Hängeparty himmelwärts

26. März 2022 | Kleine Vögel | 2 Kommentare

Ein Erlenzeisig frisst Samen von den Zapfen der Erlen und hat den Kopf dazu gebeugt.

Erlenzeisig an den ovalen Zapfen einer Schwarzerle knabbernd

Wer Erlenzeisige beobachten möchte, muss sein Fernglas in der Regel schräg nach oben halten und auf einen Baumwipfel ausrichten – üblicherweise aufs Geäst einer Erle oder auch einer Lärche. Dort hängen diese kleinen gelb-grünen Vögelchen, um sich speziell in der kalten Jahreszeit von den Samen zwischen den Zapfenschuppen zu ernähren. Und weil sie meist als Gruppe unterwegs sind, spreche ich hier etwas salopp von einer „Hängeparty himmelwärts“.

In dem Geäst sitzen kaum erkennbar acht Erlenzeisige

Acht Erlenzeisige im Geäst einer Schwarzerle

Schon oft habe ich versucht, diese nahen Verwandten des Stieglitz und des Girlitz, zu fotografieren, aber das ist gar nicht so leicht, denn sie vergnügen sich nicht nur gerne hoch oben, auch stören meist Zweige zwischen Objektiv und Objekt. Außerdem wechseln sie immer fix ihren Standort.

An der Havel

Dass ich den Erlenzeisig mehrfach an der Berliner Havel beobachten konnte, ist kein Zufall. Direkt am Ufer ist es feucht, geradezu morastig, und die Schwarzerlen, von denen hier viele wachsen, stehen gerne „mit den Füßen im Wasser” – wie der Volksmund sagt.

Und weil das Laub schon von den Bäumen gefallen und das Licht günstig war, ließen sich die Erlenzeisige gut bei der Nahrungsaufnahme beobachten.

Erlenzeisig im Geäst einer Erle beim Knabbern an den Zapfen

Erlenzeisig an einem Zweig der Erle hängend

Außerdem ziehen im Herbst viele Tausend Zeisige und andere kleine Singvögel aus dem Norden zu uns, und weiter nach Süden oder Südwesten. Das im November entdeckte Grüppchen würde ich als „Durchzieher“ bezeichnen: Sie haben an der Havel von Berlin-Charlottenburg nur Station gemacht, um aufzutanken. (Auch im Englisch der Wissenschaften heißt es to fuel = auftanken.)

Erlenzeisig knabbert an dem Zapfen einer Erle

Geradezu umwerfend formuliert das artypische Verhalten dieser 14 Gramm leichten Finken wieder einmal Johann F. Naumann in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (Gera-Untermhaus, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III) mit Begriffen wie „Anhäkeln“ und „dünnspitzige Schnäbel“, Seite 284

Sie sind dabei ungemein geschäftig, weil sie erstaunend viel zu ihrer Sättigung bedürfen, daher immer fressen, und ihre Fertigkeit im Klettern und Anhäkeln an den dünnsten Zweigen zeigt sich … im höchsten Glanze.

Und weiter

Mit ihren scharfen Krallen an die Stiele der Zäpfchen angeklammert, klauben sie in verkehrter Stellung, mit dem Kopfe unterwärts hängend, mit ihren dünnspitzigen Schnäbeln die Samen zwischen den Schuppen hervor …

Drei Erlenzeisige an den Zweigen hängend

Zwischen Nuthe und Nieplitz

Im Naturpark Nuthe-Nieplitz beobachtete ich an einem eisigen Morgen Anfang März ein Kranichpaar, von dem ich später einmal berichten werde. Dabei fiel mir ein Pärchen Erlenzeisige ins Auge. Aber: Kaum sahen sie, dass ich sie entdeckt hatte, verbargen sie sich in Stammnähe einer … Schwarzerle!

Zwischen Ästen verborgen, sitzt ein gelb-grüner Vogel

Das Männchen: gut kaschiert

Doch wie es der Zufall will, kam ich auf dem Heimweg an einem Garten vorbei, dessen Futterhaus eine große Schar Stieglitze angezogen hatte. Und wer hockte dazwischen? Ein Paar Erlenzeisige.

Zu dem Trupp von rund 40 Vögeln gehörten übrigens auch ein Bergfink und zwei Buchfinken. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Gemeinschaft, die auf dem Weg nach Norden in ihre skandinavischen und finnischen Brutgebieet war.

Ein hängendes Futterhaus für Vögel mit zwei Stieglitzen

Futterhaus hinter einem Gartenzaun: 2 Stieglitze, 1 Erlenzeisig (markiert)

Die Futterstelle wurde jedenfalls von vielen Vögeln ausgiebig genutzt, wie die Kotspuren auf den Zweigen zeigen. Das sah nicht wirklich einladend aus, doch das üppige Nahrungsangebot machte es mir möglich, die Erlenzeisige – Männchen und Weibchen – etwas genauer zu betrachten.

Den Erlenzeisig erkennen

Die Geschlechter unterscheiden sich nicht in der Größe, wohl aber im Gefieder. Unabhängig von diesem Geschlechtsdimorphismus gilt, was Johann F. Naumann zu ihrer Charakterisierung schrieb, Seite 281

Im Gefieder des Erlenzeisigs ist ein grünliches Gelb oder ein gelbliches Grün (Zeisiggrün) vorherrschend, und über den Flügel laufen zwei starkgezeichnete hellgelbe Querbinden.

Zeisig-Paar

Erlenzeisig-Paar: links weiblicher, rechts männlicher Vogel

Weiblicher Zeisg mit gestrichelter Unterseite

Zarter gefärbter weiblicher Vogel mit der typischen Strichelung der Unterseite

In der nahen Verwandtschaft, wie etwa dem Zitronen- und dem Korsenzeisig, fallen die Farbtöne des Gefieders ähnlich aus. Auch der kräftigere Grünfink und der dunklere Girlitz sind gelbgrün gefärbt. Generell sind die weiblichen Vögel bei den genannten Zeisigarten einander sehr ähnlich. Auffällig gestrichelt ist bei ihnen der Brustbereich. Was aber die Männchen angeht, ist der Erlenzeisig an seinem dunklen Scheitel gut zu erkennen und von verwandten Arten leicht zu unterscheiden.

Grafik aus dem "Naumann" mit drei ZeisigartenGanz oben auf dieser Abbildung sitzt der Erlenzeisig (Carduelis spinus), und zwar ein Weibchen, und darunter das Männchen.

Eine Etage tiefer dann ein Paar der Art Zitronenzeisig (Carduelis citrinella), und wieder hockt das Weibchen über dem Männchen.

Ganz unten ein männlicher Korsenzeisig (Carduelis corsicana), der früher Korsikanischer Zitronenzeisig hieß.

Grafik: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas von Johann F. Naumann, a.a.O. Tafel 35

 

Was ich schließlich noch an der Futterstellen beobachten konnte, ist typisch für Orte, an denen gefüttert wird: Futterneid. Oder nennen wir es Stress und Auseinandersetzungen, weil das Angebot nicht breit verteilt war – wie in einem verzweigten Erlenbaum –, sondern konzentriert an einer Stelle den Vögeln zur Verfügung stand.

Männchen und Weibchen gerieten dadurch heftig aneinander, und zwar in dem Moment, in dem die Stieglitze endlich vom Futterhaus wegflogen waren und die zarteren Erlenzeisige freie Bahn hatten.

Flügelschlagendes Zeisigpärchen im Geäst

Stress oberhalb der Futterstelle: links Weibchen und rechts Männchen

INFO
Ich möchte an dieser Stelle einen Tipp anfügen, der bei Tierfütterungen ganz generell von Vorteil ist: Füttern Sie möglichst großflächig! Verteilen Sie die Haferflocken, Sonnenblumenkerne, Mehlwürmer usw. gut, um den Tieren bei der Nahrungsaufnahme überflüssigen Stress zu ersparen.

Erlenzeisig | Tarin des aulnes | Siskin | Carduelis spinus

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2 Kommentare

  1. Selber Erlenzeisig gezüchtet. Sind außergewöhnlich zutraulich.

    Antworten
    • Danke für die Info! Mich würde interessieren, ob man die selbstgezüchteten Erlenzesige in den eigenen Garten entlassen kann, und sie dann einigermaßen standorttreu sind. Das wäre natürlich klasse.
      Viele Grüße von Elke

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Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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