Man muss diese Geier, die noch heute als „Schmutzgeier“ beschimpft werden, in ihrem Lebensraum betrachten oder ihnen beim Sprengen von Vogeleiern zuschauen, um zu erfassen, was es für tolle Vögel sind. In Europa bekommt man sie am ehesten in Spanien, im Süden von Frankreich und Italien oder in Griechenland zu Gesicht. Stark verbreitet sind sie von Nordafrika bis Indien, aber ihre Zahl sinkt.
Als ich im März im Oman unterwegs war, hatte ich an der Küste durchaus mit Schmutzgeiern gerechnet. Bekanntermaßen treiben sie sich am Meer und vor allem im Süden auf Müllhalden herum, von denen es im Oman – aber nicht mehr lange – noch einige gibt.
Müllhalden wollten wir nicht ansteuern, aber Müll findet sich auch anderswo. Und am Meer, wo sie sich generell gerne aufhalten, stießen wir tatsächlich auf einzelne Schmutzgeier.
Am Strand südlich der Hauptstadt Maskat hatten Picknick-Begeisterte ihre Essensreste „vergessen“. Das war nicht nur eine Einladung für die Hemprichmöwen¹, die in dieser Region brüten, sondern auch für einen imposanten Schmutzgeier, der im englisch-sprachigen Raum „Ägyptischer Geier“ heißt. Durch sein gelbes Gesicht – eine pflegeleichte Wachshaut – und das schwarz-weiße Gefieder ist er leicht erkennbar.
Alfred E. Brehm hält ihn für eine durchaus angenehme Erscheinung (Brehms’s Tierleben, 1900, Bd. 6, S. 457):
Das reiche Gefieder besteht aus großen und langen Federn… Gesicht und Kopf bleiben unbefiedert. Ein schmutziges Weiß, das in der Hals- und Oberbrustgegend mehr oder weniger in das Dunkelgelbe spielt, auf Rücken und Bauch aber reiner wird, herrscht vor; die Handschwingen sind schwarz, die Schulterfedern gräulich.
Äußerst vehement widerspricht Brehm, der auf seinen Forschungsreisen in Ägypten und im Sudan oft von Schmutzgeiern begleitet wurde, anderen Naturforschern, die ihn widerlich finden. Sein Statement:
Das Handwerk, das der Vogel betreibt, ist widerlich, nicht er selbst.
Da fragt sich allerdings: Was ist das nun für ein Handwerk, das so widerlich ist?
Kein Kostverächter
Geier fressen Aas und hacken dazu in den Augen toter Tiere und anderen Leibesöffnungen herum – um etwa die Gedärme herauszuziehen. Da ist es pflegetechnisch von Vorteil, dass ihr Kopf meist unbefiedert ist. Aber der Schmutzgeier frisst auch tierische und menschliche Exkremente. Er findet sich daher oft dort ein, wo – wie früher üblich – öffentlich geschlachtet wird oder Menschen sich erleichtern.
Beides findet heute selten in der Öffentlichkeit statt. Und so treiben sich Schmutzgeier eher auf Müllhalden herum oder wie eh und je am Meer. Dort fahnden sie nach toten Fischen oder anderem Getier, das die See anspült.
Lange Suchflüge
Um Fressbares zu finden, sitzen Schmutzgeier entweder erhöht oder heben für langandauernde Suchflüge ab, denn ihre scharfen Augen erspähen in 1000 m Flughöhe noch Objekte, die keine 8 cm Durchmesser haben.
Sie sind elegante Segler, bei denen sich kräftige Flügelschläge mit weiten Segelphasen abwechseln. In diesen hält er die Flügel absolut horizontal – aus der Ferne sieht man nur einen schmalen Strich am Himmel.
Schmutzgeier sind oft auch zu Fuß unterwegs. Alfred E. Brehm schreibt, der Geier fliege wie ein Storch und gehe wie ein Kolkrabe. Das kann ich bestätigen.
Lust auf Eier
Berühmt und in die wissenschaftliche Literatur eingegangen sind die Schmutzgeier, weil sie mit Raffinesse und Ausdauer die großen, dickschaligen Eier anderer Vögel zertrümmern. Pinguineier lassen sie auf Steine herabfallen, um sie danach auszu“löffeln“. Und Straußeneier zerschlagen sie, indem sie einen Stein mit dem Schnabel aufnehmen und damit auf die Eischale schlagen. Bis sie zerspringt.
Das konnte ich mir kürzlich im Elsass, wo es nahe Kintzheim eine Greifvogelschau gibt, aus der Nähe anschauen. In „La Volerie des Aigles“ bearbeitete der Schmutzgeier mit einem Stein ein Gips-Ei, in dem eine Leckerei versteckt war. Von dieser Art Werkzeuggebrauch zu lesen, ist das Eine. Es zu sehen, ist dann noch mal etwas ganz Anderes: Schlicht beeindruckend.
¹ Der Name ehrt den deutschen Naturforscher Friedrich Wilhelm Hemprich, der 1825 auf einer Forschungsreise mit nur 29 Jahren am Roten Meer an Fieber starb.
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