Kleine Namenskunde: Hemprichmöwe

11. April 2023 | Große Vögel, Wissenswertes | 2 Kommentare

Dunkle Möwe sitzt auf dem Strand und sperrt den Schnabel weit auf, so dass man die Zunge sieht.

Dunkle Hemprichmöwe am Strand von Sur im Oman

Heute möchte ich eine Möwe vorstellen, die nicht zu den hiesigen Möwenarten zählt und also weder am Nordsee- noch am Ostseestrand zu beobachten ist. Doch ihr eindrucksvolles Aussehen hat mich fern der Heimat schwer beeindruckt. Es geht um die Hemprichmöwe.

Helle Möwe mit fast weißem Gefieder mit rötlichem Schnabel und Beinen am Strand, von vorne fotografiert.

Kontrast: Helle Lachmöwe am Strand von Sur im Oman

Nicht nur ihr Aussehen faszinierte mich. Diese Möwe transportiert geradezu Forschungsgeschichte in ihrem Gefieder. Das liegt einerseits an ihrem so früh verstorbenen Namenspaten, Herrn Friedrich Wilhelm Hemprich, andererseits daran, dass sie neuerdings nicht mehr zur näheren Verwandtschaft von Silbermöwe und Lachmöwe gerechnet wird.
Die Hemprichmöwe zählt heute zur Gattung Ichthyaetus; sie ist frei übersetzt eine „Fischadlermöwe“.

Am Indischen Ozean

Der Lebensraum dieser Möwenart erstreckt sich von der Küste des Persischen Golfs, des Golfs von Oman und um die Arabische Halbinsel herum bis ins Rote Meer. Südwärts ist sie längs des Indischen Ozeans bis an die Küste Kenias verbreitet. Mir begegnete die Hemprichmöwe im Sultanat Oman, wo sie ganzjährig zu sehen ist.

Strand, Meer und eine Brücke, die zum anderen Ufer reicht. Davor helle und dunkle Punkte - die Möwen.

Die Hafenstadt Sur – in Richtung Brücke sind helle und dunkle Möwen als Punkte erkennbar.

Dass mir die Möwe am Strand der kleinen Hafenstadt Sur sofort auffiel, ist kein Wunder: Sie ist nicht weiß, wie hiesige Möwen, sondern Kopf und Hals, Rücken und Flügel sind dunkelbraun getönt. Schon aus der Ferne heben sich die Vögel deutlich von den Lachmöwen ab, mit denen sie sich hier ein ruhiges Plätzchen am Strand teilten.

Im Stand nah am Wasser Möwen als helle und dunkle Punkte

Küste von Sur (Al Ayah): Die Hemprichmöwen ruhen am Strand, die Lachmöwen sind auf das Wasser geflogen.

Was mich an den Hemprichmöwen beeindruckt, ist ihre etwas finstere und entschlossen wirkende Erscheinung. Sie besagt: Hier sitze – oder stehe – ich, und hier bleibe ich!
Ein rußbrauner Kopf, ein kräftiger Schnabel mit roter Spitze und dazu auffällige weiße Oberlider, so sieht der auf dem Sand ruhende Vogel im Prachtkleid aus. Im Stehen sind die gelblich-olivfarbenen Beine und die weiße Rumpfunterseite sichtbar.

Auf dem Strand sitzende Hemprichmöwe.

Auffällig: rote Schnabelspitze und weiße Augenlider

Auf dem Strand stehende Hemprichmöwe.

Die Oberseite ist braun, die Unterseite weiß.

Wo immer mir Hemprichmöwen am Meeresstrand von Oman begegneten, waren Fischer in der Nähe. Das ist kein Wunder, denn die Möwe ernährt sich hauptsächlich von Fisch und Fischresten. Um satt zu werden, ist es für sie am bequemsten – kostet sie also wenig Energie –, bei den Fischerbooten auf dem Wasser und an Land herumzulungern oder im Spülsaum nach angeschwemmten Fischkadavern zu fahnden. Auch Vogeleier, junge Vögel und frisch geschlüpfte Schildkröten betrachtet sie als Leckerbissen.

Altstadt mit weißen Häusern am Strand, davor Fischerboote auf dem Strand.

Fischerbote am Strand von Al Ayah, einem Stadtteil von Sur

Und obwohl Hemprichmöwen sozial sind und in Gruppen ruhen, schnappen sie ihren Artgenossen und Artgenossinnen gern Futter weg.

Als Kleptoparasitismus wird dieses Verhalten in der Biologie bezeichnet.

Ich traf auf die Vögel in ihrer mittäglichen Ruhephase. Sie waren offenbar satt und träger als die Lachmöwen, die längst auf das Meer entwischt waren.

So hatte ich Zeit, in meinem Bestimmungsbuch zu blättern und den Namen dieser „finsteren” Möwenart zu überdenken.¹ Auf Englisch heißt sie Sooty Gull, was so viel wie rußbedeckte Möwe bedeutet und den Vogel gut beschreibt. Nur, wer oder was verbirgt sich hinter dem Namen Hemprich?

Sieben Hemprichmöwen am Strand, nahe am Wasser

Einträchtig nebeneinander ruhend

Zwei Hemprichmöwen sitzen auf dem Sandstrand

Junge Forschungsreisende

Friedrich Wilhelm Hemprich war ein junger Arzt, der in Breslau und Berlin studiert hatte, und nach der Promotion als Forschungsreisender in Ägypten, auf der Sinai-Halbinsel, im Libanon und am Roten Meer die Natur erkunden wollte. Zusammen mit Christian Gottfried Ehrenberg* hatte er sich auf den Weg gemacht. Und während dieser seinen Fokus auf die kleinen Lebewesen richtete, war Hemprich vor allem für die Reptilien, Vögel und Säugetiere zuständig. Allein 429 Vogelarten erfassten die beiden Forscher und schickten davon 4671 Exemplare als Bälge an das neu gegründete Berliner Museum.**

Leider starb Hemprich 1825 während der zweiten Expedition mit nur 29 Jahren in einer Hafenstadt, die heute in Eritrea liegt. Vorerkrankungen und eine Malariainfektion sollen die Ursache gewesen sein.

Ihm zu Ehren hat der deutsche Ornithologe Carl Friedrich Bruch die dunkle Möwe Hemprichmöwe genannt. Bruch war der erste, der sie biologischen Standards entsprechend beschrieb. Nicht nur im Deutschen, auch im Französischen und in der wissenschaftlichen Nomenklatur ist der Name des früh verstorbenen Forschers erhalten: Ichthyaetus hemprichii.

Vogelnamen im Alltag und in der Wissenschaft

Buchcover mit einem rötlich-braunenThorshühnchen und eine gelben GebirgsstelzeDer wissenschaftliche Name einer Tierart ist mehrteilig und lateinisch – beziehungsweise latinisiert, das heißt er tut zumindest so als ob er Latein sei.

Der erste Namensteil, hier Ichthyaetus, ist der sogenannte Gattungsname. Er ist identisch bei Vogelarten, die einander ähnlich und eng verwandt sind. Durch Hinzufügen eines zweiten Namensteils, hier hemprichii, entsteht der Artname. Bei Unterarten wird ein dritter Namensteil angehängt.

Auf den Gattungsnamen komme ich noch zurück, bleiben wir zunächst beim zweiten Teil des Namens. Er hat oft, aber nicht immer, einen beschreibenden Charakter. Mal geht es um die Gefiederfarbe des Vogels (Goldammer, dt.), mal um seinen Gesang (Kuckuck, dt.) oder sein „Zuhause“ (Turmfalke, dt.).

Allerdings kann der Artname in der deutschen und der wissenschaftlichen Nomenklatur einen unterschiedlichen Fokus haben. Viele Beispiele dazu stehen in dem wertvollen und von mir bereits besprochenen Buch von Viktor Wember.

  • Gleichartiger Fokus: Wanderfalke -> Falco peregrinus
    Im zweiten Teil steht das lateinische Wort „peregrinus“ für den Pilgerer, den Wanderer. Der wissenschaftliche Begriff hat also einen Fokus wie im Deutschen.
  • Unterschiedlicher Fokus: Turmfalke -> Falco tinnunculus
    Im zweiten Teil benennt das lateinische Wort nicht – wie im Deutschen – den bevorzugten Nistort des Vogels, sondern spielt auf seine Lautäußerungen an. Denn in tinnunculus steckt das Verb tinnire, was mit klingeln, schreien übersetzt wird. (Wer kennt nicht das Wort Tinnitus.)

Bei Artnamen für Tiere wird manchmal der Eigenname eines berühmten Ornithologen, einer Insektenkundlerin usw. im zweiten Namensteil verwendet.

Zum Beispiel lautet der wissenschaftlich Name der rotschnäblige Korallenmöwe Ichthyaetus audouinii nach dem französischen Zoologen Jean Victor Audouin. Und der Temmickstrandläufer Calidris temminckii verdankt seinen Namen dem niederländischen Zoologen Coenraad Jacob Temminck. Schließlich trägt eine Motte einen zweiten Namensteil, der von der Insektenforscherin Sybilla Merian abgeleitet ist: Phalaena merianella.

Die Hemprichmöwe mit neuem Gattungsnamen

Es ist nicht das erste Mal, dass ich darauf aufmerksam mache, dass sich Vogelnamen ändern. Eine neue Begrifflichkeit betrifft manchmal den deutschen Artnamen, sofern er etwa als Menschen missachtend gilt: aus der Mohrenlerche wurde darum die Schwarzsteppenlerche.

Umbenennungen betreffen aber auch den Gattungsnamen, also den ersten Teil des wissenschaftlichen Namens, in dem sich verwandtschaftliche Beziehungen widerspiegeln sollen. Das hatte mich zuletzt bei den Drosslingen einigermaßen verwirrt.

Eine Hmeprichmöwe fliegt vor dem Leuchtturm von Al Ayah

Leuchtturm von Al Ayah mit anfliegender Hemprichmöwe

Die Hemprichmöwe wurde lange der Gattung Larus zugeordnet, zu der bekannte Arten wie die Silbermöwe (Larus argentatus), die Lachmöwe (Larus ridbundus) und die Mantelmöwe (Larus marinus) zählen. Aber damit ist es nun vorbei. Denn aktuelle genetische Untersuchungen haben ergeben, dass in der großen Möwenverwandtschaft sechs Arten besonders eng miteinander verwandt sind: Sie wurden aus der Gattung Larus aussortiert und bilden heute die Gattung Ichthyaetus

Am blauen Himmel fliegt eine dunkle Hemprichmöwe, deren Unterseite weiß ist.Der wissenschaftliche Gattungsname ist aus dem Griechischen abgeleitet und enthält in latinisierter Form die beiden Wörter „ikhthus“ für Fisch und „aetos“ für Adler.

Zu der neu gebildeten Möwengattung gehören außer der Hemprichmöwe und der schon zuvor erwähnten, rotschnäbligen Korallenmöwe auch die Fisch-, Relikt-, Schwarzkopf– und Weißaugenmöwe.

Ein Fisch liebender, adlerartige Segler … diese Zuschreibung passt durchaus für die Hemprichmöwe mit ihrer bis zu 1.20 m großen Flügelspannweite, der Vorliebe für Fisch und ihrem imposanten Schnabel. Ein Adler ist sie dennoch nicht.

 

* Christian Gottfried Ehrenberg ist einer der Forscher, die Alexander von Humboldt auf seiner Expedition nach Russland im Jahr 1829 begleiteten: Alexander von Humboldts Reise durchs Baltikum nach Russland und Sibirien 1829, Tübingen, Edition Erdmann, 1984
** Die Informationen habe ich dem Buch Die Ornithologen Mitteleuropas von Ludwig Gebhardt entnommen (Aula-Verlag, Wiebelsheim 2006).

¹ Jens Eriksen, Reginald Victor: Oman Bird List, Sultan Qaboos University, 2013, 7. Aufl.
² Viktor Wember: Die Namen der Vögel Europas, Aula-Verlag, Wiebelsheim, 2017
³ Peter H. Barthel, Christine Barthel u.a. Deutsche Namen der Vögel der Erde, Vogelwarte, 2020, Bd. 68, S. 51

Hemprichmöwe | Goéland de Hemprich |  Sooty Gull | Ichthyaetus hemprichii

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare

  1. Sehr verehrte Frau Dr. Brüser,

    Sie verfügen über eine großartige „Fabulierkunst“. Einen in meinen Augen unendlich trockenen Stoff wie die Zusammensetzung von Tierartennamen so anschaulich beschreiben zu können, ist schon eine besondere Gabe.

    Da sitze ich vor meinem PC, lese den kompletten Block, schaue mir Ihren wunderschönen Bilder an und bekomme das Gefühl, wieder mal eine Menge dazugelernt zu haben. Auch wenn ich viele Details relativ schnell wieder vergesse, ich bin immerhin schon 74 Jahre alt, ist es immer wieder ein schönes Erlebnis.

    Vielen Dank und freundliche Grüße

    Antworten
    • Lieber Herr Ehrich,
      welch ein befügelnder Kommentar. Dann darf ich ja weiter fabulieren.
      Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Elke Brüser.

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Textes en français

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