Wer Erlenzeisige beobachten möchte, muss sein Fernglas in der Regel schräg nach oben halten und auf einen Baumwipfel ausrichten – üblicherweise aufs Geäst einer Erle oder auch einer Lärche. Dort hängen diese kleinen gelb-grünen Vögelchen, um sich speziell in der kalten Jahreszeit von den Samen zwischen den Zapfenschuppen zu ernähren. Und weil sie meist als Gruppe unterwegs sind, spreche ich hier etwas salopp von einer „Hängeparty himmelwärts“.
Schon oft habe ich versucht, diese nahen Verwandten des Stieglitz und des Girlitz, zu fotografieren, aber das ist gar nicht so leicht, denn sie vergnügen sich nicht nur gerne hoch oben, auch stören meist Zweige zwischen Objektiv und Objekt. Außerdem wechseln sie immer fix ihren Standort.
An der Havel
Dass ich den Erlenzeisig mehrfach an der Berliner Havel beobachten konnte, ist kein Zufall. Direkt am Ufer ist es feucht, geradezu morastig, und die Schwarzerlen, von denen hier viele wachsen, stehen gerne „mit den Füßen im Wasser” – wie der Volksmund sagt.
Und weil das Laub schon von den Bäumen gefallen und das Licht günstig war, ließen sich die Erlenzeisige gut bei der Nahrungsaufnahme beobachten.
Außerdem ziehen im Herbst viele Tausend Zeisige und andere kleine Singvögel aus dem Norden zu uns, und weiter nach Süden oder Südwesten. Das im November entdeckte Grüppchen würde ich als „Durchzieher“ bezeichnen: Sie haben an der Havel von Berlin-Charlottenburg nur Station gemacht, um aufzutanken. (Auch im Englisch der Wissenschaften heißt es to fuel = auftanken.)
Geradezu umwerfend formuliert das artypische Verhalten dieser 14 Gramm leichten Finken wieder einmal Johann F. Naumann in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (Gera-Untermhaus, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III) mit Begriffen wie „Anhäkeln“ und „dünnspitzige Schnäbel“, Seite 284
Sie sind dabei ungemein geschäftig, weil sie erstaunend viel zu ihrer Sättigung bedürfen, daher immer fressen, und ihre Fertigkeit im Klettern und Anhäkeln an den dünnsten Zweigen zeigt sich … im höchsten Glanze.
Und weiter
Mit ihren scharfen Krallen an die Stiele der Zäpfchen angeklammert, klauben sie in verkehrter Stellung, mit dem Kopfe unterwärts hängend, mit ihren dünnspitzigen Schnäbeln die Samen zwischen den Schuppen hervor …
Zwischen Nuthe und Nieplitz
Im Naturpark Nuthe-Nieplitz beobachtete ich an einem eisigen Morgen Anfang März ein Kranichpaar, von dem ich später einmal berichten werde. Dabei fiel mir ein Pärchen Erlenzeisige ins Auge. Aber: Kaum sahen sie, dass ich sie entdeckt hatte, verbargen sie sich in Stammnähe einer … Schwarzerle!
Doch wie es der Zufall will, kam ich auf dem Heimweg an einem Garten vorbei, dessen Futterhaus eine große Schar Stieglitze angezogen hatte. Und wer hockte dazwischen? Ein Paar Erlenzeisige.
Zu dem Trupp von rund 40 Vögeln gehörten übrigens auch ein Bergfink und zwei Buchfinken. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Gemeinschaft, die auf dem Weg nach Norden in ihre skandinavischen und finnischen Brutgebieet war.
Die Futterstelle wurde jedenfalls von vielen Vögeln ausgiebig genutzt, wie die Kotspuren auf den Zweigen zeigen. Das sah nicht wirklich einladend aus, doch das üppige Nahrungsangebot machte es mir möglich, die Erlenzeisige – Männchen und Weibchen – etwas genauer zu betrachten.
Den Erlenzeisig erkennen
Die Geschlechter unterscheiden sich nicht in der Größe, wohl aber im Gefieder. Unabhängig von diesem Geschlechtsdimorphismus gilt, was Johann F. Naumann zu ihrer Charakterisierung schrieb, Seite 281
Im Gefieder des Erlenzeisigs ist ein grünliches Gelb oder ein gelbliches Grün (Zeisiggrün) vorherrschend, und über den Flügel laufen zwei starkgezeichnete hellgelbe Querbinden.
In der nahen Verwandtschaft, wie etwa dem Zitronen- und dem Korsenzeisig, fallen die Farbtöne des Gefieders ähnlich aus. Auch der kräftigere Grünfink und der dunklere Girlitz sind gelbgrün gefärbt. Generell sind die weiblichen Vögel bei den genannten Zeisigarten einander sehr ähnlich. Auffällig gestrichelt ist bei ihnen der Brustbereich. Was aber die Männchen angeht, ist der Erlenzeisig an seinem dunklen Scheitel gut zu erkennen und von verwandten Arten leicht zu unterscheiden.
Ganz oben auf dieser Abbildung sitzt der Erlenzeisig (Carduelis spinus), und zwar ein Weibchen, und darunter das Männchen.
Eine Etage tiefer dann ein Paar der Art Zitronenzeisig (Carduelis citrinella), und wieder hockt das Weibchen über dem Männchen.
Ganz unten ein männlicher Korsenzeisig (Carduelis corsicana), der früher Korsikanischer Zitronenzeisig hieß.
Grafik: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas von Johann F. Naumann, a.a.O. Tafel 35
Was ich schließlich noch an der Futterstellen beobachten konnte, ist typisch für Orte, an denen gefüttert wird: Futterneid. Oder nennen wir es Stress und Auseinandersetzungen, weil das Angebot nicht breit verteilt war – wie in einem verzweigten Erlenbaum –, sondern konzentriert an einer Stelle den Vögeln zur Verfügung stand.
Männchen und Weibchen gerieten dadurch heftig aneinander, und zwar in dem Moment, in dem die Stieglitze endlich vom Futterhaus wegflogen waren und die zarteren Erlenzeisige freie Bahn hatten.
INFO
Ich möchte an dieser Stelle einen Tipp anfügen, der bei Tierfütterungen ganz generell von Vorteil ist: Füttern Sie möglichst großflächig! Verteilen Sie die Haferflocken, Sonnenblumenkerne, Mehlwürmer usw. gut, um den Tieren bei der Nahrungsaufnahme überflüssigen Stress zu ersparen.
Erlenzeisig | Tarin des aulnes | Siskin | Carduelis spinus
Selber Erlenzeisig gezüchtet. Sind außergewöhnlich zutraulich.
Danke für die Info! Mich würde interessieren, ob man die selbstgezüchteten Erlenzesige in den eigenen Garten entlassen kann, und sie dann einigermaßen standorttreu sind. Das wäre natürlich klasse.
Viele Grüße von Elke