Wenn Krähen „hassen“

Greifvogel sitzt verborgen im Baumwipfel und Nebelkrähen flattern um ihn herum.
Ein hochbeiniger Greif ⇓ hat sich ins Geäst des Ahorns geflüchtet.

Kürzlich wurde es in unserem Garten mit altem Baumbestand laut – und ich neugierig. Denn da regten sich offenbar Nebelkrähen wiedereinmal ganz gewaltig auf. Sie lassen wirklich keine Gelegenheit aus, sich zu behaupten.

Eigentlich konnte an diesem sehr grauen Novembermorgen nur ein Greifvogel der Anlass des anhaltenden Gekrächzes sein. Die Frage war allerdings welcher: Turmfalke, Sperber oder Habicht?

Ein Habicht sitzt auf einem Ast, über ihm zwei Nebelkrähen.
Schon klar, wer es ist?

Alle drei Greifvogelarten hatte ich in den letzten Tagen durch das Fenster zum Garten beobachten können. Kein Wunder, denn Turmfalke und Habicht brüten alljährlich in nahe Grünanlagen und turmartigen Gebäuden.

Und die Sperber lassen sich im Winter hin und wieder mal bei uns blicken.

Es sind dies vermutlich Zugvögel aus Skandinavien, die speziell in der Nähe von Futterhäuschen für kleine Singvögel auf Vogelfang gehen. Auch in diesem Jahr sah ich einen hungrigen Sperber dort schon sitzen.

Hassen = dem Feind drohen

Aus der Nähe hörten sich die lärmenden Nebelkrähen beeindruckend an, und ohne Frage: Sie hatten da einen Feind ausgemacht und stürzten sich mit viel Gekrächze gewissermaßen auf ihn. Wie üblich hatten sich dazu die Krähenpaare und mehrere Krähen aus der Umgebung zusammengeschlossen, bildeten eine aufgeregte Meute.

Zunächst ruft eine Elster, dann das warnende Krächzen von Nebelkrähen, die den „Feind” verfolgen.

Dieses Verhalten wird in der Biologie Hassen genannt. Als Gruppe setzen die hassenden Vögel den potenziellen Feind enorm unter Druck und fliegen durchaus auch Attacken. Dabei geht es nicht so sehr darum, ihn gezielt zu verletzen, sondern ihn nachhaltig zu vertreiben.

Hassen ist ein Drohsignal, das gegenüber anderen Arten, die als Prädatoren gefährlich sein könnten, angewandt wird. Irenäus Eibl-Eibesfeldt – ein Schüler von Konrad Lorenz und Leiter der AG Humanethologie am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie – hat das Verhalten im Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung (Piper, 1980, 4. Aufl.) in seinem Kapitel über Drohsignale so beschrieben, Seite 229

Eine eigene Kategorie von Abwehrgebärden sind die sog. Haßreaktionen, mit denen viele Singvögel im Schwarm Raubvögel bedrängen. Mit besonderen Haßlauten, bisweilen mit Scheinangriffen, drängen sie von allen Seiten auf den Freßfeind ein, der daraufhin meist abzieht.

Nebelkrähen gehören zur Gruppe der Singvögel, obgleich sie nicht so melodiös vokalisieren wie etwa Mönchgrasmücke, Amsel oder Nachtigall. Ihre Lautäußerungen sind jedoch vielfältig, sie werden meist als ein Krächzen bezeichnet.

Dieses klingt beim Hassen sonor, etwas weicher und tiefer als sonst. In der sehr guten App Die Stimmen der Vögel Europas von Hans-Heiner Bergmann und seinem Team werden diese Laute als „ein gedämpftes, schnorrendes ‚krrr krrr’ ” und als ein „manchmal hartes ‚krrah’ ” beschrieben.

Dunkle Nebelkrähen in Baumwipfeln, unte ihnen ein Greifvogel - zur Illustration eingekreist.
Greif im Belagerungszustand: Der Vogel sitzt mittig. Mit gesenktem Kopf hassen die Krähen auf ihn.

Chancenloser Greif

Und so ging die Geschichte weiter: Die Nebelkrähen geben keine Ruhe. Der Greif möchte ihnen entkommen, aber sobald er auffliegt, setzen sie ihm nach. Hier nochmals kurz typische Hasslaute:

Schließlich gelingt es dem bedrängten Vogel, die Umzingelung zu durchbrechen.

Bräunliche Silhouette eines fliegenden Greifvogels vor dunklen Bäumen.

Aber die Kerle – ich möchte sie fast „finstere Kerle“ nennen, dabei sind gerade die Nebelkrähen kluge und unterhaltsame Vögel – sind erneut rasch an seiner Seite und drängen ihn wieder in die Baumkronen zurück. Die Folge: Er sitzt wieder im Baum und wird von allen Seiten angedroht.

Zwischen den ästen einer robinie sitzt ganz versteckt ein großer vogel. Drumherum hocken Nebelkrähen im teilweise belaubten Geäst
Nebelkrähen belagern den Greif, der mittig im Blättergewirr gut verborgen ist.
Greifvogel von hinten. Er sitz im Geäst und dreht den Kopf zu uns.
Der Greif blickt um sich, scheint nach einem Fluchtweg zu suchen.
Im Geäst sitzt eine Nabelkrähe, zwischen den Ästen fliegt ein Habicht ab.
Ein neuer Fluchtversuch – während eine Krähe abgelenkt ist.

Wer ist es?

Unzweifelhaft handelt es sich um einen Habicht. Turmfalken sind wesentlich kleiner, und das gesamte Gefieder spricht für einen Habicht, einen jungen. Erst im Juni wird er flügge geworden sein und muss nun selbst klar kommen. Das heißt: Auf der einen Seite muss er Beute schlagen, um satt zu werden. Die Amseln und Ringeltauben im Garten haben vermutlich sein Interesse geweckt. Auf der anderen Seite steht er – als Vogeljäger – unter Beobachtung und muss sich der Nebelkrähen erwehren.

Und das ist offensichtlich: Dieser Vogel ist ein Neuling, da es ihm zunächst nicht gelingt, den hassenden Nebelkrähen zu entkommen. Der folgende Versuch, sah dann so aus. (Der Videoausschnitt zeigt gleich am Anfang den braunen Vogelrücken des Habichts – auf der Flucht nach rechts. Eventuell mehrfach anschauen.)

Doch auch dieser Versuch scheitert: Der Jungvogel landet in derselben Baumgruppe, dieses Mal auf einer Birke.

Da lässt sich am Federkleid noch besser erkennen, dass es sich um einen jungen Habicht handelt: die Unterseite – also Brust und Bauch – hat noch nicht die arttypische Querstreifen, sondern die tropfenartige Längsmusterung der Junghabichte. Außerdem schimmert das braune Rückengefieder leicht rötlich. „Rothabicht” wird ein junger Habicht in der Jägersprache daher genannt.

Junger Habicht mit gestrichelter Unterseite sitzt an einer weißrindigen Birke.
Der Junghabicht mit gestrichelten Unterseite. (Wie üblich lassen sich alle Fotos im Blog vergrößern.)

Endlich geschafft

Ich war tatsächlich erleichtert, als es die junge Habichtdame – männliche Artgenossen sind kleiner – es dann doch geschafft hat, der Nebelkrähen“meute“ zu entkommen. Verfolgt von den Krähen rettete sie sich in einen mächtigen, dichten Nadelbaum. Und die Nebelkrähen? Sie gaben bald darauf endlich Ruhe, flogen einfach davon und zerstreuten sich wieder.

Dass Krähen angesichts eines Greifs so ein Theater machen, ist nachvollziehbar: Habichte jagen nicht nur Tauben, auch mal Eichhörnchen und allerlei kleinere Vögel, sondern sie holen sich in der Brutzeit durchaus Eier und Jungvögel aus einem Krähenhorst, plündern auch die Nester von Elstern. Die „Hassgebärde“ oder „Hassreaktion“ macht also Sinn. Sie wird zu jeder Jahreszeit durch Greifvögel als potenzielle Prädatoren ausgelöst.

Hassen | Mobbing calls



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2 Kommentare zu “Wenn Krähen „hassen“

    1. @ Joachim Ehrich: Danke für deinen Hinweis auf die Webcam zu den Wanderfalken: Vier Eier sind jetzt gelegt. Wie schön! Und es lohnt immer wieder einmal das Treiben auf der Burg zu beobachten.

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