Die Freude war groß, als ich Anfang Juni in Berlin einen Greifvogelhhorst besuchte, den ein unberingtes Habichtpaar im Winter frisch angelegt hatte. Denn dort gab es nun zwei Jungvögel zu bestaunen. Der Horst war, hoch oben in der Baumkrone, mittlerweile allerdings kaum noch sichtbar – ganz anders als im zeitigen Frühjahr.
Aber da ich bereits im März und April das Treiben dieser Habichte beobachtet hatte, war das Blätterwerk nun kein Problem. Im üppigen Grün ließ sich das große Nest durchaus auffinden. (Im folgenden Foto ist es mit einer weißen Ellipse markiert.)
Habichtjunge im Juni
Bevor ich auf ein kurioses Zusammentreffen von Habicht und Eichhörnchen zu sprechen komme, möchte ich noch vom Bruterfolg des Greifvogelpaares berichten.
Dass die Habichtfrau und ihr Partner erfolgreich Junge großziehen würden, schien mir gar nicht so sicher, als ich sie im März das erste Mal sah. Sie hatten sich einen recht belebten Berliner Stadtpark ausgesucht …
Doch die Habichte der Hauptstadt sind nicht zimperlich und „von Kindesbeinen an“ einiges an Unruhe gewohnt.
Hochoben in den Baumwipfeln stören Joggerinnen und Radfahrer, herumstöbernde Hunde und Kindergeschrei diese Greifvögel offenbar wenig.
Jedenfalls hatten die Habichte im Winter einen stattlichen Baum als Brutplatz gewählt: eine hohe Buche. Erstaunlich und faszinierend an der städtischen Grünanlage ist ihre vielfältige Vogelwelt: Schon im März begegneten mir auf dem Weg zum Greifvogelhorst der Bunt- und der Mittelspecht, Zaunkönige, Rotkehlchen, Amseln, Eichelhäher, Blau- und Kohlmeisen.
Im dichten Grün verborgen und von der Morgensonne angestrahlt entdeckte ich am 6. Juni einen Jungvogel. Er saß auf einem Ast neben dem Horst und war damit beschäftigt, die weißen Federchen seines „Babykleids“ zwischen den neuen bräunlichen Federn des frischen Jugendgefieders herauszupicken. Davon habe ich schon einmal berichtet, darum gibt es hier nur ein Foto dazu.
Wenn die jungen Habichte im Alter von 40 bis 45 Tagen springend und flügelschlagend erstmals das Nest verlassen und sich dann immer öfter im Geäst des Horstbaumes sowie benachbarter Bäume aufhalten, nennen wir sie Ästlinge.
Während also dieser Ästling mit der Gefiederpflege beschäftigt war, hörte ich plötzlich das Lahnen eines weiteren Junghabichts.
Diese lang gezogenen hijääh-Rufe zeigen den Altvögeln an, wo ihr hungriger Nachwuchs wartet. Und dorthin – oder in die Nähe – bringen sie dann die erjagte Beute.
Der Ästling auf dem Ast
Es dauerte ein wenig, aber dann entdeckte ich den lahnenden Jungvogel, der etwa 80 m vom Horst entfernt auf einen Ast saß – natürlich „stammnah“, wie es sich für einen Habicht gehört.
Inzwischen hatte ich auch die Stimme eines Elternteils bemerkt – er oder sie kam allerdings nicht näher. Warum kurz darauf der Jungvogel unruhig wurde und abflog, weiß ich nicht. Drei Möglichkeiten sind denkbar:
Das lange Objektiv meiner Kamera beunruhigte den Vogel, obwohl ich weit entfernt stand.
Der Ästling flog dem adulten Vogel entgegen, weil der nicht näherkam.
Die Futterübergabe erfolgte sowieso immer an einem anderen Ort, wo der Ast zum Ablegen von Beute geeigneter war.
Während die Nestlinge anfangs von den Eltern auf dem Horst mit kleinen Happen gefüttert werden, bevor sie selbst an der Beute nagen, wird für die Ästlinge die Beute, die sie selbst zerkleinern, an einem passenden Ort abgelegt. Wie es dabei zugeht, ist in meinem Blogpost Schule des Lebens zu sehen.
Rückblick: Habichtpaar im Frühjahr
Ende März ist es oft noch ungemütlich und weniger idyllisch als im Mai oder Juni. Aber die Habichte sind dann bereits mit der Balz durch, das Nest ist fertig und die weiblichen Vögel machen sich ans Brüten. Sie werden in dieser Zeit von ihren Partnern versorgt, die Beute in der Nähe des Horstes ablegen. Wenn die Partnerin frisst und zeitweise nicht auf dem Nest hockt, haben die Habichtmänner in der Regel ein Auge auf die Brut.
Die männlichen Habichte – auch Terzel genannt – halten sich oft in Horstnähe auf. Sie scheinen zu dösen und die Sonnenstrahlen zu genießen, sind aber sehr aufmerksam. Solange die Bäume noch nicht belaubt sind, lässt sich das sehr schön beobachten.
Habicht und Eichhörnchen
An einem mal mehr, mal weniger sonnigen Aprilmorgen bemerkte ich plötzlich den starren Blick des Habichtmanns.
Und was hatte er im Visier: ein Eichhörnchen!
Neben Haus- und Ringeltauben, Eichelhähern und verschiedenen Drosselvögeln gehören sie zur üblichen Beute von Habichten.
Mehrfach schon las ich, wie geschickt die Eichhörnchen spiralförmig kreisend um den Baumstamm flitzen und wie wendig Habichte ihnen dabei folgen. Und endlich konnte ich das auch beobachten.
„Mein“ Habicht war nah an das Eichhörnchen heran geflogen und landete auf einem Ast. Aber sofort huschte es – genauer gesagt: das Eurasische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) – auf die Rückseite des Baumstamms und kletterte abwärts.
Der Jäger beugte sich weit vor und flog schließlich um den Stamm herum, aber erwischen konnte er seine anvisierte Beute nicht. Das brachte ihn offensichtlich in Rage. Er flog ab und näherte sich von der anderen Seite …
Typisch für den verfolgten rotbraunen Nager, selbst ein Dieb von Eiern und kleinen Jungvögeln, sind scharfe schnalzende Laute, die den Eindruck erwecken, dass er sich bedroht fühlt, und die zugleich einen aggressiven Unterton haben. Was außerdem auffällt und in der Literatur beschrieben ist: Wenn ein Habicht ein Eichhörnchen jagt, macht es sich manchmal ganz platt und presst sich an den Baumstamm.
In der Tat ist es für Habichte eine Herausforderung eines der quirligen Eichhörnchen zu erwischen. Dazu schreibt Wolfgang Fischer in Der Habicht (Die Neue Brehm-Bücherei, Wittenberg Lutherstadt 1983) auf Seite 126
Ein Beutetier, dessen Fang besondere Schicklichkeit erfordert, ist das Eichhörnchen. Dabei kann der Habicht bei dem in Spiralen kletternden Tier keine andere Methode anwenden, als in gleicher Weise um den Stamm zu „Kurbeln“ und es im rechten Augenblick zu ergreifen und loszureißen. Eichenhörnchen, die am Boden oder auf Lichtungen überrascht werden können, sind eine leichte Beute, selbst wenn sie noch ins Gebüsch flüchten.
Selbst im Geäst von Bäumen sind Eichhörnchen nicht sicher, denn der Habicht ist ursprünglich ein Waldvogel, der wunderbar und lautlos zwischen den Zweigen navigieren kann. Sehr anschaulich berichten davon die Autoren von Der Habicht. Vom Waldjäger zum Stadtbewohner.
Aber die Rotbraunen haben gute Chancen mit weiten, unverhofften Sprüngen und anderen Manövern dem Greifvogel zu entkommen. So war es auch in diesem Fall. Das schnalzende Gezeter des Gejagten verstummte nach einiger Zeit, und der Greifvogel schien der widerspenstigen Beute überdrüssig.
Ich sah den Habicht kurz darauf an einem Ast nagen und dachte mir: Der ist sichtlich frustriert … Doch ich war sicher, der angehende Vater würde andere Beute auftun, sein Hunger war vermutlich nicht allzu groß und lahnende Junge musste er noch nicht durchfüttern.
Habicht | Autour des palombes | Goshawk | Accipiter gentilis
Das war für dich sicher auch ein bisschen aufregend und vor allem schwierig mit dem Teleobjektiv zu verfolgen.
Schöne Story mit gutem Ausgang für den vermeintlich Schwächeren.
Das freut mich, dass euch der kleine Bericht gefallen hat. Man sieht so etwas ja nicht alle Tage. Und mit dem nach oben gerichteten Tele komme ich manchmal ganz schön ins Zittern. Danke für die Rückmeldung und Grüße rundum, Elke.
Sehr bemerkenswerte Beobachtungen, die sicherlich viel Geduld abverlangen.