Kernbeißer sind dafür bekannt, dass sie gerne baden – zum Beispiel in einer Pfütze. Welch ein Schauspiel! Dieses kurze Video (stark gezoomt) musste an den Anfang des Blogposts über den grau–braunen Finkenvogel mit weißem Flügelfeld. Dass ich ihn auf einem Friedhof in Berlin Steglitz entdeckte, war übrigens Zufall. Genaugenommen war ich auf der Suche nach Schwanzmeisen.
Doch da sah ich in einem Baumwipfel über mir diese verräterische Silhouette: kräftiger Körperbau, flacher Schädel und ein mächtiger, kegelförmigen Schnabel. Keine Frage, das war ein Kernbeißer – auch Kirschkernbeißer genannt.
Sein Anblick ließ mich die Schwanzmeisen vergessen. Kernbeißer halten sich meist hoch oben in den Baumwipfeln auf und sind dort gut verborgen, solange die Bäume belaubt sind. An diesem Dezembertag war das natürlich anders.
Auch der Gesang verrät die unauffälligen Vögel nicht, denn die einzelnen Laute sind sehr kurz – klingen wie ein Zik, Pit oder Zicks – und sind zum Teil hoch und schrill. Die verschiedenen Lautelemente werden in lockerer Folge mit tieferen Elementen gemischt. Manchmal lassen sich mehrere Individuen aus einem Baumwipfel hören, aber es entsteht kein Gesang wie wir ihn von anderen Singvögeln kennen. Kurz und eher spitz sind auch die Rufe der Kernbeißer, mit denen sie beispielsweise warnen.¹
Der Kernbeißer, der mehrfach in der Pfütze badete, kam aus einer Hainbuche, wo er die Früchtchen „geerntet” hatte. Das ist kein Wunder, denn diese kleinen, recht harten Samen sind in der Winterzeit eine wichtige Nahrungsressource.
Kleiner Exkurs: Bei der Hainbuche, einem Birkengewächs, bilden mehrere Blüten einen Blütenstand. Aus jeder Blüte entwickelt sich eine Frucht und diese Nuss „klebt” an einem dreiflügeligen Blättchen. Darum wird sie auch Flügelnuss genannt. Im Winter lösen sich die Elemente des rosettenartigen Fruchtstands nach und nach voneinander und segeln auf den Boden.
Was schmeckt?
Wie der Beiname Kirschkernbeißer schon verrät, kommen die Vögel mit ganz anderen Früchten als denen der Hainbuche gut zurecht: Sie knacken mit ihrem scharfkantigem Schnabel und der massiven „Backen“muskulatur nicht nur Kirschkerne, sondern auch Oliven- und sogar Pflaumenkerne.
Immerhin ist der Schnabel 20mm lang, und an der Schnabelwurzel – das ist die Ansatzstelle am Kopf – ist er 15mm hoch und 16mm breit.
Im Sommer sättigen Kernbeißer sich mit Samen von Gehölzen wie Sauer- und Wildkirsche, während Buchen und auch Feldahorn ab dem Herbst zur Nahrungssuche angeflogen werden.
Vor allem im Winter gehen Kernbeißer auch am Boden auf Nahrungssuche – und in dieser Zeit kommen manche an die Futterhäuser.
Im Frühjahr knabbern sie auch an frischen Trieben und Knospen, aber vor allem suchen sie nach Insekten, die in dieser Jahreszeit ihre hauptsächliche Nahrung bilden.
Auch die Jungen werden mit Käfern und anderen Insekten gefüttert – wie es bei Finken ja sowieso üblich ist. Das zeigt auch die Abbildung aus dem Werk von Johann F. Naumann (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III, S. 271.)
Komfortverhalten: Badespaß
Zurück zu dem Badespaß der Kernbeißer. Solche feuchten Bäder zählen wie das Putzen und das Sonnenbaden zum Komfortverhalten der Vögel.
Es dient dazu, Parasiten wie Milben und Federlinge aus dem Gefieder zu vertreiben oder zurzeit der Mauser lästige Federchen loszuwerden. Und offenbar war die flache Pfütze eine geniale Badeanstalt. Denn sie lockte verschiedene Vogelarten an.
Die Geschlechter sind bei den Kernbeißern zwar nicht an der Größe, aber gerade im Winter am Gefieder recht gut zu unterscheiden.
Herr Kernbeißer hat einen schönen braunen Kopf, Frau Kernbeißer ist insgesamt blasser, unauffälliger gefärbt.
Ich sah nicht nur dem Männchen beim Planschen zu, auch das Weibchen benetzte, stark flügelschlagend, das Gefieder.
Der weibliche Kernbeißer badete sogar nahe einer Kohlmeise, obwohl weder die eine noch die andere Vogelart für entspanntes Miteinander berühmt ist. Kohlmeisen sind kämpferische Draufgänger, und Kernbeißer gelten als nicht sonderlich soziale Vögel. Aber diese Pfütze hatte es ihnen offenbar angetan.
Neben dem Kernbeißerweibchen stand zunächst das Männchen, auch eine Kohlmeise kam in die Pfütze.
Immer auf der Hut sein
Es ist spannend einem Kernbeißer mit dem Fernglas beim „Futtern“ zuzuschauen: vom Ast aus versuchen sie, einen Fruchtstand zu erreichen, knabbern ein Früchtchen ab und enthülsen es dann im Schnabel.
Noch lässt es sich in Ruhe fressen und nach Samen der Hainbuche „angeln“ …
Als ich diesen Vogel noch beobachtete, kam plötzlich Unruhe in das Vogelleben um mich herum und die Tonlage der vielen Kohlmeisen änderte sich², bevor es plötzlich total still wurde. In dem Videoauschnitt gut zu sehen ist, wie der Kernbeißer in seiner Position verharrt und sich dann plötzlich vom Ast fallen lässt.
… aber dann warnten die Kohlmeisen und es drohte Gefahr. Abflug!
Der Grund war mir klar, als ich ahnungsvoll zum Himmel schaute: ein Greif. Im letzten Moment erwischte ich den Sperber mit der Kamera, bevor er abzog.
Und natürlich waren dann die Kernbeißer, Kohl-, Hauben- und Blaumeisen, die Amseln, der Kleiber und der Buntspecht, Eichelhäher und Gartenbaumläufer, die ich alle zuvor auf dem Friedhof beobachtet hatte, wie vom Erdboden verschwunden.
Soweit meine und der Kernbeißer Winterfreuden auf einem der vielen vogelreichen Friedhofsgelände in Berlin.
¹ Wer sich für Vogelgesang interessiert, dem empfehle ich, die App Die Stimmen der Vögel Europas zu kaufen. Diese Datensammlung von dem renommierten Ornithologen Hans-Heiner Bergmann und seinem Team beschreibt für rund 500 Arten die knapp 2.000 Rufe und Gesänge.
² Zu hören war dieses hohe gedehnte „siii”, mit dem die Kohlmeisen warnen, wenn ein Greifvogel am Himmel fliegt.
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