Dem Flussuferläufer begegnen wir in der Tat dort, wo sein Name ihn ankündigt: an Flussufern. Er sucht allerdings nicht nur Fließgewässer auf, sondern es kann ebenso ein Teich oder See mit flachem Ufer sein. Auch in der Boddenlandschaft der Ostsee und ihren Nehrungen lebt der Flussuferläufer, der wie der kleine Sandregenpfeifer und der Große Brachvogel zu den Watvögeln gehört.
In Deutschland sind Flussuferläufer eine Rarität. Gerademal 300 bis 420 Paare brüten hier, etwa an der Mittelelbe, an Mulde und Saale, an der Oder und der Lausitzer Neiße. Brutpaare gibt es schließlich auch an oberbayerischen Flussläufen. All das lese ich im Atlas deutscher Brutvogelarten von 2014. Wie stabil die Population ist, wird sich aber erst bei der von den Avifaunisten geplanten Aktualisierung der Zählungen zeigen.
Auf Holzstegen in Litauen
Ich hatte an drei verschiedenen Orten außerhalb Deutschlands das Vergnügen, dem Flussuferläufer beim Ruhen und bei der Nahrungssuche zuschauen zu können. Beim ersten Mal stand der weißbäuchige Watvogel am Rande eines Holzstegs, und zwar an jenem litauischen Gewässer, an dem ich zuvor eine Beutelmeise beim Nestbau beobachten konnte. Hätte ich ihn sonst überhaupt entdeckt?
Er stand auf einem Holzsteg, als ein paar deutsche Vogelbegeisterte – als Ableitung von Ornithologen beziehungsweise Ornithologinnen auch kurz Ornis genannt – auf ihrem Weg zu einer Lachmöwenkolonie und zu brütenden Flussseeschwalben seine Ruhe etwas störten.
Der Vogel – er ist etwas kleiner als eine Amsel und mit 50 Gramm ein Leichtgewicht unter den Watvögeln – begutachtete die ungebetenen Gäste. Doch er beruhigte sich rasch, denn die Birder und Birderinnen ließen ihn gewissermaßen links liegen und strebten der Brutkolonie zu.
Flussuferläufer sind eher vorsichtig und scheu. Johann F. Naumann, dieser geniale Vogelkenner des 19. Jahrhunderts aus Ziebigk bei Köthen, hat ihr Verhalten wie üblich anschaulich beschrieben (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. 9), Seite 8
„Von Natur sehr furchtsam, sucht sich unser Flussuferläufer gern solche Plätzchen an den Ufern, wo er nicht schon von weitem gesehen werden kann und die Aufmerksamkeit anderer Geschöpfe zu früh auf sich zieht.
Auch ich entdeckte und fotografierte den Vogel nur durch das Blättergewirr einer Birke hindurch; und hielt bewusst Abstand. Daher die gewisse Unschärfe in den beiden Fotos.
Flussuferläufer am Haff
Wenig später gab es auf meiner Reise durch Litauen eine zweite Möglichkeit, dem Flussuferläufer nahe zu kommen. Ich schlich mich so gut es ging langsam an.
Ein Grüppchen stand auf einem hölzernen Bootssteg – etwas verborgen hinter kleinen Motor- und Ruderbooten. Manche der relativ kurzbeinigen Watvögel liefen auf Insektenfang dort herum, andere waren offenbar müde und dösten mit geschlossenen Augen vor sich hin.
Flussuferläufer verhalten sich während der Brutzeit äußerst territorial, sehr „ungesellig“ nennt sie Johann F. Naumann. Das ist außerhalb der Fortpflanzungszeit und speziell zur Zugzeit anders. Da bilden sie Gruppen, sind verträglich und einer profitiert von der Wachsamkeit des anderen, wenn zum Beispiel ein Greifvogel nach Beute Ausschau hält.
Dieser Platz war den Flussuferläufern jedenfalls vertraut. Die dunklen Kotkügelchen deuten an, dass sie sich hier oft aufhalten. Verständlich, denn Anfang Mai ist es in Litauen oft noch kühl und die warmen Holzplanken sind da sicher angenehm. Vor allem: Wir befinden uns hier an der Inlandsküste des Kurischen Haffs, wo der Wind etwas rauer bläst als im Binnenland.
Die Gruppe von insgesamt acht Vögeln ließ es zwar zu, dass ich sie aus der Nähe beobachtete, aber irgendwann flogen die ersten davon
mit schnellen Schlägen und unterbrochen von kurzen Gleitstrecken auf steif nach unten durchgebogenen Flügeln.
So beschreibt es Lars Svensson in Der Kosmos Vogelführer mit knappen Worten ihr Flugverhalten. Kurz und knapp umreißt er ihr Flugbild so, beides Seite 154
Flügelstreif breit; Oberseite braun mit deutlichem weißem Keil zwischen Flügelbug und braunen, scharf begrenzten Brustseiten.
Zwar sind auf dem folgenden Foto nicht alle Merkmale zu sehen, aber immerhin die hängenden Flügel und ein weißer Streifen auf dem Flügel … der Flügelstreif wie es in der Ornithologie heißt.
Und welch ein Glück: Die Flussuferläufer flogen nicht weit, und so stieß ich auf einen von ihnen am sandigen Ufer, wo er auf einer Bülte stand und ins sanft anflutende Wasser blickte. – Von einer veritablen Flut kann hier nicht die Rede sein.¹ Dennoch wechselt auch im Haff der Wasserstand mit Ebbe und Flut.
Auf seiner Bülte posierte der Flussuferläufer etwas erhöht und konnte im Wasser sicher gut das ein oder andere Beutetier entdecken. Aber zunächst hatte der kleine Watvogel die Fotografin im Auge² … Was treibt sie nur? So mag er gedacht haben …
Ich freute mich über diesen Blick auf den Flussuferläufer vor allem deshalb, weil er bei gutem Licht ein Kennzeichen demonstrierte, das ihn als Art unverwechselbar macht: ein weißes „Dreieck“ zwischen dem bräunlichen Hals und dem bräunlichen Rücken.
Am steinigen Fluss
Das geradezu klassische Habitat des Flussuferläufer konnte ich im Frühjahr in Spaniens Extremadura an einem steinigen Flussbett erleben. In dem abgelagerten Geröll dieses idyllischen, naturbelassenen Flusses fiel mir der Vogel zunächst gar nicht auf. Denn sein weiß-braunes Federkleid ist geradezu ideal an diese Umgebung angepasst.
Auch die Spiegelungen auf dem Wasser, Wasserpflanzen sowie Licht und Schatten machten es nicht leicht, den Flussuferläufer hier zu entdecken. So gut fügt er sich in die Umgebung ein. Wenn man allerdings weiß, wo er sich gerne aufhält, fällt er eher ins Auge. Bei Naumann lese ich, Seite 7
Seine Lieblingsplätzchen sind bald ein stiller Winkel am flachen Ufer oder ein Schlammhäufchen mit offener Aussicht zur Wasserseite, bald ein dicht am oder aus dem Wasser herausragender grosser Stein, ein nicht zu hoher Pfahl, ein Balken …
Was beim Flussuferläufer sofort ins Auge fällt, ist sein eher unruhiges, teils hektisches Verhalten bei der Nahrungssuche. Wie eine Bachstelze nickt er mit dem Kopf und bewegt seinen Hals derart, dass der Körper gewissermaßen vor und zurück kippt. Auch das erinnert an eine Bachstelze.
Der kleine Watvogel stakst sehr geschickt von Stein zu Stein, verharrt hier und da, um das Wasser auf verwertbare Partikel zu prüfen, watet weiter durch das Flussbett. Hat er etwas entdeckt, senkt er blitzschnell er den Schnabel ins Wasser.
Auf seinem Speiseplan stehen alle möglichen Insekten. Diese liest er nicht nur vom Boden, zwischen Steinen und in Spalten auf, sondern er erbeutet auch tief fliegende und auf einem Blatt oder Halm sitzende Insekten wie etwa Schmetterlinge und Fliegen. An solche Beute schleicht er sich geduckt an, lese ich im Handbuch der Vögel Mitteleuropas (Urs N. Glutz von Blotzheim u.a., Bd. 7, S. 581).
Dazu lasse ich nochmals den Herrn Naumann zu Wort kommen – wen sonst, wenn es um das unterhaltsame Beschreiben von Verhaltensweisen geht. Der kommentiert die Jagd des Flussuferläufers auf Insekten jedenfalls so, Seite 7
Er macht sich hierbei niedrig und ganz schlank, den Kopf mit dem eingezogenen Halse niedergebückt, und schreitet leise und sehr behutsam darauf los; und sein Schnabelstoß verfehlt dann selten das Ziel. Bei diesem Beschleichen eines Raubes benimmt er sich gerade wie eine Katze, welche so etwas vor hat …
¹ Jedenfalls nicht für Mensch wie mich, die von der Nordsee stammen.
² Beim Vergößern des Fotos ist gut zusehen, wie das Auge auf die Kamera gerichtet ist.
Flussuferläufer | Chevalier guignette | Common Sandpiper | Actitis hypoleucos
0 Kommentare