerial.
Bauen wir selbst oder beziehen wir?
Zum Glück gibt es Schwalbenfans wie Familie Schönfeld in meiner alten Heimat Bremerhaven, die nicht nur an ein Kotbrett denken und so ihren Eingangsbereich oder die Terrasse schützen, sondern den Schwalben fertige Nisthilfen anbieten. Die gekauften Produkte bestehen in der Regel aus Holzbeton. Man kann Kunstnester jedoch auch selbst herstellen und zwischen den Naturnestern anbringen. Mehlschwalben brüten gern nah beieinander, sie sind Koloniebrüter.
Kommen die Schwalben aus ihrem Winterquartier zurück, stellt sich für sie also häufig die Frage: Bauen wir ganz neu, richten wir das alte Nest wieder her oder beziehen wir das angebotene Kunstnest?
Soweit ich weiß, wurde bisher nicht untersucht, ob Mehlschwalben dabei individuelle Präferenzen haben.
Burghard Schönfeld unterstützt jedenfalls auch die Selbstbauer, indem er ihnen in seinem Garten ständig kleireichen Marschboden, der ordentlich klebrig ist, präsentiert und bei Bedarf mit etwas Wasser vermengt. – Er weiß, worauf es ankommt, nicht umsonst wurde sein Haus in Bremerhaven-Wulsdorf vom NABU als schwalbenfreundlich ausgezeichnet.¹
Im Jahr 2018 hat er 25 Brutpaare rund um das Reetdach gezählt. Und etwa 80 Jungvögel sind später ausgeflogen, obwohl das Wetter nicht optimal war: zu kalt, zu windig und zu wenig Insekten. Aber die Jungen waren gut angefüttert, und Mehlschwalbenkinder sind insgesamt weniger empfindlich als der Rauchschwalbennachwuchs.
In diesem Jahr kam die erste Mehlschwalbe am 15. April angerauscht. Am 1. Mai waren sieben Paare zwischen dem Wulsdorfer Garten und einer Teichlandschaft an der Weser unterwegs. Doch der Schwalbenfreund, der so manche Schwalbe individuell kennt, rechnet fest mit weiteren Rückkehrern – sobald es wieder etwas wärmer wird.
Rund 1.000 Kügelchen
Bei den Mehlschwalben bauen übrigens beide Geschlechter, so wie sie auch abwechselnd brüten und später gemeinsam die Jungen versorgen. Das herangetragene Material wird zu einem Kügelchen geformt und an die Wand beziehungsweise das Nestrudiment geheftet. Sehr genau beschreibt der schon erwähnte Heinz Menzel die Bautechnik der Mehlschwalben, die anfangs einige Verrenkungen machen müssen und für ein neues Nest rund 1.000 Kügelchen formen und verbauen.
Ist der Boden aber geschafft und daraus eine kleine Schale geformt, wird es einfacher. Grundsätzlich hocken die Mehlschwalben beim Bauen mit dem Rücken – am Anfag mit der Seite – zur Wand; so als würden sie bereits im Nest sitzen und durch das Flugloch heraus schauen. Neubauten dauern normalerweise etwa 10 Tage. Wird – wie von Burghard Schönfeld – gutes Baumaterial „angeliefert“, sind die Vögel schon nach 5 – 6 Tagen fertig.
Man fragt sich natürlich, ob den Mehlschwalben, die Kunstnester auswählen, etwas fehlt und was sie mit dem hormonell vermittelten Bautrieb anfangen, wenn es nichts zu bauen gibt.
Dazu lese ich: Manche Vögel tragen eigenes Baumaterial herbei und heften es von außen an die künstlichen Nester, andere legen Steinchen in das Kunstnest, aber alle polstern es innen mit Moos oder Federchen etwas aus.
Der Bremerhavener Schwalbenfreund, der seit Jahrzehnten die Rauchschwalben in dem ehemaligen Stall und der Diele brüten lässt und schon vor 20 Jahren begann, eine Mehlschwalbenkolonie aufzubauen, sorgt mittlerweile auch für Polstermaterial: Moos finden die Schwalbeneltern am Dach, für Federchen wird notfalls ein Kissen geopfert und der Inhalt im Garten ausgeschüttet. Denn das Federvieh, das früher beim Nachbarn herumlief, das gibt es durch all die Neubauten im ehemaligen Dorf schon lange nicht mehr.
Wie gut: Schwalbenfans setzen dem Artenschwund etwas entgegen und sorgen für vielerlei Eindrücke. Danke!
¹ In Berlin hat der NABU 2017 das erste schwalbenfreundliche Haus ausgezeichnet. Es steht in Gatow. Mittlerweile gibt es sieben Häuser, erfahre ich vom NABU Berlin.
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